Die Arbeit von Frauen auf dem Land wird kaum gewürdigt. Die spanische Autorin María Sánchez widmet sich dieser Thematik in einem Essay und zeigt: Es geht dabei auch um einen solidarischen Umgang mit den Problemen des ländlichen Raums
Wer macht sich daran, fragt María Sánchez, „unsere Mütter und Großmütter aus ihrer Verbannung zu befreien, aus dem stillen winzig kleinen Raum, der sie auf die Rolle der Gefährtin, vorbildlichen Ehefrau und guten Mutter reduziert?“ Es ist ein Schattendasein, aus dem die Autorin in ihrem knapp zweihundert Seiten starken Buchessay den Ausbruch wagen will.
Im ersten Teil des Buches beleuchtet Sánchez die Rolle von Frauen auf dem Land, die urbane Sicht auf den ländlichen Raum und das Fehlen echter Stimmen vom Land. Der zweite Teil ist noch stärker der Familiengeschichte der Autorin gewidmet, die sich in jeweils einem Kapitel an das Leben ihrer Ururgroßmutter, Großmutter und Mutter erinnert. Ihr Leben als Frauen im ländlichen Raum ist für Sánchez Ausgangspunkt für zahlreiche persönliche Anekdoten und gesellschaftspolitische Überlegungen, die eine große Stärke des Buches darstellen.
Jenseits dieser Zweiteilung des Buches ziehen sich drei große Themen wie ein roter Faden durch den Essay: Feminismus, Stadt-Land-Beziehungen sowie Erinnern und Vergessen. Den auch in Spanien vorherrschenden urbanen Feminismus-Diskursen setzt Sánchez ein rurales Verständnis von Feminismus entgegen. Die Leute würden vergessen, „dass auf dem Land ein anderes Zeitmaß, ein anderer Rhythmus herrscht. Dass der städtische Feminismus vom ländlichen nicht eine bestimmte Form und ein konkretes Tempo erwarten kann.“
Die Autorin, selbst als Landtierärztin in Andalusien ausgebildet, deckt dabei jedoch nicht nur die unsichtbaren Stimmen der Frauen, sondern auch die Marginalisierung des gesamten ländlichen Raumes auf. Dieser sei zwar neuerdings gern behandeltes Thema in urbanen Medien, es fände eine Art Idealisierung des Landlebens statt, „aber sie erniedrigen uns auch. Denn sie lassen uns nicht selbst zu Wort kommen.“
Auch viele Stadtmenschen erleben einen kulturellen Verlust, der auf dem Land alltäglich ist: „Meine Großmutter kann zwar nicht schreiben, aber den Garten betreibt sie ganz allein.“ Doch es sind nicht nur kulturelle Praktiken, die von manchen erinnert und von anderen vergessen werden. Sánchez geht es sowohl auf familiärer als auch auf gesellschaftlicher Ebene vor allem um die Leben all jener Frauen im ländlichen Raum, die unsichtbar und ungehört blieben: „dieser Essay soll ihnen endlich Gerechtigkeit widerfahren lassen, indem ich sie anerkenne, sie Teil der Erinnerung werden lasse.“ Dies gelingt ihr in einem zuweilen poetischen Ton auch in der deutschen Ausgabe des Buches, die aber an einigen Stellen durch Ungenauigkeiten in der Übersetzung nicht an die sprachliche Klarheit und Eleganz des spanischen Originals heranreicht.
Die deutsche Leserschaft dürfte sich dennoch in vielen Schilderungen wiederfinden, denn auch in Deutschland wird die Arbeit von Frauen auf dem Land kaum gewürdigt, das soziokulturelle Stadt-Land-Gefälle und das Sterben kleiner Höfe sind Teil von gravierenden Veränderungen der Gesellschaft. Sánchez’ Essay kann dabei als Inspiration für einen solidarischen Umgang mit den Problemen des ländlichen Raums dienen. Dazu gehört ein inklusiver ländlicher Feminismus, „von dem sich alle begleitet fühlen, der alle unterstützt und niemandem das Gefühl gibt, weniger wert zu sein“. Es geht nicht nur um alteingesessene Bäuerinnen, sondern etwa auch um migrantische Arbeiterinnen auf den Erdbeerfeldern und in den Schlachthäusern.
Land der Frauen María Sánchez Petra Strien (Übersetzung) Blessing 2021 192 Seiten, 20 €
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