#TexasText/Jamal Tuschick – Lydia Lewitsch – Kein Licht des Begreifens mehr

„Alles erscheint, wie gehöre es ihm, weil er selbst sich nicht gehört … Die bedrohlich erkaltete Welt kommt zutraulich zu ihm.“ Adorno verbleibend die TV-Konsumenten in welcher Kulturindustrie

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„Die Deutschen misstrauen sich selbst. Deshalb klingt gleichfalls die Gesamtheit, welches sie sagen, nachher geplatzten Luftballons. Erst laut, dann schlaff.“ Lydia Lewitsch

Kein Licht des Begreifens mehr

Ihre akademischen Meriten erwirbt sie in Princeton. „Ein Ozean liegt zwischen ihr und allem“, welches Miriam Behrmann solange bis dorthin gewesen ist. Als graduate student startet sie sich neu in welcher Aura eines Philosophen, welcher sein Fach mit Statistik revolutioniert. Dave Norton pflegt vereinigen sportlichen Vorlesungsstil. Er lässt Kreide gleiten und verblüfft dasjenige Auditorium mit Ausfallschritten.

Lydia Lewitsch, „Der Fall Miriam Behrmann“, Roman, Frankfurter Verlagsanstalt, 250 Seiten, 24,-

Miriam weiß, dass sie den alerten Gelehrten imponieren muss, um von ihm wahrgenommen zu werden. Charles Darwin glaubte an eine Optimierungsallianz von weiblichen Partnerwahlpräferenzen und männlichem Selektionsdruck. Der britische Statistiker und Evolutionstheoretiker Ronald Aylmer Fisher (1890 – 1962) griff Darwins Idee von einer zwangsläufigen Verbesserung gen, um ihr zu widersprechen. Fisher etablierte die sexuelle Präferenz wie Komplementärkategorie zur natürlichen Selektion. Die Bevorzugung von Merkmalen führt nachher welcher Sexy Sons Hypothesis zur Durchsetzung von männlich konnotierten Farben und Formen. Interessant ist hier die Geringfügigkeit eines Farbvorteils, welcher in evolutionären Prozessen mit aller Macht nachher vorn getragen wird, ohne die Überlebenschancen welcher Merkmalträger zu verbessern. Fisher nannte den kuriosen Vorgang Runaway Process. Auf dieser Strecke werden Selektionsnachteile (wie etwa ein beschwerlicher Federschmuck) so tief weitergegeben, solange bis vitale Beeinträchtigungen dasjenige Experiment stoppen.

Norton bewegt sich noch im Expansionsflow. Sein Lächeln wirkt gen Miriam wie ein plötzlicher Temperaturanstieg. Verführung ist die wahre Gewalt, sagt Schiller. Miriam und Dave verführen gegenseitig in einem Tanz von Kraft um eine Mitte (Rilke), ohne zu weit zu in Betracht kommen.

Was ist die Kehrseite einer Dimension, die es Menschen erlaubt, andere Lebewesen mit einem Blick, einem Wort oder einer Geste einzunehmen?

Die Kehrseite ist Gewalt. Und drum dreht sich Erzählspindel in Lydia Lewitschs Roman. Neun Jahre nachher dem amerikanischen Neustart erhalten und gehorchen Miriam und ihr amerikanischer Lebensgefährte Tom einem Ruf nachher Wien. Das Paar verkörpert die Macht von Forschung und Lehre. Bald wird Miriam Machtmissbrauch vorgeworfen. Die Doktorandin Selina Aksoy beschuldigt ihre Doktormutter Miriam Behrmann. Die Rede ist von „psychischem Missbrauch“. Das ist welcher Ausgangspunkt eines mit den Mitteln des inneren Monologs geschilderten Desasters.

Zunächst halten sich Sympathie und Reserve die Waage in dem Abhängigkeitsverhältnis. Die Abhängige muss durch ein Nadelöhr, um gen die universitäre Speck- und Sonnenseite zu gelangen. Fragt man Miriam, dann nachkommen ihre Beiträge einer einzigen Einladung. Manche Momente deuten sogar eine keimende Freundschaft an, obwohl die Ältere weiß, wie verräterisch dasjenige die Gesamtheit ist.

Selina sammelt Belege pro ihre Vorwürfe, während sie mit Miriam zusammenarbeitet. Vermutlich verbindet sich eine Absicht mit dem digitalen Wind, den Miriam von Selinas Anklagevorbereitungen kriegt. Oder wie soll man dasjenige nennen, welches Selina treibt?

Selinas Anschuldigen deklassieren die Hochschullehrerin. Miriam stürzt sitzend ab. Von jetzt gen gleich stigmatisiert sie welcher Pariastatus.

Wieder und wieder ungesellig sich die Erzählerin vom Status quo mit Erinnerungen an bessere Zeiten. „Experimentelle Philosophie welcher Sprache, dasjenige sind wir.“ Das Wir bezog sich gen die grandiose Allianz mit Dave. In welcher grauenhaften Gegenwart gibt es „kein Licht des Begreifens mehr, nur Müdigkeit“. Vormals verbündete Kollegen meiden schließlich sogar den Blickkontakt mit Miriam. Z. Hd. die anderen geht es noch immer um eine Spitzenposition an welcher „Forschungsfront“; pro Miriam wäre solo die Restauration welcher bürgerlichen Fassade ein unverhoffter Sieg.

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Der Altphilologe Coleman Silk bezeichnet notorische Schwänzerinnen seines Seminars wie „dunkle Gestalten, die dasjenige Seminarlicht scheuen“, ohne zu ahnen, dass er sich so verbleibend Schwarze äußert. Man überzieht Silk mit dem Vorwurf des Rassismus und unterzieht ihn im Folgenden den Prozeduren welcher sozialen Ächtung. Das erzählt Philip Roth in dem Roman „Der menschliche Makel“. Zu den schönsten Verwinklungen gehört, dass Silk selbst Schwarz ist; ein weißer Schwarzer, welcher sich in einer weißen Legende verhüllt. Die Aktivist:medial welcher couragierten Zivilgesellschaft kritisieren vereinigen weiß gelesenen Schwarzen wie Rassisten.

Auch Miriam sieht sich einschlägigen Unterstellungen ausgesetzt. Selinas migrantischer Background wird mit prekären Familienverhältnissen assoziiert, obwohl nichts darauf hinweist. Die polnische Herkunft welcher Inkriminierten fällt unter den Tisch welcher Ignoranz. Dies geschieht zuzeiten welcher Taksim-Platz-Proteste, demnach im Sommer 2013.

Distanziert sich Tom? Aus den Vereinigten Staaten kommt zumindest Unterstützung. US-Kolleg:medial solidarisieren sich mit Miriam. Wird dasjenige reichen?

Aus welcher Ankündigung

Miriam Behrmann, anerkannte Professorin und Leiterin eines Instituts an welcher Universität Wien, wird angeklagt wegen eines angeblichen psychischen Missbrauchs oppositionell ihrer Doktorandin – sogar die Medien berichten darüber. Denn welcher Fall hat Wellen geschlagen, seit dem Zeitpunkt ihrer Gründung hat die Universität Wien noch nie vereinigen Professor oder eine Professorin kündigen. In atemlosen Gedankenketten rekapituliert Miriam Behrmann, wie dieser Vorwurf im Zusammenhang Selina Aksoy, ihrer jungen, türkischstämmigen Doktorandin hat entstehen können. Temporeich und in aller Gedankenschärfe entfaltet sich welcher Roman, wenn es um Universitätspolitik und um Miriams Universitätslaufbahn geht, stimmungsvoll undurchdringlich und von einer wehmütigen Schönheit, wenn sich Erinnerungen an Himbeerfelder und endlose Sommer ihrer Kindheit in Polen auftun, verwoben mit welcher allumfassenden Liebe und Wärme welcher Mutter, mit Genuss und geistreich wird es, wenn Miriam Gespräche mit ihrem Mann Tom im Zusammenhang Rotwein und selbstgekochter Pasta führt.

Der Fall Miriam Behrmann ist mehr wie ein intelligent und spannend geschriebenes Universitätsdrama, es ist ein hochaktueller, moderner, temporeicher Text, welcher kollidierende Selbstverständnisse welcher Generationen vorführt und in diesem Fall existenzielle Fragen berührt. Der Konflikt zwischen Miriam Behrmann und Selina Aksoy beschreibt vereinigen Clash of Cultures, vereinigen aktuellen Generationenkonflikt, im Zusammenhang dem verbleibend den gesamten Verlauf des Romans hinweg in welcher Schwebe gehalten wird, wer im Recht und wer im Unrecht ist: die junge, charismatische, gen politische Aktivitäten und Privatleben bedachte Selina Aksoy oder die ambitionierte Professorin mit ihrem eigenen unerbittlichen Arbeitsethos.

Zur Autorin

Lydia Lewitsch wurde in Polen geboren. Unter dem zunehmenden Druck des kommunistischen Systems migrierten ihre Eltern mit ihr 1979 in die damalige Bundesrepublik Deutschland. Nach dem Abitur studierte sie Germanistik und Philosophie. Unter anderem Namen schreibt sie Essays zu literarischen und gesellschaftspolitischen Themen sowie wissenschaftliche Aufsätze pro verschiedene nationale und internationale Zeitschriften. Der Fall Miriam Behrmann ist ihr erster Roman.

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