Zwei Millionen Menschen in Deutschland sind auf die kostenlose Versorgung angewiesen: Die Tafeln leisten großartige Hilfe für Bedürftige. Aber nun ist ihre Existenz in Gefahr. Warum schafft es unser reiches Land nicht, den Armen zu helfen?
Wir sind arm, wir sind reich – das ist der Titel eines Romans von Angelika Mechtel, der einmal die Zustände der Nachkriegszeit eingefangen hat. Fast 80 Jahre nach Kriegsende ist er noch genauso gültig. Und das ist schlimm, denn in der Nachkriegszeit gab es vielleicht noch Suppenküchen, doch Tafeln, die die Armut für den Staat kostenneutral wegorganisiert und den Besserbetuchten ein gutes Gewissen gemacht hätten – die gab es nicht.
Armut war zumindest in meiner Kindheit in der alten Bundesrepublik noch sichtbar. Abgelegte Klamotten und unpraktische Möbel. Man hoffte auf eine Sozialwohnung. Doch Lebensmittel, die damals teuer waren und viel vom Lohn raubten, konnten sich die meisten irgendwann leisten. Das Wohnen war viel billiger als heute.
Sechs Jahrzehnte später ist das Dach über dem Kopf für viele zu einem teuren Luxus geworden, und zwei Millionen Menschen sind in Deutschland auf die kostenlose Versorgung durch Tafeln angewiesen. Denn spätestens zur Mitte des Monats reichen das Bürgergeld, die durch Grundsicherung aufgestockte Rente oder einfach der Verdienst nicht mehr aus, um halbwegs über die Runden zu kommen.
Mancherorts sind die Spenden um 50 Prozent zurückgegangen
Organisiert werden die Tafeln von anderen, meist auch nicht gut dastehenden Menschen. Das ist die Solidarität unter Armen, die wir aus der Geschichtsschreibung kennen. Die Armen haben sich immer gegenseitig geholfen. Dagegen sind diejenigen, die aufsteigen, fast immer auf sozialen Abstand bedacht.
Doch nun sind selbst diese wohltätigen Tafelvereine in ihrer Existenz bedroht. Und das, obwohl es immer mehr Bedürftige gibt, die sich dort Obst, Gemüse und andere Lebensmittel abholen. In den vergangenen zehn Jahren ist ihre Zahl um 25 Prozent angestiegen. An manchen Standorten hat sich ihre Zahl sogar verdoppelt. Eine ganze Weile hat das System der Tafeln sehr gut funktioniert. Die deutsche Überfluss- und Wegwerfgesellschaft hat einen winzigen Bruchteil ihres Reichtums verschenkt.
Doch inzwischen musste fast ein Drittel aller Tafeln einen Aufnahmestopp für die Bedürftigen verhängen. Es fehlt ihnen an Lebensmitteln. Mancherorts sind die Spenden von Kleinproduzenten, Supermärkten und Discountern um 50 Prozent zurückgegangen.
Insgesamt gibt es 960 Tafeln in Deutschland
Es fehlt außerdem an Ehrenamtlichen, die die gespendeten Waren täglich abholen, sichten und anschließend an Rentner, Geflüchtete, Erwerbslose oder Niedrigverdienende verteilen. Viele derjenigen, die Menschen in Not helfen, sind inzwischen an ihre Belastungsgrenze gekommen, sie sind physisch und psychisch ausgepowert. Und vielleicht hat der eine oder andere bei der Arbeit sogar die mögliche eigene Armutskarriere vor Augen.
Es gibt insgesamt 960 Tafeln in Deutschland. Aber sie können immer weniger verteilen. Das Logistikmanagement der Supermärkte ist immer moderner geworden. Deshalb bleiben immer weniger Lebensmittel übrig, die an Bedürftige gespendet werden können. Oft werden abgelaufene Produkte vor Ort zum halben Preis verscherbelt. Das ist einerseits gut für die Umwelt, weil weniger produzierte Lebensmittel verschwendet werden. Aber es ist andererseits schlecht für die Armen, weil sie weniger zu essen bekommen.
Der eigentliche Skandal ist jedoch ein ganz anderer: Warum schafft es ein reicher Staat wie die Bundesrepublik Deutschland nicht, seine Bürger:innen mit dem Allernotwendigsten zu versorgen?