Taiwan: Tschechien geht vereinigen Schritt, den Berlin sich nicht traut – WELT

Taiwans frühere Präsidentin Tsai Ing-wen bereist Europa, ist zu Gast in Brüssel – und in Tschechien. Dass sie Prag und nicht Berlin besucht, hat einen Grund: Keine andere westliche Regierung steht so konsequent an der Seite Taiwans wie die tschechische. Diese Politik zahlt sich gleich doppelt aus.

Petr Pavel musste lange auf sie warten. Doch schließlich konnte der tschechische Präsident doch noch Tsai Ing-wen die Hand geben – nach einem ersten Telefonat vor mehr als eineinhalb Jahren. Am Montag traf die ehemalige Präsidentin Taiwans Pavel am Rande der Konferenz Forum 2000 in Prag ein. Die beiden tauschten sich kurz aus; um ein offizielles Treffen indes handelte es sich nicht. Auch kam Tsai mit tschechischen Parlamentariern zusammen.

„Tsais Besuch scheint keine Vergeltungsmaßnahmen seitens Chinas auszulösen. Ihre Reise wurde als die einer Privatperson dargestellt, die an einer internationalen Konferenz teilnimmt“, ordnet im Gespräch mit WELT Ivana Karaskova ein, China-Expertin bei der Prager Denkfabrik Association for International Affairs.

Protest gegen den Aufenthalt von Tsai, die im Mai dieses Jahres ihr Amt an ihren Parteikollegen Lai Ching-te abgegeben hat, kam, wie zu erwarten war, dennoch aus der chinesischen Botschaft. Die Position Chinas in der Taiwan-Frage sei konsequent und klar, heißt es zu Tsais Tschechien-Besuch auf der Internetseite der Botschaft. Und sie sei entschieden gegen alle „Separatisten“, die für die „Unabhängigkeit Taiwans“ eintreten, egal unter welchem Namen, die in Länder reisen, die diplomatische Beziehungen zu China unterhalten, heißt es weiter.

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Die Volksrepublik versucht seit jeher weltweit ihre „Ein-China-Politik“ durchzusetzen; Vertreter von Staaten, zu denen Peking diplomatische Beziehungen unterhält, sollen sich demnach nicht mit Politikern aus Taiwan treffen, sie werden in der internationalen Politik nach Möglichkeit isoliert. Denn China erkennt die Unabhängigkeit des Inselstaates unweit seiner Küste nicht an und strebt nach einer „Wiedervereinigung“ – notfalls auch mit militärischen Mitteln, worauf immer wieder chinesische Manöver hindeuten.

Tschechien offenbar ficht das nicht an. Schon im Januar 2023 rief Pavel, damals designierter Präsident Tschechiens, Tsai an, um sich bei ihr für ihre Gratulationen für die gewonnene Wahl zu bedanken. „Wir haben vereinbart, unsere Partnerschaft zu stärken“, schrieb er seinerzeit auf „X“.

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Es war ein beispielloser Vorgang. Schließlich schrecken Spitzenpolitiker zumeist vor Kontakt zu ihren taiwanischen Amtskollegen zurück, aus Furcht vor einer Reaktion der Weltmacht China. Kontakte – und schon gar nicht öffentlich zur Schau getragen – bestehen stattdessen auf der Ebene von Staatssekretären oder darunter.

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Am Mittwoch reiste Tsai Ing-wen nun nach Paris, an diesem Donnerstag wird sie in Brüssel im EU-Parlament erwartet, wo sie sich mit Abgeordneten treffen soll. Auch diese Termine sind bemerkenswert, sie zeugen von einer zunehmend selbstbewussten Haltung der Europäer gegenüber Peking. Doch kein westliches Land stellt sich so konsequent an die Seite Taiwans wie Tschechien und geht damit im westlichen Bündnis, in EU und Nato, voran.

„Unser Land entwickelt seit mehr als 30 Jahren eine Zusammenarbeit mit Taiwan. In der Politik-Erklärung unserer Regierung wird Taiwan ausdrücklich als unser demokratischer Partner im indo-pazifischen Raum genannt“, sagt Jan Lipavsky, tschechischer Außenminister, WELT. „Überall, wo ich hinkomme, betone ich, dass die Sicherheit Europas eng mit der Sicherheit des indo-pazifischen Raums verknüpft ist, sodass es notwendig ist, beidem Aufmerksamkeit zu schenken“, erklärt Lipavsky.

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Tatsächlich hat Tschechien ein Interesse daran, Taiwan als demokratischen Partner zu stärken, spricht sich etwa dafür aus, das Land in internationale Organisationen wie die Weltgesundheitsorganisation (WHO) aufzunehmen. Tschechische Politiker reisen regelmäßig nach Taiwan und bekunden dort ihre Unterstützung für das Land, gleichzeitig kritisieren sie chinesische Einflusskampagnen in Europa.

Im Januar 2023 reiste die tschechische Parlamentspräsidentin Marketa Pekarova Adamova mit einer Delegation aus tschechischen Abgeordneten, Ministerialbeamten und Geschäftsleuten nach Taiwan. Pekarova Adamova traf sich mit Präsidentin Tsai und dem Premierminister. Mit der taiwanischen Seite wurden mehrere Memoranden unterzeichnet.

Für Prag zahlt sich diese Politik wirtschaftlich aus. Taiwan ist mittlerweile einer der wichtigsten Investoren in Tschechien. Vor allem gilt das Land als verlässlich. Von groß angekündigten chinesischen Investitionen wurden tschechische Politiker hingegen enttäuscht.

Tschechien verfolgt eine harte Linie gegenüber China

Vor allem der ehemalige Prager Bürgermeister Zdenek Hrib, der in Taiwan studiert hat, war ein scharfer Kritiker chinesischen Engagements in Tschechien – wie Außenminister Lipavsky ist Hrib ein Mitglied der tschechischen Piratenpartei, die eine harte Linie gegenüber China wie Russland verfolgt.

Im Gegensatz zu China habe Taiwan darauf geachtet, seine wirtschaftlichen Versprechen einzuhalten, die Erwartungen besser zu steuern und die gegenseitigen Interessen auf der Grundlage gemeinsamer Werte und praktischer Zusammenarbeit zu fördern, erklärt China-Expertin Karaskova. Sie betont, dass Taiwan Interesse zeige, massiv in der Region Ustecky kraj zu investieren.

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Dort könnte eine Art Hub für die Fabrik des weltweit führenden Halbleiterherstellers TSMC bei Dresden entstehen. Im Dezember 2023 bereits war Parlamentspräsidentin Pekarova Adamova in Sachsen zu Besuch. In dem Zusammenhang bestätigte sie WELT, dass Tschechien Teil eines „Lieferkettensystems“ sein wolle.

Tschechiens Nähe zu Taiwan ist auch die Folge eine Entfremdung von China. In Prag schaut man mit Sorge darauf, dass Peking Moskau in seinem Angriffskrieg gegen die Ukraine unterstützt. Russlands Politik wird in Tschechien als unmittelbare Bedrohung wahrgenommen – und China als ein Land, das das mit ermöglicht.

Das war nicht immer so. Milos Zeman, von 2013 bis 2023 Präsident, suchte gezielt die Nähe zu Moskau wie zu Peking. Zeman wollte, dass sein Land eine Art Tor für chinesisches Engagement in Europa wird. Und die Regierung von Andrej Babis, die 2021 abgewählt wurde, war bisweilen in Bezug auf China indifferent. Mit dem Regierungswechsel und der Übernahme des Präsidentenamts durch Petr Pavel jedoch regieren in Prag dezidierte China-Kritiker.

Philipp Fritz ist seit 2018 freier Auslandskorrespondent für WELT und WELT AM SONNTAG. Er berichtet vor allem aus Polen, Ungarn, Tschechien, der Slowakei sowie aus den baltischen Staaten Litauen, Lettland und Estland. Schwerpunktmäßig beschäftigt er sich mit rechtsstaatlichen und sicherheitspolitischen Fragen, aber auch mit dem schwierigen deutsch-polnischen Verhältnis.

Source: welt.de

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