Super Safe Space | Leben im Rollstuhl: Immer im Dazwischen – nicht mittendrin

Im Hotel oder Supermarkt, in der Umkleidekabine und auf der Straße: Überall merkt unsere rollstuhlfahrende Kolumnistin, dass die Welt nicht für sie konzipiert ist. Alles ist zu hoch, zu eng, zu klein. Trotzdem erkämpft sie sich ihren Raum

Ich und mein rollstuhlfahrender Körper werden in dieser Welt zu oft nicht mitgedacht. Sie sind nicht vorgesehen bei den Ganzkörperscannern am Flughafen, bei Supermarktschleusen, bei den zu hoch angebrachten Duschgelspendern in Hotels, bei Bedienelementen vieler Automaten und einigen Aufzugsbedienknöpfen.

Ich bin weder Fußgängerin noch Radfahrerin. Bei Baustellentunneln gibt es allerdings nur diese zwei Möglichkeiten. Ich bewege mich ständig im Dazwischen. Meine Augen kleben am Boden, weil ich ständig nach Scherben Ausschau halte, die ich nicht verteilt habe. Oder nach Hundescheiße, in die ich besser nicht fahren sollte, weil ich meinen Rollstuhl eben nicht einfach vor der Haustür ausziehen kann. Ich muss ständig abschätzen, wie viel Kraft und Geschwindigkeit ich für welche Unebenheit auf den Wegen brauche, um sie zu überwinden.

Körper wie meine sind folglich nicht vorgesehen auf dem Catwalk. Wir nehmen langsam, aber stetig Räume ein, in denen wir nie vorgesehen waren. Die Modeindustrie merkt langsam, dass es auch behinderte Körper gibt. Es gibt mittlerweile tatsächlich die eine oder andere Werbung, in der eine Rollstuhlfahrerin die Klamotten vorführt. Aber, Fast- und Fair-Fashion-Produzent*innen dieser Welt, was bringen uns eure mit Diversität gespickten Werbespots, wenn die darin gezeigten Personen nicht mal zwischen den Klamottenregalen im Laden durchfahren können? Und an die aufgehängte Kleidung nicht drankommen, geschweige denn eure Umkleidekabinen selbstbestimmt benutzen können? Darüber, ob die Produkte am Körper gut aussehen und auch noch sitzen, spreche ich an dieser Stelle noch gar nicht.

Und dann gibt es noch die Nischendesigner*innen, die ganz speziell für Rollstuhlfahrende entwerfen und produzieren. Mein Körper und ich wollen aber keine Nische sein.

Es gab früh Bezeichnungen für meinen behinderten Körper, die nicht schön waren. Schiefer Rücken, drohender Wasserkopf. Es war gewaltvolle Sprache für meinen Körper und mich, die ich eigentlich nur gern ein Kleid zur Einschulung angezogen hätte, mit einer Libelle aus Pailletten darauf. Aus dem Kleid wurden dann eine Hose und ein T-Shirt, immerhin mit der Libelle aus Pailletten darauf. Das Kleid passte nicht.

Ich bin dankbar für diesen behinderten Körper, der mich Wege jenseits der normierten Steigungen hochrollen lässt, der auf Augenhöhe mit Kindern ist und ihre Neugierde weckt. Der mir Freiheiten verschafft, der aber ebenso Menschen fast ehrfürchtig aus dem Weg springen lässt und so Begegnungen verhindert.

Ich habe nur diesen einen Körper. Medizinisches Personal betrachtet ihn mit anderen Maßstäben als ich. Es geht ihnen um Funktionserhaltung oder -verbesserung. Die Modeindustrie ignoriert ihn ein Stück weit, da er sowieso nicht in deren Maßstäbe passt. Mein Maßstab ist oftmals nur: Durchkommen, klarkommen.

Die Welt ist nicht gemacht für meinen Körper, und trotzdem bin ich ein Teil dieser Welt. Ich bin oft damit beschäftigt, Lösungen zu finden.

Mein Körper bekommt ständig das Label der Andersartigkeit angeheftet. Und doch muss ich ihn kleiden, ihn bewegen, mich in der Öffentlichkeit zeigen. Und damit Blicke und Beurteilungen ertragen und sie, so gut es geht, ignorieren. Das verlangt Stärke. Stärke, die nicht jeden Tag in gleichen Mengen vorhanden ist. Stärke, die immer wieder neu aufgebracht werden muss. Denn: Das Label der Andersartigkeit habe nicht ich mir angeheftet, ich bekomme es nur von anderen auferlegt.

Judyta Smykowski ist freie Journalistin und arbeitet beim Verein Sozialheld*innen

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