Szene | Robert Habeck bittet zum Gespräch weiterführend den Ausnahmezustand. Heraus kommt Harmonie

Schon vorab spotteten viele: Das soll kontrovers werden? Robert Habeck startet seine Gesprächsreihe „Habeck live“ am Berliner Ensemble mit Volker Wissing und Anne Will. Es sollte um den Ausnahmezustand gehen – und wurde sehr harmonisch


Es oblag der Journalistin Anne Will, die beiden Ex-Minister daran zu erinnern, dass die Ampel nicht nur an äußeren Krisen scheiterte

Foto: Julia Steinigeweg


Im Berliner Ensemble steht das Bühnenbild für die Dreigroschenoper schon bereit. Es ist ein strenges Stahlgerüst, in dem die Darsteller bald klettern, kriechen und singen werden. Davor inszeniert Robert Habeck am Sonntag seine eigene Aufführung – leider deutlich weniger dynamisch als das Stück von Bertolt Brecht. Zwei Stunden lang plaudert Habeck mit Volker Wissing und Anne Will über die Frage: „Braucht die Demokratie den Notfall?“

Die Anleihe bei Carl Schmitt, der einst postulierte, der Souverän sei, wer über den Ausnahmezustand entscheide, liegt nahe. Doch der Tenor an diesem Nachmittag verkehrt Schmitts Diktum, wonach das Wesen der Politik die Unterscheidung zwischen Freund und Feind sei, geradezu ins Gegenteil: Die beiden ehemaligen Ampel-Minister predigen Harmonie statt Konflikt, Konsens statt Kontroverse.

Die sozialen Medien hatten schon im Vorfeld der Veranstaltung gespottet. Ausgerechnet Habeck, der vor einem Monat sein Bundestagsmandat zurückgegeben hat, startet eine Diskussionsreihe über die Zukunft der Demokratie. Und dann lädt er ausgerechnet zwei Gäste ein, die medial nicht selten zu Wort kommen, dabei aber kaum für hitzige Debatten bekannt sind.

Entsprechend vorhersehbar lief der Abend ab. Wissing beklagte mehrmals den Zwang zur permanenten Abgrenzung. Parteien suchten nach Alleinstellungsmerkmalen, anstatt gemeinsam Probleme zu lösen. Als leuchtendes Beispiel nannte der ehemalige Verkehrsminister die Reform der Straßenverkehrsordnung, beschlossen im stillen Kämmerlein, fernab der öffentlichen Debatte: „Man muss die Bevölkerung ja nicht den ganzen Tag mit Streit stressen.“

Habeck wiederum gab sich nachdenklich. Der Appell zum Zusammenreißen reiche angesichts globaler Krisen nicht aus. Nicht nur die Ampel habe unter Druck gestanden, er habe persönlich jedenfalls nicht das Gefühl, „dass es jetzt nur das individuelle Versagen von einzelnen Leuten in der Ampel gewesen ist“. Wissing benannte derweil immerhin konkrete Fehler seiner ehemaligen FDP-Kollegen.

Volker Wissing schwärmt bei „Habeck live“ von der Gesetzgebungsbürokratie

Es oblag der Journalistin Anne Will, die beiden Ex-Minister nach einer Stunde daran zu erinnern, dass die Ampel nicht nur an äußeren Krisen scheiterte. Sie war auch schlicht eine der unbeliebtesten Regierungen in der Geschichte der Bundesrepublik. Ein echter Streit entbrannte aber auch darüber nicht.

Stattdessen stimmte Wissing ein Loblied auf die deutsche Gesetzgebungsbürokratie an. Während Bismarck noch warnte, bei Gesetzen wolle man wie bei der Wurst lieber nicht wissen, wie sie gemacht werden, schwärmt Wissing von Expertenanhörungen und wissenschaftlicher Begleitung. Am Ende sei jedes Gesetz „extremst geprüft und verifiziert“ – da könne eigentlich kein Quatsch herauskommen.

Einen Hauch Carl Schmitt gab es dann schließlich doch noch. Habeck schlug vor, die demokratischen Institutionen dadurch zu stärken, dass man die äußeren Bedrohungen stärker benennt. Gemeint waren insbesondere die aus Trumps Vereinigten Staaten und aus Putins Russland. „Niemand, der nicht in Europa ist, meint es gut mit uns“, warnte er. Das könnte tatsächlich der Kitt sein, der die zerstrittenen Parteien wieder zusammenhält: die gemeinsame Angst vor dem Außen.

Die Frage ist nur: Wie passt diese Feindbildrhetorik zur technokratisch-sachorientierten Politik, die sich beide angeblich wünschen? Die Geschichte lehrt, dass Demokratien im selbsterklärten Ausnahmezustand selten rationaler werden. Im Gegenteil: Wer sich von existenziellen Feinden umzingelt wähnt, neigt eher zu Überreaktionen als zu besonnener Sachpolitik.

AnneBerliner EnsembleBertoltBevölkerungBrechtDemokratieEinstEndeEuropaFDPGeschichteHabeckJuliaKollegenKrisenLangMANMedienNotfallParteienPolitikReicheRobertRobert HabeckRusslandSchmittStreitVolkerVolker WissingWillWissenWissing
Comments (0)
Add Comment