Familienmeute
„Die Sonne schien an dem Abend noch lange nach Einbruch der Dunkelheit.“ Musenzeit
„Auf unseren Reisen durch die Welt stießen wir immer wieder auf Leichen im Besichtigungsangebot.“ Gabriele Koubek
In den 1950er-Jahren entstand in und an der Enz ein Fluss- und Lichtbad. Eine beinah unberührte Ursprünglichkeit säumt die Anlage im Spektrum zwischen Straßenranddschungel, Böschung und Luftwurzellabyrinth.
Karibisch findet Keno die Augenblicksstimmung. Er verbirgt sich vor der Familienmeute im Unterholz. Seine Mutter Doris krault jenseits der Flussbadgrenzen.
Die Duschen und Umkleiden befinden sich in einer karmesinroten Baracke. Wie ein Schildhäuschen steht die Pommesbude auf der Liegewiese. Die Kinderschlange davor verändert ständig ihre Gestalt.
Kenos Stiefvater Raimund präsentiert seinen Vorturnerkörper im Lotussitz.
Doris und Raimund sind sich in Indien über den Weg gelaufen. Sie hätten sich auch bei einem Kraichgauer Weinfest kennenlernen können. Raimund stammt aus Knittlingen – der Geburtsstadt des Magiers Johann Georg Faust. Doris wurde im Kreiskrankenhaus Mühlacker geboren. Siebzehn Autofahrminuten verstreichen zwischen den Städten, wenn man sich an die Straßenverkehrsordnung hält.
Die gemeinsame Heimat war ein Argument in der Fremde. Zuhause zieht es nicht mehr. Auch die von Osho gepredigte Göttlichkeit der Sexualität, Stichwort From Sex to Superconsciousness, verliert in dem umgebauten Stallschober, den sich Doris, Keno und Raimund mit einer Fledermauskolonie und noch viel mehr nachtaktiven Geschöpfen teilen, ihre kosmische Dimension.
Sogar Betty nennt ihren Mann Chef. Im Kreis ihrer auf Handtüchern lagernden Nachkommen ruht sie auf einer Campingliege. Die Mutter von sieben Töchtern bringt das Kunststück fertig, das Gewese prahlender Boomer gleichzeitig missbilligend und mit altruistischem Behagen zu betrachten.
Betty studiert eine verbotene Vertraulichkeit. Neben Raimund hockt Iris beinah abstandslos. Die Anziehungskraft plättet den Schicklichkeitssaum. Iris gehört zur Familie. Seit ihrer Kindheit verbringt sie mehr Zeit auf der Koppel als bei ihren Leuten. Iris liebt Pferde und die Großzügigkeit der Haushaltsführung ihrer Gastgeber. Ihr Bikini exponiert ausladende Hüften und einen flachen Rumpf.
Betty mustert Raimunds von innerer Leere verödeten, blöd-stolzen Züge. Sie fürchtet und verachtet die infamen Ausflüchte, mit denen sich Raimund über die Runden rettet. Er hat sich ins gemachte Nest gesetzt.
Doris taucht wieder auf. Unbesorgt wringt sie ihr Haar vor Raimunds Füßen. Sie wirkt völlig arglos. Sie hat Iris aufwachsen sehen. Für Doris ist das pferdeverrückte Mädchen ein ausgebeutetes und erschreckend leicht zu befriedigendes Kind.