Steuervorteil zum Besten von Fleißige?: „Die Nettodifferenz beträgt nur 3,50 Euro pro Überstunde“

Die Finanzwissenschaftler, die Vizekanzler Lars Klingbeil (SPD) beraten, raten ihm, auf die Steuerfreiheit auf Überstundenzuschläge zu verzichten. Die Idee, auf diese Weise zusätzliche Arbeitsstunden gezielt zu fördern, erscheine auf den ersten Blick vielversprechend. „Dennoch erwarten wir von der Maßnahme keine signifikante Ausweitung des Arbeitsangebots“, heißt es in ihrem Brief an den Bundesfinanzminister. „Steuerfreie Überstundenzuschläge schaffen mehr Probleme, als sie lösen“ steht im Kopf des Schreibens.

Die Botschaft ist eindeutig: „Die steuerliche Freistellung von Überstunden ist gestaltungsanfällig, führt zu Mitnahmeeffekten und wird Bürokratieaufwendungen erheblich steigern.“ Es drohten Steuereinnahmeverluste, denen keine positiven Arbeitsangebots- und Wachstumseffekte gegenüberstünden.

Geringer Effekt auf den Nettolohn

Der Brief aus dem Sommer ist erst jetzt bekannt geworden. Jörg Rocholl, der dem Wissenschaftlichen Beirat beim Finanzministerium vorsitzt, rechnet vor, dass der Effekt der Maßnahme aus dem Koalitionsvertrag auf den Nettolohn gering ist. Er betrachtet einen Arbeitnehmer mit einem Bruttostundenlohn von 27,28 Euro, also dem aktuellen durchschnittlichen Lohn in Deutschland. Bei einem Grenzsteuersatz von 35 Prozent und einem Überstundenzuschlag von zehn Euro ergibt sich nach seinen Angaben folgendes Bild: Heute bleiben diesem Arbeitnehmer 19,17 Euro je Überstunde; mit der Steuerfreiheit für den Zuschlag wären es 22,67 Euro. „Die Nettodifferenz beträgt somit nur 3,50 Euro pro Überstunde“, hebt Rocholl hervor.

Aus der Beobachtung, dass viele Unternehmen keine Überstundenzuschläge gewähren, folgert der Wissenschaftler, der an der privaten European School of Management and Technology (ESMT) in Berlin lehrt: Entweder erwarten die Unternehmen hierdurch nur einen kleinen Effekt auf das Arbeitsangebot, oder sie hätten keine ausreichend hohe Zahlungsbereitschaft für die zusätzliche Arbeit.

Erfahrung in anderen Ländern als Warnung

Ob die schwarze-rote Regierung an der im Koalitionsvertrag verabredeten Steuerfreiheit für Überstundenzuschläge festhält, ist derzeit unklar. Aktuell ringt die Koalition darum, ob die Begünstigung von Überstundenzuschlägen wirklich umgesetzt werden soll. Im frühen Entwurf des sogenannten Arbeitsmarktstärkungsgesetzes findet sich diese Steuervergünstigung, ebenso eine einmalige Steuerbefreiung von Prämien an Teilzeitbeschäftigte, die ein Arbeitgeber zahlt, damit diese mehr arbeiten. Schließlich umfasste der Entwurf einen Steuerfreibetrag von 2000 Euro im Monat für Rentner, die weiterhin arbeiten. Später flog die Steuerfreiheit für Überstundenzuschläge wie die Prämien für mehr arbeitende Teilzeitkräfte aus der Vorlage. In der Unionsfraktion gibt es allerdings Kräfte, die das so nicht hinnehmen wollen.

Der Beirat weist in seinem Schreiben warnend auf die Erfahrungen in anderen Ländern hin. In Frankreich habe die Steuerfreiheit von Überstunden keinen signifikanten Einfluss auf die geleisteten Arbeitsstunden, obwohl dort die Regelung generöser sei. Zudem drohen nach seiner Einschätzung hierzulande Mitnahmeeffekte. „Arbeitnehmer, die schon heute Überstundenzuschläge erhalten, profitieren, selbst wenn ihre Arbeitszeit unverändert bleibt.“

Außerdem hält der Beirat die Maßnahme für sehr gestaltungsanfällig. „Konkret können Firmen gemeinsam mit ihren Angestellten bestehende Arbeitsverträge so anpassen, dass auf dem Papier Überstundenzuschläge gezahlt werden, das Gesamtgehalt und das Arbeitsvolumen der Arbeitnehmer aber konstant bleiben“, schreibt Rocholl.

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