Es ist der Traum jeder Öffentlichkeit und die maximale Herausforderung aller Öffentlichkeitsarbeiter: ein Dax-Chef, der sagt, was er wirklich denkt. Nicht strategisch formuliert, nicht jeden Gedanken abgewogen und nicht im Konsens badend. Klartext.
Theodor Weimer ist in Rage. Keiner, der mit rotem Kopf die Stimme erhebt. Einer, der mit Nachdruck spricht, Sprechpausen einlegt, seinen Zuhörern in die Augen sieht, den Blick im Raum kreisen lässt. Einer, der Namen von Wirtschaftslenkern kennt und die Begegnungen mit ihnen clever in eine Rede einzusetzen weiß. Weimer ist stets mitten im Geschehen. Das dürfen auch alle wissen.
Die Rede aus dem April geht viral
Die Rede aus dem Bayerischen Hof ist zwei Monate alt. Mitte April dieses Jahres fand die Veranstaltung statt, doch erst jetzt fand sie den Weg ins Internet – und geht viral, wird in den sozialen Netzwerken massenhaft geteilt und deutlich kommentiert. Sie wird beklatscht und auch kritisiert. Auf X (ehemals Twitter) wird er für Aussagen gefeiert. Es wird ihm auch vorgehalten, zu lamentieren, aber nichts zu tun. Deutsche Debattenkultur im Jahr 2024. Dazu gehört auch: Die Rede wird in Kreisen thematisiert, die man vor-, aber auch unvoreingenommen als „eher rechts“ bezeichnen könnte. Es hat diesen Touch von: „Endlich sagt es mal einer!“
Weimer, Jahrgang 1959 und in den letzten Monaten seiner Amtszeit als Vorstandsvorsitzender eines Dax-Konzerns, ist auch im Nachgang gelassen: „Ich bin bekannt als Mann der klaren Worte“, sagt er der F.A.Z. auf Anfrage. „Nicht bekannt bin ich dafür, Probleme schönzureden. Das wird viel zu oft gemacht, und niemandem ist damit gedient – nicht der Wirtschaft, nicht der Politik und nicht der Gesellschaft. Wer meine Einlassungen allerdings dazu nutzt, rechtsextreme Positionen von Europafeindlichkeit und Fremdenhass zu befeuern, der ist auf dem Holzweg. Ich als Person stehe für Freiheit und Demokratie. Mein Anliegen ist es, für Deutschland und Europa den Wohlstand zu mehren. Als Bürger und als Wirtschaftsführer unterstütze ich das Projekt eines starken Europas.“ Wer auch immer Weimer instrumentalisieren wollte, hat damit eine Ansage. Seine.
Es lässt sich trefflich darüber spekulieren, ob der gebürtige Wertheimer damit gerechnet hat, dass seine Wutrede aus dem April dieses Jahres irgendwann den Weg in die breitere Öffentlichkeit findet. Hätte Weimer länger darüber nachgedacht, dann hätte er sich vielleicht die Einlassung zu den Dienstwagen verkniffen. Dass ihm sein Aufsichtsrat nämlich erkläre, man müsse auf CO2 aufpassen und die Dienstwagen kleiner machen. „Das ist doch dummes Zeug“, sagt Weimer. „Wir müssen die Dienstwagen größer machen. Das schafft nämlich Wachstum.“
Qua Amt im Austausch mit internationalen Investoren
Er ist als Investmentbanker, als Chef der Börse zwangsläufig im regen Austausch mit internationalen Investoren aus dem In- und Ausland. Die würden nur noch den Kopf schütteln. Wo denn die deutschen Tugenden geblieben seien, werde er, der liebe Theodor, gefragt. Die Gespräche hätten inzwischen fatalistischen Charakter. Wenn das alles so weitergehe, dann würden sie Deutschland meiden, weiter aus Deutschland rausgehen. „Wir sind zum Ramschladen geworden.“
Was hat Weimer wohl geritten in jenem April so offen seine Gedanken zum Standort Deutschland, der Migration, der Ampelregierung zu teilen? Wer ihn schon länger beobachtet, weiß, dass Weimer mit seinen Aussagen alles andere als ein One-Hit-Wonder ist. Der 64-Jährige ist kein Vorstandschef, dem auf den letzten Metern seiner beruflichen Karriere jetzt endlich mal der Kragen platzt und der nun wirklich mal sagt, was Sache ist.
Wer ihn im Gespräch erlebt, merkt sehr schnell, wie ihn allein schon das Klein-Klein am deutschen Kapitalmarkt aufregt. Weimer kann Klartext und Rage in Kombination. Auf die Frage, ob er den deutschen Markt abschreibe, sagte er Ende 2021 in einem Interview mit der F.A.Z: „Wir brauchen Ökosysteme, in denen Zukunftsunternehmen wachsen können. In Deutschland dauert Veränderung viel zu lange. Wir brauchen auch mehr Bereitschaft zum Risiko.“
Auf einer Veranstaltung der Deutschen Börse in Anwesenheit des Finanzministers Lindner, des „lieben Christian“, sagte Weimer im Februar, dass er sich für das Jahr wenig Ängstlichkeit und mehr Mut wünsche. Er konstatierte, dass Gegenwartswohlfahrt offenbar wichtiger sei als Zukunftsfestigkeit. „Die Wahrheit ist, wir können uns unser bisheriges Vorgehen einfach nicht mehr leisten.“ Deutschland sei ein Land, das im stabilen globalen Umfeld stark sei. „In Umbruchsituationen tun wir uns schwer.“
Schon im Februar, also zwei Monate vor der Rede im Bayerischen Hof, sagte er: „Der kleinste gemeinsame Nenner einer Drei-Parteien-Regierung wird den Herausforderungen nicht mehr gerecht.“ Die Migrationspolitik nannte er naiv und nicht am ökonomischen Interesse ausgerichtet.
Als Weimer 2018 die Führung der Deutschen Börse übernahm prägte er das Wort der „Hausmannskost“, die die Börse nach einigen – gescheiterten – Übernahmeplänen nun auftischen würde. Weimer hat wieder einmal bewiesen: Er mag es deftig.