Die Digitalbranche ist entzückt – und das geschieht in Deutschland nicht häufig. „Die Modernisierungsagenda der Bundesregierung gibt ein echtes Aufbruchsignal für den digitalen Staat“, schwärmt Bitkom-Hauptgeschäftsführer Bernhard Rohleder. Der Auslöser für seine Begeisterung hat einen Namen: Karsten Wildberger, 56 Jahre, ehemaliger Vorstandsvorsitzender der Media-Markt-Saturn-Gruppe, jetzt Kabinettsmitglied in der Regierung Merz. „Deutschlands erster Digitalminister hat in Rekordtempo geliefert“, findet Rohleder. Die Agenda enthalte „spürbare Verbesserungen für Bürger und Unternehmen“, etwa Firmengründungen innerhalb von 24 Stunden und den Abbau überbordender Bürokratie. Das „Once-Only-Prinzip“ will Wildberger in der Verwaltung durchsetzen: Nur ein einziges Mal solle der Staat den Bürger mit Datenanfragen behelligen. Liegen sie einmal vor, sollen sie bei Anträgen automatisch genutzt werden.
Auch der Normenkontrollrat, ein Expertengremium in der Rolle des strengen Wächters vor zu viel Bürokratie, kann dem Plan einiges abgewinnen. „Mit der vorgelegten Modernisierungsagenda stellt die Bundesregierung wichtige Weichen für eine zukunftsfähige Verwaltung“, lobt der Vorsitzende Lutz Göbel. Sie gehe über den klassischen Bürokratieabbau hinaus und zielt darauf ab, staatliche Strukturen und Services grundlegend zu modernisieren und zu digitalisieren.
80 Einzelmaßnahmen und fünf „Handlungsfelder“ umfasst die 40 Seiten lange Agenda. Darunter ist Vieldiskutiertes und Altbekanntes. Von einem „Deutschlandstack“ spricht Wildberger schon seit seinem Amtsantritt: Der Bund will Ländern und Kommunen Basiskomponenten zur Verfügung stellen, aus denen sie sich für ihre digitalen Angebote bedienen können: Dass sich Bürger im Netz identifizieren müssen, sollte nicht jede Kommune aufs Neue vor Herausforderungen stellen. Für Dienstleistungen des Staates soll es künftig nur eine Lösung geben und nicht mehrere. Jetzt steht es schwarz auf weiß in der Agenda, in den kommenden zwölf Monaten soll dieser Deutschlandstack in weiten Teilen umgesetzt sein.
Entlastung für die Kommunen
Auch das „i-Kfz“ findet sich auf einer Liste von Hebelprojekten wieder, die die Bundesregierung auf ihrer Kabinettsklausur in der Villa Borsig verabschiedet hat. Der Kanzler hebt dieses Vorhaben in der Abschlusspressekonferenz explizit hervor und preist es vor allem als Entlastung für die Kommunen an. Die internetbasierte Fahrzeugzulassung soll beim Kraftfahrtbundesamt zentralisiert werden, kündigt er an. 400 Zulassungsbehörden würden damit von der Pflicht befreit, ein solches Portal vorzuhalten. Dass sie dies überhaupt tun sollten, ist Ausfluss des Föderalismus. Der gehört zu den größten Hürden einer flächendeckenden Digitalisierung. Zur Wahrheit gehört nämlich auch: In Deutschland gibt es schon für jedes Problem eine digitale Lösung – nur leider nicht überall.
Um das zu ändern, braucht es nicht weniger als eine Staatsreform. Die Modernisierungsagenda ist dafür ein wichtiger Baustein. Er soll der erste in einer ganzen Reihe werden: So bedarf es noch einer Modernisierungsagenda mit den Ländern und weiterer Abspeckrunden der Ministerien. Der ehemalige Manager mahnt deshalb schon einmal vorsorglich zur Geduld.
Bürokratiekosten sollen um 25 Prozent gekürzt werden
Will man den Staat moderner und leistungsfähiger machen, muss das auch sichtbar werden. Auch konkrete Zeitrahmen werden genannt und plakative Zielmarken: Die Bürokratiekosten sollen um 25 Prozent gekürzt werden, auf rund 16 Milliarden Euro summiert sich das. Mag die Zahl auch abstrakt sein, so hat sie doch eine nachvollziehbare Grundlage: Das Statistische Bundesamt taxierte die jährlichen Bürokratiekosten zuletzt auf knapp 67 Milliarden Euro und meint damit den Aufwand, der durch Informationspflichten, Anträge, Meldungen und Nachweise für Unternehmen und Bürger entsteht.
Der neueste Anlauf der Bundesregierung, die staatlichen Vorgaben zu entrümpeln, nehme deshalb Dimensionen nie gekannten Ausmaßes an, lobte der parlamentarische Staatssekretär Philipp Amthor (CDU) jüngst vor Journalisten. Die früheren Bürokratieentlastungsgesetze I bis IV der vergangenen beiden Legislaturperioden hätten sich jeweils im einstelligen Milliardenbereich bewegt. Auch eine Inventur der Bundesbehörden plant die Bundesregierung, denn bisher wird gar nicht zentral ermittelt, wie viele es gibt und wie viele Mitarbeiter dort arbeiten. 950 Behörden und GmbHs wurden nun gezählt, die weitere Analyse dauert noch an. Klar ist aber schon jetzt, dass das Dienstrecht moderner werden soll. Beamte sollen Anreize bekommen, Prozesse zu entschlacken und Haushaltsmittel einzusparen. Der Personalbestand soll um acht Prozent sinken bis zum Ende der Legislaturperiode, Sachkosten um zehn Prozent.
Die Modernisierungsagenda der Bundesregierung ist also ein Sammelbecken an Einzelmaßnahmen, die grundsätzliche Probleme angehen. Die meisten sind schon lange in der Planung. Eine digitale Work-and-stay-Agentur soll es Fachkräften erleichtern, einzuwandern, bei der Visumvergabe will die Regierung verstärkt auf KI setzen. Der ebenfalls als Hebelprojekt geführte „digitale Auszahlungsmechanismus“ ist zwar ein Eingeständnis, dass es mit der sinnvollen Nachnutzung schon vorhandener Anwendungen in Deutschland nicht besonders weit her ist: Für die Einmalzahlung für Studierende während der Energiekrise hatte Sachsen-Anhalt schon einmal ein vorbildliches Digitalprojekt geschaffen. Das Bundesfinanzministerium, noch unter der Leitung von Christian Lindner, hat sich aber für eine eigene Lösung entschieden, bei der die Bürger selbst noch mithelfen müssen: Mithilfe der App „BZSt IBAN+“ können sie beim Bundeszentralamt für Steuern ihre Kontonummer mit ihrer Steuer-ID verknüpfen. Doch ist es erst einmal etabliert, kann es für alle Zahlungen des Staates an seine Bürger genutzt werden.
Abstrakter, aber nicht minder effektiv, sind andere Vorhaben, die sich die Bundesregierung vornimmt. Die Rechtssetzung soll sich radikal ändern: Gesetze müssen digitaltauglich werden, eine Anforderung, die in der vergangenen Legislaturperiode zum Beispiel das Vorhaben zur Kindergrundsicherung gar nicht erfüllte. Viel wurde damals über die notwendigen finanziellen Mittel in Höhe von zwölf Milliarden Euro gestritten, aber niemand kam auf die Idee, dass sich die Regeln auch in digitale Prozesse einbinden lassen müssen. Dazu müssen Leistungen pauschaler festgelegt werden, die Ausnahmen entfallen.
Die Modernisierungsagenda ist beschlossen, jetzt fängt die Arbeit erst an. Daran erinnern auch Wirtschaftsverbände und der Normenkontrollrat. Jetzt brauche es konkrete Umsetzungsschritte und eine effektive Erfolgskontrolle.