Drakonische Nächstenliebe
1579 erreicht Alessandro Valignano (1539 – 1606) Japan. Offiziell trägt der Delegierte des Papstes den Titel Apostolischer Visitor. Im fernen Osten kommt sein Mandat der päpstlichen Unfehlbarkeit gleich.
Der ranghöchste Missionar der Societas Jesu erscheint als Modernisierer des Bekehrungswesens. Zwar will auch Valignano die Christianisierung in Japan rigoros vortreiben und unumkehrbar machen – dies jedoch im Einklang mit lokalen Gepflogenheiten. Seine Ambitionen koinzidieren und kollidieren mit den Absichten und dem Ehrgeiz einheimischer Territorialfürsten.
Der Kaiser (Tenno) ist machtlos und zugleich unantastbar. Er verkörpert die Idee und das Ideal der Reichseinigkeit. Der Aushilfspapst kommt in einer Konsolidierungsphase ins Spiel. Er sucht die Gunst jener, die beim Kampf um Japan die Nase vorn haben. Ihm zur Seite steht der stattliche Sklave Issak aka Yasuke. Dem leibeigenen Leibwächter widmet sich Craig Shreve in seinem Roman „nach einer wahren Begebenheit“. Lauter historisch verbürgte Akteure geben den Schilderungen die Aura des Faktischen.
Craig Shreve, „African Samurai“, Roman, übersetzt von Urban Hofstetter, Droemer, 318 Seiten, 22,-
Yasuke geografische Herkunft bleibt weitgehend unbestimmt. Shreves Held wird als Kind von Sklavenhändlern verschleppt. Er schuftet in einer Mine, absolviert eine Söldnerschule, überlebt knapp einen Fluchtversuch und verrichtet Fron-, Spann- und Wehrdienste in einem portugiesischen Heerhaufen. Als ausgemusterter Kindersoldat gerät Yasuke in die Fänge der Jesuiten. Die christlichen Brüder praktizieren drakonische Nächstenliebe. Sie erziehen den Knaben nach Vorgaben einer barbarischen Pädagogik. Endlich gerät Yasuke an Valignano. Der Diplomat würdigt die Fähigkeiten des Unfreien in einem herausfordernden Programm. Deshalb verblüfft Yasuke die Japaner nicht nur mit hypertropher Physis, sondern auch mit seinen Sprachkenntnissen. Der olympisch Dimensionierte erregt überall Aufsehen. Einmal löst er einen Tumult aus.
Bei seinen vatikanischen Manövern heiligt der Zweck die Mittel: Valignano setzt die überwältigende Wirkung Yasukes ein, um dem Christentum in Japan eine Bresche zu schlagen. Seine Mission startet er im Herrschaftsgebiet von Ōmura Sumitada (1533 – 1587). Nach heutigen Topografie-Begriffen beherrscht der Daimyō die Agglomeration Nagasaki.
Nagasaki ist in Jahrhunderten Japans einziges Tor zur Welt. Die Präfektur Nagasaki weist die längste japanische Küstenlinie auf. Ihre ozeanische Referenz ist das Ostchinesische Meer. Sie liegt hauptsächlich auf der Insel Kyūshū.
Valignano sucht den vatikanischen Vorteil mit allen Mitteln. Der Kirchenstaatsmann verschenkt sogar seinen Bodyguard. Er beglückt den mächtigsten Daimyō im Augenblick der Ereignisse.
Oda Nobunaga erkennt rasch Yasukes Potential. Der Potentat adelt den exotischen Superathleten. Er gewährt ihm die Privilegien eines Samurai/Bushi. Das weckt den Unmut anderer Gefolgsmänner. Sie fühlen sich von Yasukes Nobilitierung deklassiert.
Yasuke reüssiert als Ringer. Die Darstellung eines Schwarzen Sumōtori auf einem antiken Paravent verweist auf den Kanonisierungswillen einer epochalen Durchbrechung des Überkommenen. Yasuke sprengt die Grenzen der neuzeitlich-japanischen Erfahrungswelt. Bei der Schlacht von Tenmokuzan (am 11. März 1582) zeichnet er sich aus. Er verteidigt seinen Lehnsherrn gegen eine Übermacht, die von dem Abtrünnigen Akechi Mitsuhides angeführt wird. Im Juni 1582 sieht sich Nobunaga gezwungen, in Kyōto Seppuku zu begehen. Yasuke dient Nobunagas Nachfolger, bis er in Gefangenschaft gerät. Akechi lässt ihn am Leben, wenn auch unter schmachvollen Bedingungen.
Shreve vermeidet biografische Spekulationen. Seine Schilderungen übersteigen das Verbürgte kaum über Ausschmückungen hinaus. Yasukes Spur verliert sich im Legendenmeer.