André Thierig steht beinahe andächtig vor der riesigen Gussmaschine in der mehr als 220.000 Quadratmeter großen Fabrikhalle vor den Toren Berlins. „Die Gießerei ist ein technologisches Highlight der Fabrik“, sagt der Werkleiter der Autofabrik von Tesla in Grünheide. Hier wird Aluminium eingeschmolzen und in Karosserieteile gegossen. Die Zahl der Einzelteile für eine Karosserie wird mit dem von Tesla entwickelten Verfahren deutlich reduziert. Das spart im Karosseriebau Zeit und Geld.
Neu sei nicht das Gussverfahren, sondern die Fähigkeit, auf diesem Weg mehr als hundert Kilogramm schwere Aluminiumgussteile in weniger als 90 Sekunden zu gießen, mit einer hydraulischen Schließkraft von bis zu 9000 Tonnen zu pressen und so schnell abzukühlen, dass sie ihre Form danach nicht mehr verändern, sagt Thierig. Es ist eine der Innovationen, mit denen Tesla versucht, die Automobilbranche vor sich herzutreiben. Fotografen haben in diesem Teil der Fabrik Pause, zu viel geistiges Eigentum steckt in der Maschine. Denn auch in Grünheide wird weiter an dem Verfahren getüftelt. „Da sehen wir ganz klar die technologische Zukunft im Automobilbau: noch mehr Aluminiumgussteile und noch größere Gussteile“, sagt Thierig.
Die künftige Entwicklung des Absatzmarkts für Elektrofahrzeuge ist derzeit nicht so leicht abzuschätzen. Für den bislang einzigen Produktionsstandort von Tesla in Europa ist Thierig trotz der Krise auf dem europäischen Markt zuversichtlich. „Wir treffen die Vorbereitungen für einen schnellen Ausbau“, sagt er zu den Erweiterungsplänen für die Fabrik in Grünheide auf eine Produktionskapazität von bis zu einer Million Elektroautos jährlich. Wegen der anhaltenden Absatzschwäche hat der Konzern diese Pläne zurückgestellt.
Weniger Neuzulassungen
„Der Ausbau steht nicht in den Sternen, wir stehen hier in den Startlöchern“, sagt Thierig. Erst einmal müsse allerdings der Absatz wieder ins Laufen kommen – vor allem in Deutschland. Denn von Januar bis August wurden hier nach Angaben des KraftfahrtBundesamts nur noch etwas mehr als 26.000 Fahrzeuge von Tesla neu zugelassen. In den ersten acht Monaten des vergangenen Jahres waren es mehr als 47.000. Die Neuzulassungen von batterieelektrisch betriebenen Fahrzeugen in Deutschland insgesamt fielen bis Ende August im Vergleich mit den ersten beiden Jahresdritteln 2023 um knapp ein Drittel auf rund 242.000 Autos. Ihr Anteil an den Neuzulassungen in Deutschland sank von 18,6 auf 12,7 Prozent.
Hinter Thierig liegt selbst für turbulente Zeiten eine lebhafte Arbeitswoche. Am Montag nahm er am virtuellen Autogipfel mit Wirtschaftsminister Robert Habeck teil. Das bestimmende Thema war auch hier der Einbruch auf dem Markt für Elektroautos. In der Nacht zum Dienstag kam es zu einem Polizeieinsatz am Protestcamp in der Nähe der Tesla-Fabrik, in dem seit einem halben Jahr gegen die geplante Erweiterung des Werks protestiert wird. Grund für den Polizeieinsatz war der Start der Vorbereitungen für Baumaßnahmen der Deutschen Bahn. Sie will die Voraussetzungen für den Anschluss des geplanten Güterbahnhofs von Tesla an das Bahnnetz schaffen.
Wenige Stunden später wurde öffentlich, dass der Personalleiter der Tesla-Fabrik in Grünheide, Erik Demmler, in den vergangenen Wochen in Absprache mit Thierig unangekündigte Hausbesuche bei Mitarbeitern machte, die krankheitsbedingt zu Hause geblieben waren. Den Rest der Woche war der Werkleiter deshalb mit Verteidigungsarbeit beschäftigt – eine Position, die er aus den jahrelangen Auseinandersetzungen über die Ansiedlung von Tesla in Grünheide gewöhnt ist, seit Firmenchef Elon Musk dem ehemaligen Ford-Manager 2020 die Verantwortung für den Bau der Giga-Fabrik übertrug.
Im „Tesla-Tempo“
„We stay as Giga as we are“, steht auf dem T-Shirt, das Thierig und viele Mitarbeiter der Frühschicht an diesem Vormittag tragen. Wir bleiben so Giga, wie wir sind. Es klingt ein bisschen trotzig, und das ist wohl auch so beabsichtigt. Denn Tesla ist in Deutschland ein Aufreger, nicht erst seit dem Bau der neuen Fabrik. Der amerikanische Elektrowagenhersteller und sein Werk in Grünheide polarisieren fast so stark wie Firmenchef Elon Musk. Da gilt es, die Reihen geschlossen zu halten. „Wir definieren uns als disruptives Unternehmen, wir machen manche Dinge grundsätzlich anders und vor allem schnell“, sagt Thierig. Nicht von ungefähr hat sich „Tesla-Tempo“ in der deutschen Öffentlichkeit längst als Chiffre für Beschleunigung etabliert – allerdings nicht nur mit positiven Konnotationen. Das Tempo des Unternehmens sei für Wandel in Deutschland untypisch, räumt Thierig ein.
Dass Tesla bis heute in der Kritik steht, weil für die Fabrik Teile eines wirtschaftlich genutzten Forstes weichen mussten, für den das Unternehmen mit mehr als einer Million neu gepflanzter Bäume Ausgleich geschaffen hat, ärgert ihn trotzdem. Dass Umweltschützer beharrlich davor warnen, die Produktion von Tesla in Grünheide gefährde die Wasserversorgung für Berlin und Brandenburg, obwohl die industriellen Abwässer der Fabrik fast zur Gänze in der eigenen Aufbereitungsanlage gereinigt und als Prozesswasser wiederverwendet werden, kann er nicht nachvollziehen. Die Auflagen zum Naturschutz im Zuge der Genehmigungsverfahren habe Tesla alle übererfüllt, betont Thierig.
In der Kritik steht Tesla regelmäßig auch wegen der Arbeitsbedingungen in der Fabrik. „Beschäftigte aus fast allen Bereichen des Werks berichteten von extrem hoher Arbeitsbelastung“, sagt der Bezirksleiter der IG Metall Berlin-Brandenburg-Sachsen, Dirk Schulze. Bei der Betriebsratswahl in diesem Frühjahr trat die Gewerkschaft bei Tesla zum ersten Mal mit einer eigenen Liste an, zog gegen eine als managementfreundlich eingeschätzte Liste aber den Kürzeren. Die hohe Arbeitsbelastung sei der Grund für den hohen Krankenstand in der Fabrik, sagt Schulze. „Wenn Personal fehlt, werden die Kranken unter Druck gesetzt und die noch Gesunden mit zusätzlicher Arbeit überlastet. Wenn die Werkleitung den Krankenstand wirklich senken will, sollte sie diesen Teufelskreis durchbrechen“, sagt der Gewerkschaftsmann.
Tesla hat auf den hohen Krankenstand zuletzt mit unangekündigten Hausbesuchen bei krankgeschriebenen Mitarbeitern reagiert. „Das machen viele Unternehmen“, sagt Thierig, der einmal nicht die Alleinstellungsmerkmale von Tesla betont. Auslöser für die Maßnahme sei ein überdurchschnittlich hoher Krankenstand in den Sommermonaten gewesen. „Phasenweise hat er 15 Prozent oder mehr erreicht, auffällig waren zum Beispiel Freitage oder Spätschichten“, sagt der Tesla-Manager. Am letzten Tag vor den Betriebsferien im August fehlte in einer Schicht ein Fünftel der Beschäftigten.
Weitere Hausbesuche nicht ausgeschlossen
„Das ist kein Indikator für schlechte Arbeitsbedingungen, denn die Arbeitsbedingungen sind an allen Arbeitstagen und in allen Schichten gleich“, sagt Thierig. Die Zahlen seien vielmehr ein Hinweis darauf, dass hier das deutsche Sozialsystem ausgenutzt würde. Einen Generalverdacht gegen krankheitsbedingt abwesende Mitarbeiter gebe es nicht, betont Thierig. „Wir wollten den Mitarbeitern erklären, was die Konsequenz ist, wenn so viele Mitarbeiter fehlen“, sagt er. Seit der Sommerpause sei der Krankenstand zurückgegangen. Weitere Hausbesuche schließt Thierig nicht aus.
Die Produktion in der Fabrik läuft derzeit ohnehin mit gedrosseltem Tempo. Die rund 12.000 Beschäftigten in Grünheide rollen in drei Schichten an fünf Tagen rund 5000 Autos je Woche vom Band. „Wenn der Markt anzieht, könnten wir sehr schnell auf über 7000 Autos pro Wochen hochfahren“, sagt Thierig und zeigt auf einen der 600 Roboter, die in Grünheide allein für den Karosseriebau eingesetzt werden. Hier wird derzeit alle 60 Sekunden eine Karosse für ein Model Y von Tesla verschweißt. „Wir sind in der Lage, die Taktung wieder auf 45 Sekunden zu reduzieren“, sagt Thierig.
In den vergangenen Monaten hat der Hochlauf bei Elektrofahrzeugen nicht nur in Deutschland abgebremst, was auch an Grünheide nicht spurlos vorübergegangen ist. Tesla reduzierte die Zahl der Leiharbeiter und kündigte den Abbau von 400 Stellen an. Darüber hinaus seien keine Stellenkürzungen geplant, sagt Thierig. Die Absatzschwäche versucht Tesla in Grünheide unter anderem mit der Produktion von Rechtslenkern für Großbritannien und Irland zu kompensieren. Die in Grünheide hergestellten Mittelklassewagen vom Typ Model Y werden außerdem nach Taiwan und in einige Länder des Nahen Ostens geliefert.
Wie sinnvoll ist eine Kaufprämie für E-Autos?
Beim Autogipfel mit Wirtschaftsminister Robert Habeck wurde auch über die Neuauflage einer Kaufprämie für Elektrowagen diskutiert, um den Markt nach dem abrupten Ende für den sogenannten Umweltbonus wieder in Schwung zu bringen. Doch Thierig winkt ab. „Eine sehr langfristig finanzierte Prämie wird man politisch nicht vereinbaren können, und mit kurzfristigen Maßnahmen schafft man keinen stabilen Markt“, sagt er. In der aktuellen haushaltspolitischen Lage sollten andere Möglichkeiten genutzt werden, den Kostenvorteil von Elektrofahrzeugen bei der Anschaffung und im Betrieb gegenüber Verbrennern zu stärken.
„Wenn alle Flottenbetreiber ab dem nächsten Jahr verpflichtet würden, beispielsweise ein Fünftel ihrer neuen Fahrzeuge batterieelektrisch anzuschaffen, würde das nicht nur der Nachfrage helfen, sondern auch dafür sorgen, dass in kurzer Zeit ein großer Gebrauchtwagenmarkt für Elektrowagen entsteht“, schlägt er vor. Auch mit Blick auf Besteuerung, Leasingmodelle und Abschreibungsmöglichkeiten gebe es noch Handlungsspielraum. „Stattdessen wird über eine Revision der CO2-Flottenziele diskutiert. Das ist das falsche Signal, und das halten wir für ganz gefährlich“, sagt Thierig. Damit würden die Klimaziele nicht nur im Verkehrssektor gefährdet.
Der politische Spielraum für die Umsetzung von Klimazielen in Deutschland schrumpft. Das gilt auch für Brandenburg, den Produktionsstandort von Tesla. Mit der AfD und dem BSW haben bei der Landtagswahl vor einer Woche jedenfalls zwei Parteien triumphiert, die mit der bisherigen Klimapolitik brechen wollen. Die AfD hat im Wahlkampf auch wegen der Ansiedlung von Tesla Kritik an Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) geübt. Dass Woidke bei der Landtagswahl doch noch auf Platz eins durchs Ziel gegangen ist und Wirtschaftsminister Jörg Steinbach (SPD) gute Chancen hat, sein Amt zu behalten, dürfte bei Tesla für Erleichterung sorgen. Beide sind große Verfechter der Ansiedlung von Tesla, die sie mit eingefädelt haben. „Wir sind der größte Arbeitgeber in Brandenburg und werden natürlich mit jeder demokratischen Partei in der zukünftigen Landesregierung zusammenarbeiten“, sagt Thierig. Sie müsse vor allem in Sachen Entbürokratisierung und Digitalisierung anpacken.
Woidke und Steinbach zählten auch nach dem Brandanschlag von einer als linksextrem eingestuften Gruppe auf die Stromversorgung des Werks Anfang März zu den ersten Politikern, die ein klares Bekenntnis zu Tesla in Grünheide abgaben. Damals kam sogar Firmenchef Elon Musk im Privatjet nach Grünheide, um die Reihen in der Giga-Fabrik zu schließen. Die jüngsten politischen Einlassungen von Musk, der sich im amerikanischen Präsidentschaftswahlkampf für Donald Trump engagiert und sich in den sozialen Medien wohlwollend in Richtung AfD geäußert hat, kommentiert Thierig nicht. „Ich freue mich jedes Mal, wenn Elon Musk zu Besuch nach Grünheide kommt“, sagt er nur. Das sei wichtig für die Belegschaft und helfe, die besondere Identität von Tesla als Unternehmen zu bewahren.