Die Kunst des Formulierens gehört zur Diplomatie, und so mutet es erstaunlich an, dass es ausgerechnet die Worte des Außenministers sind, mit denen er bei Parteifreunden aneckt. Schon wieder. Allerdings geht es dabei nicht unbedingt darum, ob die Aussagen Johann Wadephuls akkurat die außenpolitische Realität beschreiben oder nicht, sondern vielmehr darum, auf welche innenpolitischen Debatten sie stoßen – und auf welche innerparteilichen Befindlichkeiten.
So spricht Wadephul also am Dienstagnachmittag zu seinen Parteifreunden in der Fraktion. Seit Ende vergangener Woche hatte sich die Empörung in den Reihen der Union aufgebaut, dass er bei seinem Besuch in einem weitgehend in Trümmern liegenden Vorort von Damaskus Zweifel daran geäußert hatte, dass bald viele Syrer freiwillig zurückkehren werden. „Hier können wirklich kaum Menschen richtig würdig leben“, sagte er. Das klingt nach einer Fahrt durch Ruinen zunächst wenig spektakulär. In Deutschland aber löst diese Aussage sofort Wirbel aus. Dabei kommen Themen und Begriffe durcheinander: Über Rückführungen wird diskutiert, und nicht nur freiwillige Rückkehr. Unionsabgeordnete wünschen sich eine Klarstellung, was seine Worte denn bedeuten sollen, und schließlich sieht sich gar der Kanzler genötigt, zu sagen, dass es für Syrer keine Gründe mehr für Asyl in Deutschland gebe.
So war die Erwartung an den Auftritt von Wadephul vor der Fraktion groß. Sachlich berichtet dieser dort nach Teilnehmerangaben von seiner Reise nach Syrien. Er bleibt bei seiner Position, aber gibt so eine Erklärung dafür. Der Fraktionsvorsitzende Jens Spahn macht deutlich, dass Äußerungen wie die Wadephuls zu Syrien das Bild der Koalition beschädigen. Merz lobt seinen Außenminister. Alles scheint gesagt, damit hätte die Aufregung ein Ende finden können. Doch dann, so wird erzählt, spricht Wadephul ein wenig zu lang, das Wort „gefühlig“ fällt als Beschreibung seiner Worte. Er zieht einen Vergleich der Lage in Syrien mit der in Deutschland 1945. Und löst damit wieder Irritationen in seinen Reihen aus.
Die Erwartungen in der Union waren übergroß
Tatsächlich nehmen Parteifreunde nicht zum ersten Mal Anstoß an den Worten Wadephuls. Dabei hat dieser als Außenpolitiker viel Erfahrung, und ebenso als Strippenzieher in der Fraktion – lange war er der für Außenpolitik zuständige stellvertretende Fraktionsvorsitzende. So hat er sich in den Oppositionsjahren das Vertrauen von Merz erarbeitet und wurde sein Außenminister. Ein loyaler Fachpolitiker, der mit dem Außenkanzler die angekündigte Außenpolitik aus einem Guss formen sollte. Aber so einfach ist das nicht – auch weil beide andere Rollen auszufüllen haben.
Wadephul ist der erste Außenminister seiner Partei seit fast sechs Jahrzehnten, und das gehört zu den Hürden in seinem Amt: Die Erwartungen in der Union waren gerade nach den Baerbock-Jahren übergroß. Ebenso wie das Misstrauen bei manchen Unionspolitikern gegen das zuletzt so lange von Grünen und Sozialdemokraten geführte Haus. So hört man auch damit verbundene Zweifel: Formt das Haus den Minister, oder kann der Minister das Haus formen?
Angetreten ist Wadephul zunächst mit einer kleinen Mannschaft, seinen heutigen Büroleiter hatte er aus der Fraktion mitgenommen – er war so etwas wie ein Ein-Mann-Übergangsteam. Es folgten unter anderem zwei Staatssekretäre, die schon unter Angela Merkel Karriere gemacht hatten. Bei anderen wichtigen Positionen wie der Kommunikation verlässt sich Wadephul auf Diplomaten des Hauses – so ist das üblich im Amt. Bei seiner Antrittsrede sprach Wadephul freundlich über Baerbock, aber machte doch klar, dass er das jetzt alles ein wenig pragmatischer angehen wolle und fokussierter auf die deutschen Interessen. Einen radikalen Bruch kündigte er nicht an. Im Amt selbst wurde bemerkt, dass er seinen Mitarbeitern Gottes Segen mit auf den Weg gab. Das war neu.
Die Realität folgte Wadephuls umstrittenen Aussagen
Die ersten Worte, die Irritationen provozierten, hatten aber wenig mit der Frage zu tun, ob der Minister sich womöglich zu sehr von seinem Amt formen lässt. Wenn man Wadephul kennt, konnte man diese durchaus aus seinem außenpolitischen Denken ableiten – und seinem christlichen Menschenbild. Außerdem ging es wieder um die Rollen: Wadephul richtete seine Worte viel mehr nach außen als nach innen. So gab es Aufregung, als der Außenminister als erstes deutsches Regierungsmitglied fünf Prozent als Ziel für Verteidigungsausgaben ausgab – als Botschaft nach Washington. Später schlug er einen scharfen Ton gegenüber der israelischen Regierung an, als er nicht nur selbst seine ersten ernüchternden Erfahrungen mit Jerusalem als Außenminister gemacht hatte, sondern auch gesprächsfähig bleiben musste im Kreis enger Partner wie London und Paris, deren Kritik noch viel deutlicher war. Freilich hatte Wadephul in der Opposition die Ampelkoalition noch für eine zögerliche Israel-Unterstützung kritisiert.
Sowohl bei der Fünf-Prozent-Äußerung, als auch bei dem Israel-Kurs kann Wadephul für sich verbuchen, dass die politische Realität den Aussagen gefolgt ist: Die NATO hat das Fünf-Prozent-Ziel beschlossen, der Kanzler hat mit dem Aussetzen eines Teils der Genehmigungen für Rüstungsexporte an Israel selbst eine Welle der Empörung in der Union ausgelöst. Wadephul hatte aber auch davon gesprochen, dass es keine „Zwangssolidarität“ mit Israel geben dürfe. Das musste er im Fraktionsvorstand erklären, Parteifreunde waren irritiert. Wadephul bedauerte die Wortwahl, seine Position änderte er nicht.
Weder „Zwangssolidarität“ noch seine Äußerung im Vorort von Damaskus, die auf eine Nachfrage erfolgte, waren aber offensichtlich von einem Sprechzettel abgelesen. In der Fraktion erweckt Wadephul offenbar nicht den Eindruck, als erachte er eine inhaltliche Korrektur für notwendig. Er sei kein Weichei, sagt er Berichten zufolge, um Vorwürfe zurückzuweisen, dass er zu sensibel mit dem Thema Syrien umgehe.
Allerdings steht er Abgeordneten gegenüber, die nach zwei sitzungsfreien Wochen aus ihren Wahlkreisen viel schlechte Laune mitgebracht haben, wie in der Fraktion erzählt wird. Auch Spahn nimmt darauf bei seiner Äußerung Bezug. Das einzige Thema, das man zu Hause als Erfolg verkaufen könne, sei die Migrationswende, hört man. Es ist für viele das wichtigste Thema im Kampf gegen die AfD. Da könnten die Worte Wadephuls Zweifel wecken an der Ernsthaftigkeit der Union, befürchten manche. Selbst eher wohlmeinende Parteifreunde verweisen auf all die drohenden Gerichtsverfahren zu syrischen Flüchtlingen und welche Bedeutung die Worte des Außenministers da noch bekommen dürften. In der Regierung hält sich die Begeisterung über die Debatte in Grenzen. Der Regierungssprecher stellt am Mittwoch aber klar: „Selbstverständlich steht der Bundeskanzler hinter dem Außenminister.“
Das ist Innenpolitik. Auch sie lebt von der Kunst des Formulierens, aber mehr noch von der Wucht der Worte. Dem kann sich auch ein Außenminister nicht entziehen.
Source: faz.net