Strom kostet an welcher Handelszentrum zehnmal so viel wie gebräuchlich

Die Lage ist ernst an den deutschen Strommärkten – und daran schuld ist „Ernst“. So heißt nämlich das Hochdruckgebiet, welches sich aktuell über weite Teile Europas erstreckt. Hierzulande sorgt es für trockenes, aber im Flachland oft graues und kaltes Wetter. Weil noch dazu quasi kein Wind weht, sind die Voraussetzungen für die Stromproduktion aus erneuerbaren Energien in Deutschland äußerst schlecht.

Die aktuelle Wetterlage – oft als „Dunkelflaute bezeichnet“ – sorgte am Donnerstag für extrem hohe Preise im Großhandel. So kostete Strom, der am Donnerstag um 17 Uhr ausgeliefert wurde, am Day-Ahead-Markt 936 Euro je Megawattstunde. Auf dem Intraday-Markt, auf dem Strom noch kurzfristiger gehandelt wird, wurde am Mittwochnachmittag für eine Megawattstunde sogar 1157 Euro gezahlt. Die Preise waren damit etwa zehnmal so hoch wie üblich. Zum Vergleich: Im November wurden am Day-Ahead-Markt durchschnittlich 115 Euro gezahlt, im Oktober waren es 85 Euro.

„Am Donnerstag lag die Windeinspeisung großteils unter 1 Gigawatt – das ist schon extrem ungewöhnlich“, sagt Timo Kern von der Forschungsstelle für Energiewirtschaft (FfE) in München. „Gleichzeitig ist die Last an Werktagen im Winter tendenziell höher als im Sommer und an Feiertagen.“ In Summe führt das zu hohen Strompreisen. Diese treffen allerdings nur Verbraucher mit einem dynamischen Stromtarif direkt. Die allermeisten Kunden haben feste Tarife, hohen Börsenpreise können sich dort erst langfristig niederschlagen. Auch Industriekunden sind üblicherweise gegen Preisschwankungen abgesichert und beschaffen den Großteil ihres Stroms langfristig.

Bewusst Leistung zurückgehalten?

So weit, so normal. Doch wie extrem die Preise in dieser Woche ausschlagen, können selbst Fachleute kaum erklären. „Die aktuellen Preisspitzen sind schon höchst erstaunlich“, sagt Hanns Koenig vom Beratungsunternehmen Aurora Energy Research. „Eigentlich sollte die Leistung nicht so knapp sein, wie sie gerade ist.“ Konkret liefen am Donnerstagmorgen mit 6,1 von 9,5 Gigawatt nur knapp zwei Drittel der eigentlich verfügbaren Steinkohlekraftwerke. Auch von den 15 Gigawatt Braunkohle, die laut Bundesnetzagentur dem Markt zur Verfügung stehen müssten, waren nur 11,1 Gigawatt aktiv. Noch drastischer war es beim Erdgas: Von theoretisch 30 Gigawatt in Betrieb haben nur 17 Gigawatt Strom produziert. „Bei durchschnittlichen Preisen von 650 Euro müsste eigentlich jedes thermische Kraftwerk in den Markt gehen und Geld verdienen müssen – viele tun es aber nicht“, sagt Koenig.

Somit steht die Frage im Raum, ob Kraftwerksbetreiber bewusst Leistung zurückgehalten haben – und damit verbotenerweise den Markt manipuliert. Das Bundeskartellamt hatte Ende November „strukturelle Marktmacht im Bereich der Stromerzeugung“ angeprangert. Das „Ausmaß der Unverzichtbarkeit“ vom Anbieter RWE sowie der Umstand, dass der Kraftwerksbetreiber seine Unverzichtbarkeit zu bestimmten Zeiten vorhersehen kann, besorgt die Wettbewerbshüter.

Netzagentur versucht zu beschwichtigen

Langfristig soll mehr Flexibilität im Strommarkt Preisspitzen abfedern. „Mehr Großbatterien und Gaskraftwerke würden die teuersten Kraftwerke aus dem Markt drängen und den Strompreis deutlich senken“, sagt FfE-Forscher Kern. Das Bundeswirtschaftsministerium hatte am Mittwoch allerdings mitgeteilt, das geplante Gesetz zur Förderung neuer Gaskraftwerke werde in dieser Legislaturperiode nicht mehr umgesetzt. Der Präsident der Bundesnetzagentur, Klaus Müller, versuchte am Donnerstag zu beschwichtigen. „Die Preise sind Knappheitssignal“, schrieb er in den sozialen Netzwerken. „Es wird genug Strom produziert und importiert. Der europäische Markt sorgt für hohe Liquidität und wechselseitige Absicherung.“

Grundsätzlich gilt: Je mehr Ökostrom deutsche Wind- und Solaranlagen mit Grenzkosten nahe Null produzieren, desto mehr Strom exportiert Deutschland in sein Nachbarland. Umgekehrt wird in Dunkelflauten wie aktuell mehr Strom ein- als ausgeführt. Auffällig sind allerdings die wachsenden Importmengen seit dem endgültigen Atomausstieg im April 2023. Insgesamt lag Deutschlands Export im vergangenen Jahr mit rund 42 Terawattstunden 25 Prozent unter dem Vorjahreswert, während der Import um 63 Prozent auf 54 Terawattstunden zulegte.

Französischer Atomstrom hilft

Hinter Dänemark war Frankreich vergangenes Jahr wichtigster Lieferant, und zum ersten Mal seit vielen Jahren bezog Deutschland mehr Strom aus Frankreich als umgekehrt. Dabei handelt es sich in erster Linie um Strom aus dem 56 Reaktoren zählenden Kernkraftwerkspark. Dieser Atomstrom ist konstant verfügbar und in der Regel günstiger als Strom aus deutschen Gaskraftwerken. Mittelfristig dürften die französischen Reaktoren zum Selbstkostenpreis von rund 60 Euro je Megawattstunde produzieren, schätzt Frankreichs Energieregulierungsbehörde.

Auch aktuell fließt viel französischer Atomstrom nach Deutschland. Die französischen Kernkraftwerke sind witterungsbeständig, ungeplante Ausfälle gab es zuletzt nicht. Die vor zwei Jahren entdeckten Korrosionsschäden an Leitungen des Notkühlsystems wurden repariert. Betreiber EdF hat die in diesem Jahr erwartete Atomstromproduktion wiederholt nach oben korrigiert, auf nun 358 bis 364 Terawattstunden. Das wäre wieder so viel wie vor der Korrosionskrise. Zwar schnellt die Stromnachfrage bei niedrigen Temperaturen traditionell in die Höhe, weil rund jeder dritte Franzose mit Elektrizität heizt. Doch die schwache Industrieproduktion dämpfte die Nachfrage mehr als üblich.

Sich auf französische Stromeinfuhren bedingungslos zu verlassen, birgt jedoch Risiken. Wie in Deutschland wird durch die Elektrifizierung von Verkehr, Wärmesystemen und Industrieprozessen auch in Frankreich eine stetig wachsende Stromnachfrage erwartet, während das Angebot nur langsam zu wachsen verspricht. Die von Präsident Emmanuel Macron angekündigten neuen Kernkraftwerke können frühestens in der zweiten Hälfte der Dreißigerjahre ans Netz gehen. Wer die auf mindestens 67 Milliarden Euro geschätzten Finanzierungskosten stemmt, ist noch nicht gesichert, und die aktuelle Regierungskrise droht das Vorhaben zu verzögern. Der Ökostromausbau erfolgt wegen unzähliger behördlicher Auflagen und lokaler Widerstände noch schleppender als in Deutschland. Strom droht damit auch bei unseren Nachbarn zu einem immer knapperen, teureren Gut zu werden.

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