Vor 45 Jahren, kurz nach dem Putsch der Generäle „zum Schutz und zur Sicherung der Republik“ 1980, war ich mit dem Schriftsteller Peter Rühmkorf und dem Übersetzer Curt Meyer-Clason Gast des Goethe-Instituts in Istanbul. Eine hässliche Blutspur zog sich durch das ganze Land. Man sprach von Säuberungen, Folter und 5.000 Todesurteilen, von Bücherverbrennungen, Kriegsrecht und Zensur, und an jeder Ecke standen junge Soldaten mit dem Maschinengewehr im Anschlag, die uns sogar – zum Entsetzen Rühmkorfs – während unserer Lesung bewachten. Es war bitterkalt. Als sich einmal die Sonne sehen ließ, standen die Menschen stumm auf dem Taksim-Platz und streckten die Hände aus, um etwas Wärme zu ergattern. Bei einem Treffen mit türkischen Autoren in einem Fischlokal am Bosporus schloss der Wirt hinter uns die Tür ab und verkündete, dass jetzt in seinem Gasthaus 250 Jahre Gefängnis versammelt seien: Keiner der anwesenden Autoren war nicht schon wenigstens einmal verurteilt worden. Aziz Nesin, ein berühmter Satiriker, der zehn Jahre später wegen der Veröffentlichung einiger Kapitel des Romans Satanische Verse von Salman Rushdie nur knapp einem islamistischen Anschlag entging, hielt den Rekord: Er musste in seinem Leben mehr als hundert Prozesse überstehen. Wenn wir durch die Fenster des Lokals auf den Bosporus schauten, sahen wir auf einen brennenden rumänischen Öltanker, die Independenta, die seit Tagen wie ein Menetekel eine schwarze, stinkende Rauchwolke produzierte, die sich über der Stadt ausbreitete.