A
wie Anglerweste
Die Anglerweste, die Joseph Beuys bei wirklich jeder Gelegenheit in der Öffentlichkeit trug, war Markenzeichen wie Arbeitskleidung. Das Kleidungsstück verkörperte nämlich zentrale Aspekte seiner Kunstphilosophie und seines Selbstverständnisses als Künstler. Entscheidend daran waren die zahlreichen Taschen – die allerdings bewusst leer blieben. Und zwar deshalb, weil sie die Fülle an Ideen, Konzepten und Werkzeugen symbolisieren sollten, die dort sein könnten, um eine auf Abwege geratene Gesellschaft zu heilen. Ebenso sollte die schlichte Funktionalität der Weste seine vehemente Ablehnung des elitären Kunstbetriebs widerspiegeln, dem er sein Konzept eines „erweiterten Kunstbegriffs“ entgegensetzte. Die ikonische Anglerweste, ein alltäglicher Gebrauchsgegenstand, stand somit für die künstlerische Botschaft, dass Beuys die Grenzen zwischen Kunst und Leben, zwischen Künstler und Publikum aufheben wollte. Ach, gäbe es heute mehr solch eigenwillige Gestalten wie Beuys! Uwe Schütte
B
wie Baywatch
Was wäre Baywatch ohne seine engen Badeanzüge und die auffälligen Schwimmwesten? In den 1990ern wurde die US-Serie mit David Hasselhoff und Pamela Anderson Kult – und die rote Schwimmweste zu einem Symbol des kalifornischen Strandlebens. Doch die Serie zeigte nicht nur heldenhafte Rettungsaktionen an der Küste Malibus. Vor allen Dingen Pamela Andersons Auftritte machten aus der aufblasbaren Schwimmweste mehr ein Accessoire als ein Rettungswerkzeug. In hautengen Outfits wurde die Frau zur stilisierten Strandgöttin. Die Schwimmweste? Ein Mittel zur Objektifizierung. Auch in der Neuverfilmung des Serien-Klassikers mit Zac Efron und Dwayne „The Rock“ Johnson (2017) bleibt die Rettungsweste eine Stilfrage – mehr Mode als Funktion (→ Dreiteiler). Es gibt sie natürlich längst auch als Faschingskostüm. Jens Siebers
D
wie Dreiteiler
Jacke, Hose, Weste, Krawatte oder Fliege – wieso fanden viele Sean Connery als James Bond so smart? Geheimagent und Gentleman: Im Widerspruch liegt der Reiz. Robert Habeck wird das nicht kopieren können, eher wirkt sein Dreiteiler als Anbiederung ans Konservative. Lockerheit will er demonstrieren, wenn er sein Jackett auszieht und mit Weste hemdsärmelig dasteht. Ich mag das Hemdsärmelige nicht, aber einen Sean-Connery-Typen würde ich mir im Bundestag auch nicht wünschen. Was 1666 von König Karl II. von England eingeführt wurde und lange feudale, dann bürgerliche Normalität war (→ Teddy Boys), ist heute Signal: Schaut her, ich bin seriös, durchsetzungsfähig, erfolgreich. Ein Image, das leicht mit der Realität in Widerspruch geraten kann. Auch wenn es vermeintlich zum guten (Mitte-bürgerlichen) Ton gehört, da ist es in jeder Hinsicht bequemer, sich mit Jeans, T-Shirt und Pullover zu begnügen. Kann auch ein Wollpulli sein, wie der von Habecks Schwiegermutter, den er an der Küste gerne trägt. Irmtraud Gutschke
F
wie Finanzbros
Nach der Finanzkrise Ende der Nullerjahre ging es mit der Power Vest los. Finanzmenschen und Investmentbanker trugen plötzlich statt Nadelstreifenzweireiher eine eher casual anmutende Outdoor-Weste von Patagonia über dem gebügelten Button-down-Hemd. Beliebt sind bis heute das graue Modell aus Fleece oder die gesteppte Weste in Dunkelblau. Damit wollte die Szene Bürgernähe und Bodenständigkeit suggerieren. Der Style hat sich als Must-have-Standard in bestimmten (männlichen) Kreisen etabliert, darunter im Silicon Valley. Den Marketingleuten von Patagonia gefällt der Hype nicht. Will die Outdoor-Marke eigentlich Werte wie Nachhaltigkeit und Naturnähe kommunizieren, klebt der Power-Westen-Look nun wie Hundescheiße am Wanderstiefel. Dazu gehören Verunglimpfungen wie Fratagonia oder Patagucci. Ji-Hun Kim
G
wie Gelbwesten
Die Gelbwesten waren in den vergangenen protestintensiven Jahren eine der schillerndsten und am schwersten einzuschätzenden politischen Bewegungen weltweit. Was im Herbst 2018 als Kreisverkehrsinsel-Besetzung französischer Provinz-Wutbürger begann, die keine Lust auf höhere Spritpreise hatten, mauserte sich in wenigen Monaten zu einer vielschichtigen Protestbewegung, die so erfolgreich war, dass sämtliche politischen Lager versuchten, sie zu vereinnahmen. Rechtsextreme und Antisemiten surften ebenso auf dieser Welle wie Bürger, denen das spätkapitalistische Sparregime Macrons verhasst war, aber auch jede Menge Linksradikale. Erinnert sich noch jemand an das viral gegangene Video des Ex-Profiboxers, der mit Fäusten vier Polizeibeamte vor sich hertrieb? Die Gelbwestenbewegung, von vielen als Moment politischer Selbstermächtigung jener gefeiert, die sonst keine Stimme haben, brachte exemplarisch die demowütige Protestkultur unseres Nachbarlandes zum Ausdruck. Florian Schmid
R
wie Rentner
Eine gut ausgestattete Funktionsweste braucht viele Taschen. Doch wofür all der Stauraum benötigt wird, erschließt sich Uneingeweihten nur schwer. Wurstbrote? Taschenmesser? Schraubendreher? Möglicherweise befriedigt die Taschenvielfalt aber auch nur ein zunehmendes Sicherheitsbedürfnis. Was der Grund dafür sein könnte, dass ältere Menschen gerne zu diesem praktischen, aber wenig schmucken Kleidungsstück greifen. Ausgestattet, als ob es auf eine Expedition in die tiefste Wildnis ginge, brechen rüstige Rentnerpaare zu Busreisen in die Lüneburger Heide auf. Passend zur leberwurstfarbenen Weste tragen die Damen Dreiviertelhosen und die Herren Cargopants. Mit noch mehr Taschen (→ Zahlen). Der Verdacht, direkt mit dem Rentenbescheid könnten auch Gutscheine für Freizeitkleidung verschickt werden, liegt sehr nahe. Joachim Feldmann
T
wie Teddy Boys
Diese englischen Arbeiterjungs (und ein paar Mädels) pfiffen auf das Sparsamkeitsgebot der Kleinbürger, die der Arbeiterklasse ihr Benehmen vorschreiben wollten. Sie gaben unverhältnismäßig viel Geld für ihre Kleidung aus, statt brav fürs eigene kleine Cottage zu sparen. Ein bisschen was von dem Geist des Ur-Dandys George „Beau“ Brummell (1778 – 1840) ist in diese Subkultur der frühen 1950er eingegangen. Man trug maßgeschneiderte Anzüge von der Londoner Savile Row. Langschößige Jacketts, schmale Hosen, Creepers (klobige Schuhe mit Kreppsohlen) – und Weste! Ganz wichtig aber war, WIE man die Weste trägt (→ Weiße Weste). Nämlich streng nach der Art von Edward VII. (englischer König von 1901 bis 1910). Es musste IMMER der unterste Knopf offen bleiben! Der recht beleibte König führte das aus pragmatischen Gründen ein. Etwas Bauchfreiheit also. Die schlanken Teddy Boys hatten das nicht nötig. Der nicht geschlossene Knopf aber wurde zu einem Zeichen von Lässigkeit und Souveränität. Wer ihn heute zuknöpft, wie Habeck, outet sich als Möchtegern. Michael Suckow
W
wie Weiße Weste
Nur wenige wussten warum, aber vielen war klar, dass hier etwas nicht stimmte: Donald Trump stand im Sommer 2019 im Buckingham Palace und unter seinem Frack lugte präpotent die weiße Weste hervor. Wie es richtig ging, sah man nebenan beim damaligen Kronprinzen Charles: Die Weste darf maximal zwei Fingerlängen über das Ende der Frackjacke ragen. Aber vielleicht irrten all jene, die Trumps Ruf durch ein schweres Stilverbrechen (→ Teddy Boys) beschmutzt sahen. Vielleicht wollte er mit der großen weißen Weste eine große Unschuld behaupten? Die entsprechende Redewendung soll niemand Geringeres als Otto von Bismarck geprägt haben. 1866 will er sie seinen Memoiren zufolge gegenüber Generalstabschef Moltke verwendet haben. Die Assoziation der Farbe Weiß mit Unbeflecktheit und Unschuld ist bedeutend älter. Leander F. Badura
Y
wie Yellowstone
Das Kind liest nichts, ich wollte ich es mit einer episch erzählten Serie austricksen. Ein Freund schwärmte von der US-amerikanischen Neo-Westernserie Yellowstone. Erzählt wird die Geschichte der Familie Dutton, die noch die größte zusammenhängende Ranch in Montana besitzt. Kevin Costner spielt den Patriarchen, stilecht mit Cowboyhut und Weste. Dutton verkörpert Tradition, alte Werte. Seine Kinder stehen für die mit Herz und Seele tief zerrütteten USA. Da ist Beth, eine eiskalte Hedgefondsmanagerin. Ihr Bruder Kayce, ein ehemaliger Soldat, der mit seiner indigenen Frau in einem nahe gelegenen Reservat lebt. Schon ab Folge eins wird klar, dass hier mehr erzählt wird als ein Familienepos. Yellowstone ist ein großes Gesellschaftspanorama, fast so, als hätte der Historiker Karl Schlögel, Autor von American Matrix, am Drehbuch mitgeschrieben. Mich schreckte der Umfang der Serie ab, sechs Staffeln, wann soll man da noch Romane lesen? Majestätische Berge, tosende Flüsse, weite Täler, geheimnisvolle Steppen. „Mama, warum müssen die denn andauernd Landschaft zeigen?“ Katharina Schmitz
Z
wie Zahlen
Etwas „aus der eigenen Westentasche bezahlen“ erinnert an die Formulierung „aus der Portokasse zahlen“. Gemeint sind kleinere Beträge, für die nicht extra das Portemonnaie gezückt werden muss. Die also leicht finanzierbar sind. Ein paar Münzen dürften reichen, für das Bus-Ticket, die drei Brötchen oder die Tageszeitung. Die klimpern doch noch in Ihrer Westentasche herum! Wer allerdings vermögend ist, hatte früher mitunter auch größere Scheine in der Westentasche. Und konnte damit angeben, auch eine teure Restaurantrechnung „aus der Westentasche“ zu begleichen. Heutzutage ist das Geld freilich gut verteilt: auf Hosen-, Jacken-, Hemd- oder Sakkotaschen. Und wenn Sie genau wissen, wie viel Geld in Ihren Klamotten versteckt ist, dann kennen Sie die eigenen finanziellen Verhältnisse so gut wie Ihre Westentasche (→ Anglerweste). Ben Mendelson