So mancher, der sich am Nachmittag des 19. Novembers im texanischen Boca Chica eingefunden hatte, dürfte etwas enttäuscht gewesen sein. Zwar startete die gewaltige „Starship“-Rakete des amerikanischen Raumfahrtkonzerns SpaceX pünktlich mit der Öffnung des Startfensters um 16 Uhr Ortszeit – in Deutschland war es 23 Uhr – zu ihrem sechsten Test mit beiden Raketenstufen. Der zunächst für Montag geplante Flug war lediglich wetterbedingt um einen Tag verschoben worden. Doch das Spektakel einer zum Startturm zurückkehrenden Unterstufe und ihres Auffangens durch zwei zwanzig Meter lange Stahlarme fiel aus. Dieses Manöver war nach dem vorangegangenen fünfte Teststart am 13. Oktober zum ersten Mal überhaupt versucht worden und hatte auf Anhieb funktioniert.
Nicht dieses Mal. Nachdem die 33 Triebwerke der Unterstufe, dem „Super Heavy Booster“, die insgesamt 121 Meter hohe und 9 Meter dicke Rakete in rund drei Minuten auf 70 Kilometer Höhe gebracht hatte, sich plangemäß von der Oberstufe, dem eigentlichen Starship, getrennt hatte und kontrolliert zur Erdoberfläche zurückkehrte, verweigerte ihr der Flugdirektor das Signal zum Anfliegen der Startrampe am Strand des Golfes vom Mexiko. Stattdessen schwebte die Unterstufe auf ihren Bremsraketen zur Wasseroberfläche und tauchte sanft und aufrecht in den Ozean ein, rund 35 Kilometer von der Küste entfernt.
Kritischer Triebwerkstest im All
Darüber, warum es nicht zum Auffangen kam, hat SpaceX bislang nichts bekannt gegeben. In den ersten Sekunden nach der Stufentrennung war das „Go for catch“, also die Genehmigung zum Auffangen zunächst erteilt, dann aber wieder korrigiert worden. Aus Sicherheitsgründen wird das Signal zur Rückkehr zum Startturm nur gegeben, wenn sehr viele verschiedene Parameter sowohl an der Unterstufe als auch auf Seiten des Turms und seiner „Mechazilla“ genannten Fangmechanik in ihren jeweiligen Sollbereichen liegen. Möglicherweise lagen die Probleme auf Seiten des Turms, denn Beobachter vor Ort bemerkten kurz nach dem Start an dessen Spitze einen zur Seite geknickten Instrumentenmast.
Ansonsten scheint dieser sechste Testflug aber ein voller Erfolg gewesen zu sein. Die unbemannte Oberstufe, deren symbolische Fracht lediglich aus einer Plüsch-Banane bestand, setzte ihren etwa einstündigen Flug planmäßig fort. Etwa 35 Minuten nach dem Abheben glückte es, eines der sechs Oberstufentriebwerke im All zu zünden und kurz darauf wieder abzustellen. Das war eine der wichtigen Komponenten dieses Tests gewesen und wurde vom NASA-Chef Bill Nelson auch prompt begeistert kommentiert – auf der Plattform X, die wie SpaceX zum Firmenimperium von Elon Musk gehört. „Ein Erfolg für Starship ist ein Erfolg für Artemis“, so Nelson. Artemis ist das Programm, mit dem die Amerikaner bemannte Mondflüge wieder aufnehmen wollen und für das SpaceX bei der NASA für 4,4 Milliarden Dollar unter Vertrag steht.
Sanfte Wasserung im Morgenlicht
Der vielleicht wichtigste Erfolg dieses aktuellen Tests war aber wohl der gelungene Wiedereintritt der Oberstufe und ihr sanftes Herabschweben auf die Wasseroberfläche des Indischen Ozeans westlich von Australien. Das Startfenster in Boca Chica war eigens so gewählt worden, dass die an der Landestelle bereitgestellten Drohnen und kamerabestückten Bojen die Wasserung bei Tageslicht filmen konnten und nicht im Dunklen wie beim vorangegangenen Versuch.
Es war auch bei diesem Test nicht geplant, die Oberstufe zu heil zu bergen. In den letzten Sekunden der Videoübertragung vom Indischen Ozean war zu sehen gewesen, wie die offenbar beim Aufsetzen zerbrochene Rakete auf dem Wasser trieb, während Reste des aus Methan bestehenden Treibstoffes abfackelten. Das kontrollierte, aufrechte Aufkommen des Starship auf dem Wasser war aber trotzdem ein schöner Erfolg für die SpaceX-Ingenieure, denn offenbar wurde das Raumschiff beim Wiedereintritt nicht zu stark beschädigt.
Stresstest mit weniger Hitzekacheln
Das ist insofern bemerkenswert, als man Starship diesmal unter einem steileren Anstellwinkel in die Atmosphäre hatte eintreten lassen, um die Grenzen der Konstruktion auszutesten. „Wir bringen das Starship absichtlich in eine Position, in der es ihm vielleicht nicht so toll geht“, kommentierte ein Ingenieur vor der Wasserung während der Life-Übertragung durch SpaceX.
Obendrein war das Heck der Oberstufe mit einer älteren Version des Hitzeschildes ausgestattet als beim vorangegangenen Test und von den rund 18.000 schwarzen Hitzeschutz-Kacheln auf dem Edelstahlrumpf hatte man 2100 entfernt. Insbesondere sollten diesmal die Partien ungekachelt bleiben, an denen in späteren Versionen der Starship die Auffang-Haken angebracht werden sollen. Denn auch die Starship-Oberstufe soll dereinst zum Startplatz zurückkehren und mittels einer „Mechazilla“ aufgefangen werden, um eine vollständig wiederverwendbares Raketensystem bereitszustellen.
Nächste Etappe: ein echter Erdorbit
Wie viele Testflüge bis dahin noch erforderlich sein werden, dürften auch die Ingenieure bei SpaceX noch nicht wissen. Es ist allerdings davon auszugehen, dass die Tests nun in kürzeren Abständen durchgeführt werden. Vor allem steht bislang noch ein Orbitalflug aus, also der Eintritt des Starship in einen stabilen Erdorbit mit anschließendem Wiedereintritt aus einem solchen. In Boca Chica wird aktuell bereits ein zweiter Startturm errichtet und möglicherweise werden bereits 2025 zwei Starship-Raketen hintereinander starten, wobei eine nur mir Treibstoff für die andere beladen ist, um diese dann im Weltraum aufzutanken.
Eine solche Prozedur ist technisch sehr heikel aber unverzichtbar für das Ziel, das Elon Musk mit dem Starship-Programm mittel- und langfristig verfolgt: Eine Verwendung der Schwerlastrakete – deren Starttriebwerke das Doppelte einer Saturn V aus Zeiten des Apollo-Programm leisten – für bemannte Flüge zum Mond im Rahmen des Artemis-Programms sowie Expeditionen zum Mars.
Es bleibt abzuwarten, ob und in welcher Form Musks neue Rolle in der bevorstehenden zweiten Administration Donald Trumps diesen Plänen zusätzlichen Schub verleiht. Trump, der zusammen mit Musk bei dem Teststart am Dienstag zugegen war, hatte bereits angedeutet, dass ihm eine Marsmission vor Ende seiner Amtszeit gefallen würde. Raumfahrttechnisch wäre das aber, vorsichtig formuliert, ein sehr ambitionierter Zeitplan.