
Es sind die Steuern, Dummkopf! In Anlehnung an ein berühmtes Diktum aus Amerika darf man den Spitzenkandidaten raten, nicht zu unterschätzen, welche Bedeutung wirtschaftliche Interessen beim Akt des Wählens spielen. Natürlich geht es immer auch um das große Ganze, die Zukunft des eigenen Landes, wenn nicht gar der Weltgemeinschaft (Stichwort Klimaschutz), aber eine ordentliche Portion Eigeninteresse ist eben doch dabei, wenn es in den Kabinen um das Kreuzchen geht. Vorher wird gerechnet oder zumindest überschlagen: Wer bringt mir was?
So kommt man zur Steuerpolitik. Bei allen Unterschieden gibt es eine Gemeinsamkeit zwischen Union und SPD, Grünen und FDP, AfD und Linken sowie ihnen allen und dem BSW. Man will den Grundfreibetrag in der Einkommensteuer erhöhen, die einen mehr, die anderen weniger. Doch damit endet der lagerübergreifende Konsens. Die eine Gruppe, die man links der Mitte verorten darf, will die Reichen (noch) stärker in die Pflicht nehmen, die andere, die man demnach rechts der Mitte beschreiben kann, will alle entlasten – was in der Konsequenz dazu führt, dass die, die heute viel an das Finanzamt abführen, in absoluten Beträgen auch mehr von der Entlastung haben.
Der Grundfreibetrag hat großen Charme für SPD, Grüne, Linke und BSW: Seine Erhöhung entlastet alle absolut gleich, wenn man von der Selbstverständlichkeit absieht, dass die, die schon heute keine Steuern zahlen, bei dieser Operation leer ausgehen. Nach dem Grundfreibetrag führt der progressive Steuertarif dazu, dass von jedem Euro, der brutto mehr verdient wird, immer mehr Cent an den Fiskus gehen. Diese Grenzbelastung, wie das Ökonomen nennen, steigt erst sehr stark, dann weniger. Wenn 42 Cent von jedem Euro an das Finanzamt gehen, hört es damit für eine gewisse Weile auf. Aktuell ist das bei Ledigen mit rund 68.500 Euro je Jahr der Fall, für Verheiratete gilt das Doppelte. Bei sehr hohen Einkommen (knapp 278.000 Euro bei Alleinstehenden) schlägt die „Reichensteuer“ zu. Dann steigt die Grenzlast auf 45 Prozent.
Wahlprogramme sind keine Steuerrechner
Die SPD will 95 Prozent der Einkommensteuerzahler entlasten – und dafür die oberen fünf Prozent stärker zur Kasse bitten. Was aber heißt das? Droht dem Spitzenverdiener eine Spitzenbelastung von 60 Prozent, wie Unions-Kanzlerkandidat Friedrich Merz unterstellt? Oder steigt die Belastung nur um zwei Punkte, wie Kanzler und SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz behauptet? Solange die SPD ihre Annahmen nicht offenlegt, ist das nicht zu klären.
Wahlprogramme sind generell keine Steuerrechner. Die Parteien bleiben mit ihren Aussagen häufig vage. Zudem wird nach der Wahl ohnehin fast alles anders, wenn die nächste Koalition zu schmieden ist. Das galt auch für das Ampelbündnis: Weil zwei Parteien in der Steuerpolitik nach links abbiegen wollten und eine nach rechts, fuhr man schlicht geradeaus. Wie Kompromisse in Zeiten knapper Kassen auch ausfallen können, war im Jahr 2005 zu beobachten. Die Union hatte im Wahlkampf offen eine Erhöhung der Mehrwertsteuer um zwei Punkte angekündigt, die SPD hatte eine Erhöhung ausgeschlossen. Aus zwei und null wurde eine Drei, die Mehrwertsteuer stieg auf 19 Prozent.
Die Anreizeffekte nicht ignorieren
Zurück zu den Unterschieden. Jenseits der Einkommensteuer geht es damit so richtig los: Eheleute härter besteuern, indem man Schluss macht mit dem Splitting? Abgeltungsteuer streichen? Vermögensteuer wiederbeleben? SPD, Grüne, BSW, Linke wollen sich mit abgestufter Radikalität bei Wohlhabenden und richtig Reichen bedienen. Anders als Union, FDP und AfD wollen sie den Soli nicht abschaffen, sondern allenfalls in die (entsprechend erhöhte) Einkommensteuer integrieren.
Bei all dem Umverteilen sollte man nicht ausblenden, dass Steuerpläne stets Anreizeffekte haben. Sie ermuntern zu Mehrarbeit und zu Investitionen – oder schrecken ab. Eine geringere Gewinnbesteuerung wirkt anders als eine Investitionsprämie, die an Tarifbindung oder Klimafolgenabschätzung gekoppelt wird. Beispiel Linkspartei. Sie fordert: Einkommensteuer bis 75 Prozent, Vermögensteuer, Milliardärsteuer, einmalige Vermögensabgabe, härtere Erbschaftsteuer. Superreiche, die sich nicht enteignen lassen wollen, werden genötigt, das Land zu verlassen. Ebenso Unternehmer, die bleiben wollen. Die Folge: Erhoffte Mehreinnahmen bleiben aus, die Wirtschaft schrumpft, Arbeitsplätze fallen weg. Am Ende leiden alle.
Was lehrt das? Wer klug ist, nimmt bei den Steuern alles in den Blick. Das gilt für die Politiker – und die Wähler.