Staatsschulden: In Sri Lanka sind die Touristen zurück – jener Stolz nicht

Frühmorgens wird klar, warum das „Spice Trail“ in Arugam Bay jede Woche ausgebucht ist. Vor dem Boutiquehotel erstreckt sich ein Strand mit Palmen und Fischerbooten wie aus dem Bilderbuch. Doch das Wunder, welches das Dorf an Sri Lankas Ostküste auf die Weltkarte gesetzt hat, ereignet sich erst nach Sonnenaufgang: perfekte rechtsbrechende Wellen, zwei Meter hoch und mehrere Hundert Meter lang, die Surfern das Gefühl geben, eins zu sein mit der Natur.

Nach der Wirtschaftskrise vor drei Jahren, als Sri Lanka seine Auslandsschulden nicht mehr bedienen konnte und es im „Spice Trail“ nur noch ein paar Stunden am Tag Strom gab, kamen die Wellenreiter schnell wieder nach Arugam Bay zurück und brachten Hotels und Tuktuk-Fahrern dringend benötigte Dollar. In diesem Jahr sollen wieder 2,5 Millionen Touristen Sri Lanka besuchen, ein neuer Rekord. „Stark und ermutigend“ nennt die Weltbank das Comeback des Inselstaats vor Indien, der eben noch am Boden lag. Doch die Sri Lanker wollen nicht jubeln. Das Lächeln, früher Markenzeichen des 22-Millionen-Volks, bleibt heute oft verschwunden. Die Gastfreundschaft ist noch da, doch nun mischt sich Angst ins Geplauder: Man solle aufpassen in Arugam Bay, hatte der Taxifahrer gewarnt: „Dort gibt es viele Israelis.“

Die Surfschule „Zilla“ wirbt auf Hebräisch

Das stimmt. Im „Spice Trail“ stellen sie zwei Drittel der Gäste. Vor dem „Pizza Point“, der Herberge „Lahiru“, dem Massagesalon „Shalomi“ und der Surfschule „Zilla“ wird das Angebot auf Hebräisch dargeboten. Hinter schwäbisch schwätzenden Deutschen läuft auf der Hauptstraße am späten Nachmittag ein Rabbi entlang. An einer Stellwand an der Hauptstraße erinnern Aufkleber an in Gaza getötete Soldaten der israelischen Streitkräfte: Unteroffizier Dotan Shimon, gefallen am 17. September 2024. Unter dem Foto von Sivan Shahrabani steht: „Du warst ein Sonnenschein.“ Daneben ein Zweiundzwanzigjähriger mit Strohhut, der am 7. Oktober 2023 beim Überfall der Hamas auf den Kibbuz Kissufim starb.

Die Stellwand ist eine Reminiszenz an den israelischen Film „Arugam Bay“, der Ende vergangenen Jahres herauskam und das Dorf aus Sri Lanka in Israel berühmt gemacht hat. Die Handlung erzählt von drei traumatisierten jungen Israelis, die in Arugam Bay beim Surfen den Tod des Freundes an der Front vergessen wollen. Es sind keine politischen Botschaften auf den Aufklebern zu finden, nur Slogans wie „Verändern wir die Welt!“.

Von den 2,5 Millionen Touristen in Sri Lanka stammen gerade mal ein Prozent aus Israel. Nach dem Nachbarn Indien kommen die meisten Urlauber aus Russland. Doch in der Debatte, die seit über einem Jahr auf der Insel herrscht, wirkt es, als drohe ihr Besatzung wie dem Gazastreifen. Die israelischen Touristen in Arugam Bay hätten kein Benehmen, sagt der Taxifahrer in der 400 Kilometer entfernten Hauptstadt Colombo und schiebt bei Nachfrage hinterher: „Die setzen beim Rollerfahren keine Helme auf.“ Die führende Tageszeitung „Daily Mirror“ wird im Leitartikel grundsätzlicher: Es sei bekannt, dass die Israelis – darunter mutmaßlich Kriegsverbrecher – in Arugam Bay „illegal“ Restaurants und Tuktuk-Fahrdienste eröffneten und „Schlüsselbereiche der lokalen Wirtschaft“ übernähmen. Tourismus und Devisen seien wichtig: „Aber nicht auf Kosten der Souveränität unseres Landes“. Der Ausverkauf an „imperialistische Mächte“ gehe mit einem „Verlust der Würde“ einher.

Laut einer Studie leidet ein Fünftel der Bevölkerung an Depressionen

Da es in Sri Lanka nie eine nennenswerte Zahl von Juden gegeben hat und sich in Arugam Bay nicht ein Sri Lanker finden lässt, der schlecht über die Gäste aus Israel spricht, fragt sich, woher der Aufruhr stammt. Der bisher unbekannte Antisemitismus lege nur „die Spitze des Eisbergs frei, der in der Gesellschaft Sri Lankas schlummert“, schreibt Punsara Amarasinghe von der General Sir John Kotelawala Defence University. Tatsächlich leidet Sri Lanka, seit die Menschen wegen des Mangels an Jobs als Arbeitsmigranten ins Ausland gehen. Auf 300.000 im Jahr stieg ihre Zahl nach der Krise. Etwas weniger als die Hälfte davon sind verheiratete Frauen. Verlassen sie ihre Kinder, haben diese einer neuen Studie nach besonders oft psychische Probleme. Aber auch in der Bevölkerung insgesamt ist der Anteil von einem Fünftel mit Depressionen alarmierend hoch.

Ein Jahr nach Beginn der Krise vereinbarte Sri Lankas Regierung, Zehntausende Arbeiter nach Israel zu entsenden, die während des Gazakriegs die geflohenen Thais und verbannten Palästinenser auf Bauernhöfen und Baustellen sowie in Krankenhäusern ersetzen sollten. Wenn es in Sri Lanka nun gegen die israelischen Touristen geht, schwingt Wut auf die eigene Armut mit. Es gibt viel Groll im Land gegen die harten Sparmaßnahmen des Internationalen Währungsfonds, der die Insel in der Krise mit drei Milliarden Dollar gerettet hat. Auf dem Papier sei der Wirtschaftsaufschwung schön und gut, schreibt der „Daily Mirror“. Doch in der Realität könnten sich viele Familien keine drei Mahlzeiten am Tag leisten. Wo da die Würde bleibe? In den Hotels der Touristenhochburg Kandy verdienen die Menschen durch den Währungsverfall heute real noch halb so viel wie vor der Krise.

Dabei ist längst nicht alles zum Weinen. Weil Indien kaum über Tiefwasserhäfen verfügt, wickelt der Subkontinent fast die Hälfte seines maritimen Warenverkehrs über Colombo ab, wo die Container von größeren auf kleinere Schiffe geladen werden. Für die Europäische Union, die für ihren Handel mit China nach Alternativen in Asien sucht, sei Sri Lankas strategische Lage als Umschlagplatz von großer Bedeutung, sagt Martin Klose, Chef der deutschen Auslandshandelskammer im Land. Eine Erweiterung des West Terminals in Colombo könnte zu einem Herzstück der „Global Gateway“-Initiative werden, die die EU mit vielen Fördermilliarden als Antwort auf Chinas Neue Seidenstraße aufgelegt hat.

In der Krise war ein jeder am Ende des Tages ärmer als zuvor

Wenn auf der Schiene wochentags um sieben Uhr morgens der Intercity 1009 die Station Colombo Fort Richtung Kandy verlässt, wirkt die Fahrt zwar auf den ersten Blick wie eine Reise in Sri Lankas marode Vergangenheit. Mit 45 Kilometern die Stunde lässt der Zug die Glastürme mit den Luxusapartments im Herzen der Hauptstadt hinter sich. Als er nach einer Viertelstunde ruckelnd die Station Wanawasala passiert, stehen die Pendler auf dem Weg zum Arbeitsplatz in der Stadt noch in weißem Hemd und Hose auf dem Bahnsteig da. Es folgen Hunupitiya, Enderamulla, Walpole. Je weiter die Vororte entfernt sind, desto ungepflegter wird die Garderobe. Auf den Gleisen laufen jetzt Menschen, am Rand stehen verfallene Hütten mit Wellblechdach. Irgendwann zieht vor dem Fenster nur noch Dschungel vorbei. Als der Intercity nach 40 Minuten in Gampaha stoppt, tragen die Pendler T-Shirt.

Das weckt Erinnerungen an die Zeit vor drei Jahren, als sich inmitten von Pandemie und Wirtschaftskrise auf dem Bahnhof in Gampaha die Masken tragenden Massen in die Züge drängten. Barfuß auf den Trittbrettern am Waggon hängend begann der Arbeitstag mit der lebensgefährlichen Fahrt nach Colombo, an dessen Ende ein jeder ärmer nach Hause kam, weil der Kurs der Rupie weiter gefallen war. Weil sich der Staat den Import nicht mehr leisten konnte, gab es kein Benzin an den Tankstellen mehr. Stromausfälle waren an der Tagesordnung. In Städten wie Gampaha saßen Familien vor Holzöfen, um Reis zu kochen, da neues Gas für den Gaskocher nicht mehr zu kaufen war.

Doch beim Ausstieg in Gampaha: Überraschung! Auf den Straßen vor dem Bahnhof drängen sich die Neuwagen. Besonders oft ist der „Sealion“ von BYD zu sehen. In der Wirtschaftskrise hatte Sri Lanka den Import von Autos verboten, damit kein Kapital ins Ausland abfließt. Seitdem das Verbot im Februar des laufenden Jahres aufgehoben wurde, hat das Land laut Zentralbank Fahrzeuge im Wert von 1,2 Milliarden Dollar eingeführt. Der Renner sind dabei die Elektromodelle des chinesischen Massenherstellers, die zu Recht in Sri Lanka als Luxusautos gelten: Weil die Regierung zur Sanierung der Staatsfinanzen heftige Zölle verlangt, liegt der Kaufpreis für den BYD-SUV auf der Insel mit umgerechnet 60.000 Euro bei knapp dem Vierfachen des Preises in China.

Die Menschen kaufen wieder Autos – auf Kredit

Die Sri Lanker finanzieren den Kauf per Kredit, den die Banken auch an Menschen vergeben, die dafür ihr gesamtes Einkommen aufwenden müssen und auch anderswo in der Kreide stehen: Ratentilgung über 59 Monate zu je eintausend Euro, dann eine Abschlusszahlung von 25.000 Euro. Man kann es als tickende Zeitbombe für ein Land ansehen, wenn Bürger massenhaft für eine Investition mit riesigem Wertverlust Beträge aufbringen, die insgesamt 40 Prozent höher liegen als der ursprüngliche Preis. Man kann aber auch das Glas als halb voll betrachten wie Colombos Zentralbank, die sich freut, dass der Anstieg an Importen die Wirtschaft ankurbelt. AKD, wie der Präsident genannt wird, ist erklärter Sozialist. Weil er vor einem Jahr die Wahl mit dem Versprechen gewonnen hat, endlich mit der Korruption aufzuräumen, hat er bei den Sri Lankern noch Spielraum. Seiner Regierung traut zwar laut einer Umfrage nur ein gutes Drittel der Menschen zu, der Bestechlichkeit von Polizei, Zollbeamten und Politikern ein Ende zu bereiten. Doch die Vorgängerregierungen erhalten dafür fast gar kein Vertrauen der Bevölkerung mehr. Zumindest die Inflation ist inzwischen unter Kontrolle.

Abeelaesh Sivanesan ist vor drei Jahren im Juli mit seinen Freunden zum Präsidentenpalast gestürmt, um die damalige Regierung zu stürzen. Auf seiner Arbeitsstelle war es bis dahin seine Aufgabe gewesen, Sri Lankas Oberschicht italienische Luxusautos zu verkaufen. Doch seit dem Importstopp lief das Geschäft nicht mehr. Nun gab es noch nicht mal mehr Treibstoff für die Probefahrt. Mit seinem eigenen Wagen, einem koreanischen Ssangyong, stand Sivanesan zwei Tage vor der Tankstelle in einer Schlange, die mehrere Kilometer lang war. Kurz bevor er an der Reihe war, ging das Benzin aus. Am Ende fand Sivanesan eine Zapfsäule nahe seiner Wohnung und ließ den Wagen in der Kilometerschlange einfach stehen, während er nach Hause zum Schlafen ging. Dort wartete die Frau mit dem Baby, für das es in den Apotheken viele Medikamente nicht mehr zu kaufen gab. „Kein Wunder, dass die Menschen ausgerastet sind“, sagt Sivanesan.

„Wir sind ein Dritte-Welt-Land“

Er sitzt auf der Terrasse des Galle Face Hotel über der Brandung des Indischen Ozeans. Das Haus wurde 1864 im damaligen Ceylon gebaut, hatte Mark Twain und Prince Philip als Gäste und inzwischen wieder Kundschaft. Weil es für seine italienischen Autos keine Kunden mehr gab, ist Sivanesan vor drei Jahren zu einem Finanzdienstleister gewechselt und reicht inzwischen Kredite an Unternehmen aus. Er ist näher am Puls der Wirtschaft als viele Ökonomen. Die Frequenz stimmt ihn froh: „Ich würde nicht sagen, dass wieder alles im Gleichgewicht ist. Aber wir sind weit von dem entfernt, wo wir in der Krise waren.“

In Sri Lanka gibt es Studienfächer, in denen über die Hälfte aller Absolventen ins Ausland gehen und nie mehr zurückkommen. Auch Sivanesan hatte Freunde aus der Heimat, die nach Kanada ausgewandert sind. Seine Frau wollte unbedingt weg, die Kälte schreckte sie nicht. „Wir sind ein Dritte-Welt-Land“, sagt Sivanesan. „Bankrott zu gehen, das ist würdelos.“

Er hatte damals alle Englischtests bestanden. Doch er blieb. „Abhauen war für mich nie eine Option“, sagt Sivanesan. „Man kann es auch hier schaffen.“ Es ist der Stolz, den seine Insel braucht.

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