Die Beschäftigten im öffentlichen Dienst benötigen die Bürgerinnen und Bürger als Verbündete
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Auch die dritte Verhandlungsrunde für die rund 2,6 Millionen Beschäftigten im öffentlichen Dienst ist gescheitert. Wird Verdi nun streiken? Über drastischen Personalmangel, mediale Stimmungsmache und die Gefahr von rechts
Erschöpfte Beschäftigte und Personalmangel auf der einen, leere Kassen der Kommunen, die weder durch Schulden noch Steuern wieder gefüllt werden, auf der anderen Seite – es war bereits vorher klar, dass die aktuelle Tarifrunde des öffentlichen Diensts hart werden würde.
Für die Gewerkschaft Verdi ist das ein schwieriges Terrain. Es geht zwar um rund 2,6 Millionen Beschäftigte, die Belegschaften sind aber gespalten: durch Spartentarifverträge, zum Beispiel im Nahverkehr, oder durch Outsourcing in den eigenen Betrieben. Die Verhandlungsführung hatte sich deswegen bereits im Vorfeld Rückenwind geholt. Eine Mitgliederbefragung half beim Aufstellen der Forderungen: Eine Tariferhöhung um acht Prozent, ein Jahr Laufzeit, mindestens aber 350 Euro mehr im Monat, mindestens drei zusätzliche freie Tage sollten Verdi und der Beamtenbund dbb durchsetzen. Kurz: Die Beschäftigten wünschen sich – wenig überraschend angesichts von hohen Lebenshaltungskosten und dünnen Personaldecken – mehr Lohn, weniger Belastung.
Das hat Vorbilder in den eigenen Reihen: Krankenhaus-Tarifbewegungen haben gezeigt, dass Arbeitsbelastung durch Personalmangel in Tarifverträgen auch zur Aufgabe der Arbeitgeber gemacht werden kann.
Neue Bedingungen durch die Lockerung der Schuldenbremse?
Nach zwei Verhandlungsrunden ohne Vorschlag der Arbeitgeber zeigte die Gewerkschaft mit flächendeckenden Warnstreiks, unter anderem an Flughäfen, in der Müllentsorgung und in den Krankenhäusern, dass sie Teile der Belegschaften organisiert hinter sich hat. Trotzdem scheiterte Anfang der Woche auch die dritte Verhandlungsrunde. Den Arbeitgebern waren die Forderungen wohl zu teuer. Dabei war Bewegung in das festgefahrene Thema der leeren Kassen gekommen: Der designierte Kanzler Friedrich Merz (CDU) kündigte nach der Bundestagswahl an, die Schuldenbremse zu lockern.
Das ist auch eine Forderung von Verdi, um Soziales, Bildung und Gesundheit zu finanzieren. Seit sich CDU, SPD und Grüne auf Lockerung der Schuldenbremse geeinigt haben, ist klar, dass diese Bereiche – zugunsten von Investitionen in Aufrüstung, Industrie-Infrastruktur und Klimainvestitionsfonds – vom Tisch sind. Gleichzeitig verhandeln CDU und SPD aktuell über die neue Koalition: auf der Grundlage eines Sondierungspapiers, das noch mehr Kürzungen in der öffentlichen Daseinsvorsorge verspricht.
Um Teil der Berichterstattung zu werden, musste Verdi ordentlich Lärm machen, und auch dann war der Tenor nicht immer wohlgesinnt.
Die Arbeitgeber haben also Rückenwind, der Gewerkschaft fehlen die Verbündeten. Um Teil der Berichterstattung zu werden, musste Verdi ordentlich Lärm machen, und auch dann war der Tenor nicht immer wohlgesinnt: Einige Medien machten Stimmung gegen die angebliche „Maßlosigkeit der Verdi-Bosse“. Der rbb widmete mehrere Berichte und Social-Media-Beiträge vollen Mülltonnen – und machte so Stimmung gegen die Streikenden der Berliner Stadtreinigung. Dabei zeigt sich auch ein grundsätzliches Problem: Anders als bei Tarifauseinandersetzungen mit privatwirtschaftlichen Unternehmen sind die Leidtragenden der Verdi-Streiks die Bürgerinnen und Bürger, die die Beschäftigten als Verbündete brauchen.
Verdi muss sich entscheiden
Jetzt soll der ehemalige hessische Ministerpräsident Roland Koch (CDU) als stimmberechtigter Schlichter für eine Einigung sorgen, der in seiner Regierungszeit Kliniken, Haftanstalten und Immobilienunternehmen privatisierte. Damit geht aber auch eine Zeit der Friedenspflicht einher, in der sich Verdi klar werden muss: Traut sich die Gewerkschaft zu, ihre Forderungen zur Not mit Streiks durchzusetzen?
Dass sie dabei so allein auf weiter Flur sind, ist nicht nur der Nachteil der Beschäftigten. Wenn im Krankenhaus die Personaldecke noch dünner wird, wenn die Müllabfuhr ihre Stellen nicht mehr besetzen kann, leiden wir alle – und die einzigen, die weiter gewinnen werden, sind die Rechten.