Theater welcher Gegenwart: Pollesch gegen Richter – WELT

Die eigene Zeit in Gedanken zu verknüpfen, dasjenige nannte Hegel einmal dasjenige Wesen welcher Philosophie. Im Theater sind es nicht nur die Gedanken, sondern Bilder und Dichtung, Atmosphären und Situationen. Gefühlsgedanken kann man dasjenige nennen, welcher Begriff kommt von Kant. Doch welches heißt es, die eigene Zeit zu verknüpfen? Will die Kunst sich nicht mit immer bedeutungsärmeren Schlagworten (multiple Krisen, Rechtsruck) begnügen, muss sie tiefer bohren, um die schwergewichtig fassbaren tektonischen Verschiebungen welcher Epoche zu registrieren.

Als Stückeschreiber und Regisseure sind Falk Richter und René Pollesch publiziert zu Gunsten von ihr seismografisches Gegenwartstheater, in dem Pop hinauf Kritik trifft. Mit „Unter Eis“ zerlegte Richter den Zeitgeist des New Management (phantastisch: Thomas Thieme denn Paul Niemand). Es folgte „Trust“, wo dasjenige Platzen fauler Kredite mit dem Verlust von Vertrauen im Privaten verknüpft wurde. Und Pollesch erkundete mit Fabian Hinrichs in „Ich schau dir in die Augen, gesellschaftlicher Verblendungszusammenhang“ und „Kill Your Darlings! Street of Berladelphia“ die Abgründe des hypervernetzten, handkehrum haltlosen postmodernen Subjekts.

Und jetzt? Die Grundtonart ist Moll, dasjenige lässt sich sowohl via „Bad Kingdom“ von Richter denn zweitrangig „ja nichts ist ok“ von Pollesch und Hinrichs sagen. Beide Stücke feierten Mitte Februar ihre Uraufführung, am gleichen Tag. Und in beiden Aufführungen sind im Hintergrund Bilder von Bomben hinauf Gaza oder israelischen Soldaten in Tunneln zu sehen. Weder wohnhaft bei Richter noch wohnhaft bei Pollesch wird dasjenige zum Anlass zu Gunsten von Statements genommen, es verdeutlicht tendenziell die spürbaren Auswirkungen, die dasjenige zweitrangig hinauf den Kulturbetrieb hat.

„Bad Kingdom“ – zwischen Playmobil-Burg und Latex-Paradies

In „Bad Kingdom“ tritt Ursina Lardi denn Komponistin und Pianistin hinauf, die – Achtung, Cancel Culture! – von einer Assistentin vor öffentlichen Auftritten instruiert wird. Was soll man zum Krieg sagen? Oder besser gar nichts sagen? Vermeiden lässt es sich nicht, ihre neueste Komposition behandelt den Krieg. Auf dem Handy schaut sie nur noch Hundevideos, sie hält die Gewalt und Zerstörung hinauf dem Bildschirm nicht mehr aus. Richter zeichnet dasjenige Bild eines zerrütteten Künstlers, zermürbt von Wirklichkeit, Medien und Öffentlichkeit.

Da gibt es den Popmusiker, welcher keine Lieder mehr zustande bekommt, nur noch Bruchstücke. Und seinen Freund, welcher aus dieser verzweifelten Stimmung zusammensetzen Film macht, welcher „Die Stunde, da wir nichts voneinander wissen wollten – 71 Fragmente welcher Einsamkeit“ heißen soll. Vor allem handkehrum schauen sich die beiden beim Sex nicht mehr in die Augen, weswegen sie hinauf Sitzbällen wohnhaft bei welcher zweitrangig von Lardi gespielten Therapeutin hocken, die in der Tat mit ihrer eigenen verwandt desolaten Lage beschäftigt ist. Alle sind trostlos, die Gesamtheit sind unglücklich.

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Zum narzisstischen Selbstverlust welcher Figuren passt dasjenige spiegelglatte Kulisse, eine Mischung aus Playmobil-Burg und Latex-Paradies, via dem eine Videoleinwand thront. Die Grenzen zwischen dem Filmdreh und welcher Handlung werden immer durchlässiger, es wirkt wie eine Farce welcher Farce. Berührend ist solche Fernsehfilmverzweiflung (nächtlicher Deprispaziergang durch leere Berliner Straßen) jedoch so gut wie nie, außer denn Jule Böwe mit ihrer brüchigen Stimme zusammensetzen Weltschmerzmonolog denn kaputte Filmproduzentin hat.

Richter stellt nicht nur eine klischeehafte Ultrakaputtheit („Ich kann dich nicht mehr wahrnehmen, schau mich doch mal an!“) hinauf die Boden, er will zweitrangig gleich eine Erklärung mitliefern. Und da kommt zum ästhetischen dasjenige intellektuelle Missvergnügen hinzu. Eine Influencerin berichtet via Einsamkeit oder die himmelschreiende Ungleichverteilung des gesellschaftlichen Reichtums, die in den Erbfeudalismus führt. Und von kurzer Dauer vor Ende welcher zweieinhalb Stunden haut einem die Therapeutin noch ein Kurzreferat via die psychotische Gesellschaft rein, dasjenige nachdem einem Ausschnitt aus Ariadne von Schirachs Sachbuch zum Thema klingt.

So passiert irgendetwas Eigenartiges: „Bad Kingdom“ verbindet zusammensetzen Profit an unernster Parodie mit einem überernsten Mitteilungsbedürfnis. Weil die Message via den Phänomenen steht, werden solche welcher Lächerlichkeit preisgeben, um welcher Aussage jeden möglichen Widerstand zu rauben. In seinem vorigen Stück an welcher Schaubühne erkundete Richter seine eigene Familiengeschichte, ein berührender Soloabend von dem grandiosen Dimitrij Schaad. „The Silence“, kürzlich eingeladen zum Berliner Theatertreffen, beeindruckt durch eine Feinfühligkeit und ästhetische Offenheit, die „Bad Kingdom“ abgeht.

„ja nichts ist ok“ – Abgründe des WG-Lebens

Hat man den Eindruck bekommen, dass Richter es vermeidet, sich ohne Deutung in dem Material zu in Bewegung setzen, ist es wohnhaft bei Pollesch und Hinrichs dasjenige Gegenteil. „ja nichts ist ok“ ist ein großer, handkehrum zweitrangig ein rätselhafter Abend, den man nachdem 80 Minuten ohne Sachbuch- und Therapieempfehlung, dazu hinauf eigenartige Weise angeregt und beseelt verlässt. Es beginnt krass: „Hilfe“-Rufe hinter geschlossenem Vorhang, Hinrichs zerritzt seinen nackten Leib mit einem Messer, springt in zusammensetzen Pool, Wasser spritzt, ein imaginäres Gegenvia wird zu Boden geschmissen, getreten. Es läuft „Zu kalt“ von Slime: „Keine Gefühle, keine Blöße.“

Es ist ein unglaublicher Soloabend zu Gunsten von Hinrichs, welcher sich mit frech komischer Langsamkeit von einer Rolle zur nächsten in welcher 4er-WG begibt, die eine von Anna Viebrock entworfene modernistische Flachdachvilla mit Pool behaust, wie sie in Palm Springs stillstehen könnte. Man führt – wer je in einer WG gelebt hat, kennt es – Gespräche via Sauberkeit, handkehrum zweitrangig via Politik. „Claudia, ich möchte, dass du ausziehst aus welcher Wohnung. Ich halte dasjenige nicht mehr aus, deine Haare sind überall“, ruft Hinrichs in den leeren Bühnenraum.

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Aus DHL-Pakten errichtet Hinrichs eine Mauer zwischen zwei Mitbewohnern. Es gab Streit, nun will man sich nicht mehr sehen. „Man kann doch nicht simpel schwere Bomben hinauf Wohngebiete schmeißen! Das geht nicht! – Doch.“ Es ist unübertroffen, wie Pollesch und Hinrichs die zur Phrase geronnene Alltagskommunikation denn Material benutzen, wie sie aus dem neurotischen Gefasel eines Milieus tatsächlich eine Conditio Humana des 21. Jahrhunderts niederschlagen. Alles ist Kommunikation, handkehrum nur wenig hat Bedeutung.

Wie sollen Menschen, deren größte Sorge die hygienische Verfassung ihres Inneren und ihres nächsten Umfelds ist, hinauf große politische Widersprüche reagieren? „Ja, man denkt vielleicht: Wenn die Anderen weg sind, von denen man dachte, dass man ihre Anwesenheit nimmer erträgt, dann wird es besser. Aber wenn man dann jeden möglichen Raum verlassen hat, den man nicht mehr erträgt, dann findet man vielleicht raus, dass es die eigene Anwesenheit ist, die man nicht erträgt, Pünktchen Pünktchen Pünktchen“, sagt Hinrichs. Alles wegcanceln ist zweitrangig keine Problemlösung zu Gunsten von solche Unerträglichkeit.

Man folgt den banalen Abgründen des WG-Lebens, in dem welcher KI-gesteuerte Kühlschrank so gut wie noch am wenigsten wie ein Sprachautomat wirkt. Zumindest solange bis zu einem großen Gefühlsausbruch nachdem einer wundervollen Nachtszene („Kannst du mal Petition nicht immer so rascheln!“), welcher von heftigsten Ambivalenzen geprägt ist. Es ist eine Hassrede welcher guten alten Schule, nicht dieses ressentimentgeladene Kommentarspaltenzeug, sondern ein edler Aufruhr, welcher sein Gegenteil – die Liebe – noch in welcher Übersteigerung mitschleift. Hinrichs sagt: „Der Mensch. Er ist rabiat, handkehrum ich liebe ihn zweitrangig sehr, ich liebe den Menschen.“

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„Wer ist welcher Vierte in welcher WG?“, fragt Hinrichs irgendwann. Das hatte man sich tatsächlich zweitrangig schon gefragt. Der hockt mit dem Gewehr hinauf dem Dach und schießt hinauf ein Country-Festival in Las Vegas (ein realer Fall aus dem Jahr 2017 mit 58 Toten und 850 Verletzten). Der blinde Fleck welcher WG führt zu einem drastischen Verbrechen, wohnhaft bei dem welcher Angriff hinauf dasjenige Supernova-Festival in Israel mitschwingt. Wie konnte man nur den vierten Mitbewohner so sehr aus den Augen verlieren?

„ja nichts ist ok“ lässt sich denn Psychogramm einer durch Vereinzelung und Abgrenzung schwergewichtig in Mitleidenschaft gezogenen und selbstbezogenen Öffentlichkeit verstehen. Und zusammen denn eine Antwort hinauf dasjenige vorige Stück des Duos mit dem Titel „Geht es dir gut?“, dasjenige zu einem ähnlichen Schluss nachdem den Corona-Jahren kam (einer welcher seltenen Fälle im Theater mit ein paar guten Witze via solche Zeit des Wahnsinns). Pollesch und Hinrichs sind wie Sucher nachdem Überresten von Ansprechbarkeit in den in neurotischen Ruinen des heutigen Menschen.

Nur liegt die Hoffnung zu Gunsten von die Zukunft weit zurück. „Vor 560 Millionen Jahren war dasjenige Leben noch gewaltfrei.“ Als noch die Gliederfüßer die Riesenozeane bevölkerten, wie Hinrichs erzählt. „Und dann fragt man sich natürlich, wie kann dieser Friedensprozess wiederbelebt werden!“ Mit einer solchen Naivität schauen Pollesch und Hinrichs, ob sich noch irgendetwas regt im Kältestrom welcher Epoche. „ja nichts ist ok“ ist vielleicht keine Axt zu Gunsten von dasjenige gefrorene Meer in uns, handkehrum doch ein Vorleger wundersamer Eispickel, von dem man noch nicht weiß, wie man ihn gewissermaßen benutzen soll. So rätselhaft ist die Gesamtheit Kunst, die ins Ungefähre knacken will.

Source: welt.de

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