Stabschefin Susie Wiles: Kontrollierter Verrat

Susie Wiles, die Stabschefin des Weißen Hauses, gilt nicht nur als die wichtigste Beraterin von Donald Trump, sondern auch als die intelligenteste, als eiskalte Strategin, die wie kaum jemand sonst die Kontrolle über Timing und Inhalt der politischen Inszenierung und die Manipulation der öffentlichen Wahrnehmung beherrscht. Sie gilt auch als unsichtbare Kraft im Hintergrund, die so gut wie nie „on the record“ mit Journalisten spricht, geschweige denn ihr Gesicht zeigt.

Wenn sie dies in dieser Woche nun doch getan hat, im Interview mit dem Magazin „Vanity Fair“, flankiert von den Porträts des Fotografen Christopher Anderson, auf denen jede Pore ihrer Haut zu sehen ist, dann sollte man das nicht als Unfall betrachten. Wiles hatte in mehreren Gesprächen mit dem Journalisten Chris Whipple im Lauf dieses Jahres ein paar nicht unbedingt schmeichelhafte Aussagen über ihren Chef und den inneren Kreis der US-Regierung fallengelassen, die erwartungsgemäß weltweit Schlagzeilen machten: Trump habe die „Persönlichkeit eines Alkoholikers“, Vizepräsident JD Vance sei „seit einem Jahrzehnt ein Verschwörungstheoretiker“, Elon Musk ein „komischer Vogel“.

Mama Wiles und ihre Rasselbande

Viele Kommentatoren taten ihr tatsächlich den Gefallen, diese Bemerkungen als überraschende Kritik an ihrem Chef und seinen Vertrauten zu lesen, als spektakulärer Fall von Offenheit, manche sogar als eine Art Verrat oder öffentliches Kündigungsschreiben. Unter normalen Umständen wäre diese Deutung sicher plausibel. Aber wen sollten Wiles’ Beschreibungen noch groß schockieren? Dass man derart harsche Worte ausnahmsweise offiziell aus dem Umfeld Trumps hört statt von Whistleblowern oder Abtrünnigen, ist das Spektakel – aber eben eher eines, das Wiles sehr bewusst auf die Bühne bringen wollte. Jenseits der bösen Spitzen präsentiert sie die Männer an der Macht genau so, wie sie von vielen gern gesehen werden: als besessene Entscheider, die politische Korrektheiten nicht so ernst nehmen, als starke Persönlichkeiten und Genies, die eben nicht ohne ein paar Schrullen zu haben sind. Und sich selbst wie eine strenge Mutter, die ihre Rasselbande schon im Griff hat.

Im Vorübergehen relativiert sie, kurz vor der Veröffentlichung der Akten, Trumps Verbindung zu Jeffrey Epstein. Und sie gibt dem zuletzt reichlich gespaltenen MAGA-Lager die Gelegenheit, sich als geschlossene Einheit zu präsentieren. Nach der Veröffentlichung des Interviews hagelte es Solidaritätsbekundungen mit Wiles, ihre Zitate seien natürlich aus dem Kontext gerissen worden, hieß es, jeder Versuch, die Regierung zu spalten, sei zum Scheitern verurteilt. Wie nach einem vorbereiteten Skript wendeten die Angegriffenen die Kritik ins Positive: Trump stimmte Wiles Aussage über seine Alkoholiker-Persönlichkeit zu – deshalb trinke er ja nichts. Vance gab zu, tatsächlich an Verschwörungstheorien zu glauben – „aber nur an die, die wahr sind“.

Wiles selbst bezeichnete den Artikel als „verlogene Hetzkampagne“ gegen sie und die Regierung. Sie muss es wissen, schließlich hat sie sie selbst eingefädelt.

Source: faz.net