Seit gut einem Jahr heißt es immer wieder, die Inflation sei vorbei, habe sich auf ein „normales“ Niveau von zwei Prozent eingependelt, ja, Energiepreise seien sogar rückläufig. Damit müsste ja der kalte Schauer der Vergangenheit angehören, der einem an der Supermarktkasse über den Rücken läuft, wenn die Preise auf der Anzeige munter in die Höhe klettern. Selbst wenn man versucht, das eigene Portemonnaie auszutricksen, indem man den Wocheneinkauf auf kleinere, tägliche Einkäufe zerstückelt, wird man feststellen: Selbst wer nur ein bisschen Brot, Butter, Käse und etwas Gemüse kauft, landet schnell bei stolzen 15 Euro.
Dieses Gefühl trügt nicht: Auch wenn die Inflationsrate wieder dem 2-Prozent-Ziel der Europäischen Zentralbank entspricht, sind die Nahrungsmittelpreise zuletzt zum Teil über 20 Prozent in einem Jahr gestiegen. Und bis auf einen kleinen Rückgang um weniger als ein Prozent im März 2024, steigen sie immer noch weiter.
Doch woher kommt eigentlich der Preisanstieg? Und wo geht das ganze Geld hin? Zwei neue Studien geben darüber Aufschluss.
Rekordgewinne im Energiesektor sorgen für die Inflation
2022 konnten Energiekonzerne weltweit ihre Profite verdreifachen, weil sie durch globale Konflikte und Lieferengpässe die Preise nach Belieben erhöhen konnten – Öl und Gas werden immer noch immer und überall gebraucht, egal was sie kosten.
Dadurch steigen die Preise und es wächst die Vermögensungleichheit, wie eine im August veröffentlichte Studie der Ökonomen Isabella Weber, Gregor Semieniuk und anderen zeigt. Die Preise für Erdöl und -gas sind nämlich wesentliche Treiber der Verbraucherpreise, da sie entweder direkt über teurere Kraftstoffe, Strom und Heizkosten beim Endkunden ankommen oder indirekt über höhere Kosten für Produktionsfaktoren von Waren und Dienstleistungen auf den Verbraucher durchschlagen. Beziehungsweise abgewälzt werden.
Durch dieses Durchreichen der Preisanstiege konnten Energiekonzerne Rekordgewinne verbuchen, die wiederum zu erhöhten Gewinnausschüttungen an ihre Anteilseigner führten. Da nennenswerte Unternehmensanteile in der Regel in den Händen der Reichsten ruhen, landeten beispielsweise in den USA rund die Hälfte dieser Rekordprofite beim reichsten Prozent der Bevölkerung und etwa 84 Prozent beim reichsten Zehntel.
Die ärmere Hälfte der Bevölkerung sieht von diesem Geldregen nichts (1 Prozent), während die Verbraucherpreise stark anstiegen. Das ist auch in Deutschland nicht anders: Profitieren von Preissteigerungen werden auch hier nur die, die Anteile an Unternehmen halten, also die obersten 1 oder 5 oder 10 Prozent, während die Armen für die Profite durch Preisinflation bezahlen.
Inflationsungleichheit: Die Armen tragen die Kosten, die Reichen werden belohnt
Das bedeutet: Lebensmittel, Strom, Benzin, Wohnraum, Essen gehen, Haare schneiden, Auto zur Werkstatt bringen – all das wird durch steigende Energiepreise teurer. Zeitgleich steigen die Löhne der breiten Mehrheit nicht an, die Aktiengewinne der Reichsten aber sehr wohl. So bleiben die Reichsten von der Inflation verschont, indem sie die Profite aus den Mehrkosten ausgezahlt bekommen – auf die sie dann weniger Kapitalertragssteuer zahlen müssen als auf ein vergleichbares Erwerbseinkommen.
Die Studie nennt diesen Mechanismus „Inflationsungleichheit“: Arbeiter*innen müssen immer mehr ihres Einkommens für Konsum ausgeben, können also weniger sparen. Kapitaleigner*innen werden für die Inflation durch den Vermögenstransfer von unten nach oben fast vollständig kompensiert, zahlen im Vergleich weniger Steuern und können ihr Vermögen durch höhere Ersparnisse sogar noch mehren.
Inflation ist auch schädlich fürs Wirtschaftswachstum
Zusätzlich, so zeigt eine neue Studie von Alessandro Agnesi und Alberto Russo, schwächt die Inflation das Wirtschaftswachstum, was wiederum zu mehr Arbeitslosigkeit führt. Beides Probleme, mit denen sich derzeit auch die deutsche Bundesregierung herumschlägt, noch ohne ein wirksames Gegenmittel gefunden zu haben.
Durch die Inflation, so Agnesi und Russo, werden die Einkommen bei den oberen zehn Prozent konzentriert, während die restlichen 90 Prozent entweder ihren Lebensstandard senken oder sich privat verschulden müssen, um weiterhin so zu leben, wie sie es gewohnt sind. Das verstärkt Abstiegsängste.
Was die Inflation dann noch zusätzlich anheizt, ist die wachsende Marktkonzentration in systemrelevanten Branchen: Es gibt immer weniger Unternehmen, die den Markt unter sich aufteilen. Durch weniger Konkurrenz können die verbliebenen Mono- und Oligopolisten die Preise fast nach Belieben erhöhen und Übergewinne sichern, was die Verbraucherpreisanstiege dauerhaft bedingt und die Inflationsungleichheit nur noch weiter verstärkt.
Wohin diese Marktmacht führt, lässt sich in Deutschland an dem Gebaren der Energiekonzerne ablesen: Sie blockieren die Energiewende auch deshalb, weil diese ihre Profitmöglichkeiten bedroht, weil sie ihre Investitionen vermehrt in Öl- und Gas, statt Wind- und Solarenergie stecken – ein Vorhaben, bei dem ihnen die Wirtschafts- und Energieministerin Katherina Reiche (CDU) gerne hilft.
Um dieser Marktmacht mit ihren schädlichen Konsequenzen für alle außer wenigen Reichen entgegenzutreten, schlagen Semienieuk und seine Kolleg*innen Übergewinnsteuern vor. So würde eine verstärkte Inflationsungleichheit verhindert, da die Rekordprofite nicht an die Anteilseigner, sondern an den Staat gehen würden. Das würde zusätzliche staatliche Einnahmen ermöglichen, um etwaige Haushaltslöcher zu schließen, ohne das Inflationsrisiko zu erhöhen.