Finanzminister Christian Lindner (FDP) zeigt sich entschlossen, inflationsbedingte Mehreinnahmen des Fiskus an die Bürger zurückzugeben. Dieses Ziel bekräftigte der Politiker, als er am Donnerstag das Ergebnis der neuen Steuerschätzung vorstellte. Bis 2026 können Bund, Länder und Gemeinden demnach mit gut 126 Milliarden Euro mehr rechnen, als im Mai vorausgesagt. „Über Mehreinnahmen kann sich ein Finanzminister im Prinzip freuen. Aber der Teil, der Mehreinnahmen, der auf die Inflation zurückzuführen ist und nicht auf eine Steigerung ihrer Wirtschaftskraft, auf diesen Teil der Mehreinnahmen wollen wir verzichten“, sagte er.
Man wolle nicht, dass die Menschen mit inflationsbedingt höheren Löhnen in einen höheren Steuertarif rutschten. „Der Staat darf nicht von steigenenden Löhnen profitieren, die noch nicht einmal einen Kaufkraftverlust verhindern“, betonte der Minister. Die Anpassung mit dem geplanten Inflationsausgleichsgesetz werde somit höher ausfallen müssen. Dies werde entsprechend höhere Mindereinnahmen für den Staat nach sich ziehen.
Konkret kündigte Lindner eine Aufstockung des Grundfreibetrags um 561 Euro im nächsten Jahr auf 10 908 Euro und 564 Euro im folgenden auf 11 472 Euro an. Der Kinderfreibetrag werde erst um 404 Euro auf 6024 Euro und später um 360 Euro auf 6384 Euro steigen. Ähnlich würden parallel die übrigen Eckwerte des Einkommensteuertarifs erhöht. Wie der FDP-Vorsitzende hervorhob, hat diese Nachbesserung im Inflationsausgleichsgesetz erhebliche Mindereinnahmen für den Staat zur Folge.
Er bezifferte diese auf 15,8 Milliarden Euro nächstes Jahr und anschließend jährlich 30 Milliarden Euro. Damit werde ein erheblicher Teil der Mehreinnahmen aus der Steuerschätzung an die Bürger zurückgegeben. Nach den Worten des Finanzministers gibt es infolge der aktuellen Steuerschätzung keine neuen Spielräume für zusätzliche Ausgaben.
Nach der Steuerschätzung könne der Bund nächstes Jahr mit Mehreinnahmen von 4,5 Milliarden Euro rechnen. Wenn man das Jahressteuergesetz und das noch nachzubessernde Inflationsausgleichsgesetz einbeziehe, werde daraus ein Minus von 7,4 Milliarden Euro. Der Schätzerkreis hat diese Maßnahmen nicht berücksichtigt, da er stets auf Basis des geltenden Rechts arbeitet. Auch werde man die Zinsentscheidung der Europäischen Zentralbank noch einarbeiten müssen, meinte Lindner.
Für die Finanzierung seiner Schulden hat der Bund bisher etwa 30 Milliarden Euro für 2023 vorgesehen. Das dürfte nun etwas mehr werden, meinte der Minister, der abermals seine Absicht beschwor, nächstes Jahr wieder im Rahmen der Schuldenregel zu wirtschaften. Weil die ökonomische Lage sich im Vergleich zum Sommer verschlechtert hat, lässt die Konjunkturkomponente in der Schuldenregel eine etwas größere Kreditaufnahme zu. Ob er den Rahmen voll auszuschöpfen gedenkt, ließ Lindner offen.
SPD-Fraktionsvize Achim Post urteilte, die sich auf längere Sicht abzeichnenden Spielräume sollten zur Finanzierung der im Koalitionsvertrag verankerten Vorhaben genutzt werden. „Insbesondere die Kindergrundsicherung muss zeitnah in die finanzielle Planung mit einbezogen werden.“ Der Grünen-Haushaltspolitiker Sven-Christian Kindler deutete für seine Fraktion an, einen Teil der Mehreinnahmen für neue Ausgaben nutzen zu wollen. Er nannte es richtig, jetzt die Bevölkerung und Wirtschaft angesichts der Rezession und der fossilen Inflation zu unterstützen und in die klimaneutrale Zukunft zu investieren. „Wir müssen zusätzliche Spielräume nutzen, um in unsere Zukunft zu investieren und so auch künftige Steuereinnahmen zu sichern.“
Die Opposition mahnte, die prognostizierten Mehreinnahmen tatsächlich zur Entlastung der Steuerzahler zu nutzen. „Es gilt, die Belastungsschocks für Bürger und Unternehmen größtmöglich einzudämmen“, sagte der haushaltspolitische Sprecher der Unionsfraktion, Christian Haase. Um die Wohlstandsverluste nicht noch größer werden zu lassen, müsse die „Winterlücke“ mit den Mehreinnahmen geschlossen werden. „Hier würde ich mir ähnlichen Tatendrang und Entschlossenheit analog zur Umgehung der Schuldenbremse wünschen“, meinte der CDU-Politiker. Der Deutsche Städtetag warnte vor Illusionen. „Die Ergebnisse der aktuellen Steuerschätzung bedeuten nicht, dass sich die finanzielle Lage der Städte und Gemeinden verbessert“, betonte , Hauptgeschäftsführer Helmut Dedy. Auch die Städte seien massiv von den steigenden Preisen betroffen. Lediglich auf dem Papier hätten die Städte ein Mehr. In der Realität könnten sie aber weniger kaufen.
Der Bund der Steuerzahler mahnte, der Abbau der kalten Progression im Einkommensteuertarif reiche nicht aus. Der Interessenverband forderte, auch Freibeträge und Pauschalen im Steuerrecht der Geldentwertung anzupassen. „Teilweise sind Pauschalen seit mehr als 50 Jahren nicht angepasst worden“, sagte sein Präsident Reiner Holznagel.