„Tatort“ Stuttgart: Amen

Stuttgart liegt am Neckar. Darüber lässt sich nicht
streiten, wohingegen ungewiss ist, wie viel Wasser den Neckar noch
herunterfließen muss, bis der Tatort mehr als den großen Zeh in den
Teich hält, der Gegenwart heißt. Die neue Stuttgarter Folge Lass sie gehen
(SWR-Redaktion: Brigitte Dithard) ist ein gutes Beispiel dafür, wie alt der
ARD-Sonntagabendkrimi aussehen kann, wenn er Geschichten so erzählt, wie er sie
vor 30 Jahren auch hätte erzählen können.

Das Opfer ist Hanna Riedle (Mia Rainprechter), eine junge
Frau vom Lande, die keine Lust hatte, wie die Mutter (Julika Jenkins) die
elterliche Gastwirtschaft zu übernehmen, und deshalb für eine Tischlerlehre in
die Landeshauptstadt gezogen war. Die Abneigung gegen das Dorf demonstriert der
Film mit einer Szene bei einem Laufwettbewerb, die am Ende variiert wird.

Zu Beginn sprintet Hanna an der Spitze des Felds jubelnd der
Kamera (Michael Merkel) entgegen, am Ende sehen wir, wie sie kurz vor Ziel und Sieg
stoppt, das Feld passieren lässt, umdreht und sich in die entgegengesetzte
Richtung entfernt. Der Widerwille der jungen Frau gegen das Leben auf dem Land
ist so groß, dass Hanna mit Blick auf die fähnchenschwingende Dorfgemeinschaft
am Zieleinlauf den ersten Platz fahren lässt.

Dass diese Entscheidung mit einem Mord bestraft wird, der
Hanna wenig später in den Laufklamotten ereilt (Kostümbild: Anne-Gret Oehme),
schleppt etwas von der Moralinsäure der Kommissar– und Derrick-BRD
in den Tatort ein. In den Krimis von Herbert Reinecker, der wie Derrick-Darsteller
Horst Tappert Mitglied der Waffen-SS war, verlängerte sich die
Blut-und-Boden-Heimatseligkeit der NS-Zeit bis in die Achtzigerjahre in die
deutschen Wohnzimmer. Die Großstadt als Sündenpfuhl, in dem unschuldige Mädchen
leider umgebracht werden müssen, weil sie es gewagt hatten, in einer Regung von
Selbstbestimmung die väterliche Scholle zu verlassen. Dieses Setting schmückte
Reinecker lustvoll mit seinem kulturpessimistisch-misogynen Grusel aus, zu
sehen etwa in
der Kommissar-Folge Ohne auf Wiedersehen zu sagen
(1974). Die Ankunft auf
dem wuseligen Münchner Hauptbahnhof führt in dieser Weltsicht direkt in die
Zwangsprostitution.

In Lass sie gehen steht vor allem die Hanna-Mutter
für die Beharrungskräfte, sie nimmt dem eigenen Kind übel, dass es einen
anderen Lebensentwurf verfolgt. Mit ihrem Brass auf Stuttgart ist sie aber
nicht allein, ein Gast sorgt sich Kommissar Lannert (Richy Müller) gegenüber
einmal über die „Araber“ in der Metropole, obwohl in der fast
ausschließlich weißen deutschen Besetzung (Casting: Karen Wendland, Jacqueline
Rietz) die Andeutung postmigrantischen Lebens erst ganz am Ende auf den Namen
des Pizzaboten Luigi (Antonio Lallo) hört.

Stuttgart liegt am Neckar. Darüber lässt sich nicht
streiten, wohingegen ungewiss ist, wie viel Wasser den Neckar noch
herunterfließen muss, bis der Tatort mehr als den großen Zeh in den
Teich hält, der Gegenwart heißt. Die neue Stuttgarter Folge Lass sie gehen
(SWR-Redaktion: Brigitte Dithard) ist ein gutes Beispiel dafür, wie alt der
ARD-Sonntagabendkrimi aussehen kann, wenn er Geschichten so erzählt, wie er sie
vor 30 Jahren auch hätte erzählen können.

Das Opfer ist Hanna Riedle (Mia Rainprechter), eine junge
Frau vom Lande, die keine Lust hatte, wie die Mutter (Julika Jenkins) die
elterliche Gastwirtschaft zu übernehmen, und deshalb für eine Tischlerlehre in
die Landeshauptstadt gezogen war. Die Abneigung gegen das Dorf demonstriert der
Film mit einer Szene bei einem Laufwettbewerb, die am Ende variiert wird.

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