Wenige Stunden nach der überraschenden Ausrufung des Kriegsrechts hat Südkoreas Staatschef Yoon Suk Yeol den Schritt wieder zurückgenommen. „Soeben hat die Nationalversammlung die Aufhebung des Ausnahmezustands gefordert, und wir haben das Militär abgezogen, das für den Einsatz unter Kriegsrecht eingesetzt war“, sagte Yoon in einer Fernsehansprache. International hatte der Schritt Besorgnis ausgelöst.
„Wir werden der Bitte der Nationalversammlung nachkommen und das Kriegsrecht in einer Kabinettssitzung aufheben“, sagte Yoon weiter. Die vor dem zeitweise abgeriegelten Parlament versammelten Demonstranten begrüßten die Ankündigung Yoons mit großem Jubel. Das Kabinett stimmte der Aufhebung des Kriegsrechts kurze Zeit später in den frühen Morgenstunden zu, wie die südkoreanische Nachrichtenagentur Yonhap berichtete.
Opposition fordert Rücktritt von Präsident Yoon
Der wichtigste Gewerkschaftsverband des Landes rief nach der Aufhebung des Kriegsrechts zu einem
„unbefristeten Generalstreik“ bis zu einem Rücktritt von Präsident Yoon auf. Yoon habe „das Ende (seiner) eigenen Macht erklärt“, teilte die
1,2 Millionen Mitglieder zählende KFTU-Gewerkschaft mit. Sie warf dem
Präsidenten eine „irrationale und antidemokratische Maßnahme“ vor.
Auch Südkoreas wichtigste Oppositionspartei forderte Yoon zum sofortigen Rücktritt
auf. Sollte er nicht von sich aus zurücktreten,
werde man unverzüglich ein Amtsenthebungsverfahren gegen den Präsidenten
einleiten, kündigte die Demokratische Partei laut
Medienberichten bei einer Dringlichkeitssitzung in der
Nationalversammlung an. Die Ausrufung des Kriegsrechts sei „ein klarer
Verstoß gegen die Verfassung“ gewesen.
Einem Medienbericht zufolge wollen Yoons ranghohe Berater geschlossen zurücktreten. Nach Informationen der südkoreanischen Nachrichtenagentur Yonhap sollen dazu unter anderem der Stabschef des Präsidenten sowie der nationale Sicherheitsberater gehören. Insgesamt wollen demnach zehn ranghohe Berater Yoons zurücktreten.
Parlament stimmte einstimmig für Aufhebung
190 Abgeordnete waren nach der Ausrufung des Kriegsrechts in das Parlamentsgebäude gelangt und hatten einstimmig für die Aufhebung des Kriegsrechts votiert, wie Parlamentspräsident Woo Won Shik mitteilte. Die südkoreanische Verfassung sieht vor, dass das Kriegsrecht aufgehoben wird, wenn eine Mehrheit im 300 Sitze fassenden Parlament dies verlangt. Die Opposition hat im südkoreanischen Parlament die Mehrheit.
Yoon hatte der Opposition vorgeworfen, die Regierung behindern zu wollen, um Ermittlungen gegen Oppositionsführer Lee Jae Myung verhindern zu wollen. Gegen den Chef der stärksten Oppositionspartei DP, der bei der Präsidentschaftswahl im Jahr 2022 knapp gegen Yoon verloren hatte, wird in mehreren Fällen wegen Korruption ermittelt. Er weist alle Vorwürfe zurück.
„Südkoreas Trump“
In seinem Wahlkampf hatte
Yoon, der zuvor Generalstaatsanwalt gewesen war, angekündigt, seinen
damaligen demokratischen Mitstreiter ums Präsidentenamt, Lee,
strafrechtlich verfolgen zu lassen, und dies später auch versucht.
Auch gegen kritische Medienhäuser
geht Yoon mit Einschüchterungstaktik vor.
Ihm nahestehende Personen
hat Yoon dagegen vor Strafverfolgung geschützt, unter anderem seine
Ehefrau, der Geschenkannahme vorgeworfen worden ist. Im Land wird Yoon
auch „Südkoreas Trump“ genannt, vor allem weil er die Demokratie
missachte.
Der Rechtspopulist Yoon steht seit
Monaten innenpolitisch unter Druck. Zuletzt hat ein mutmaßlicher
Korruptionsskandal rund um seine Ehefrau seine Beliebtheitswerte weiter
gedrückt. Zudem tut
er sich seit seinem Amtsantritt im Jahr 2022 schwer, seine Agenda gegen
das Parlament durchzusetzen, das von der Opposition kontrolliert wird.
Haushaltsstreit als Ausgangspunkt
Der Ausrufung des Kriegsrechts war ein Haushaltsstreit zwischen Yoons
Partei PP mit der größten Oppositionskraft Demokratische Partei (DP)
vorausgegangen. Yoon warf der Opposition vor, sie habe ohne jede
Rücksicht auf das „Auskommen“ der Bevölkerung die Regierung gelähmt.
Die Abgeordneten der
Opposition hatten mit ihrer Mehrheit in der vergangenen Woche nur eine
deutlich abgespeckte Fassung des Haushaltsentwurfs im zuständigen
Parlamentsausschuss gebilligt.
Das Parlament sei „ein Zufluchtsort
für Kriminelle geworden, ein Hort für eine legislative Diktatur, die
das juristische und administrative System lähmen und unsere liberale
demokratische Ordnung stürzen will“, sagte Yoon in seiner Ansprache
dazu.
Er warf der Opposition vor, Gelder für die Kernaufgaben des
Staates wie etwa die Bekämpfung der Drogenkriminalität und die
Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung zusammenzustreichen und damit
einen „Zustand des Chaos bei der öffentlichen Sicherheit“ zu schaffen.
Parlament zwischenzeitlich abgeriegelt
Yoon hatte seine Entscheidung, das Kriegsrecht zu verhängen, auch mit einer Bedrohung durch den nördlichen Nachbarstaat Nordkorea begründet: „Um ein liberales Südkorea vor den Bedrohungen durch Nordkoreas kommunistische Truppen zu schützen und um antistaatliche Elemente zu eliminieren (…), rufe ich hiermit das Kriegsrecht aus.“
Der Präsident hatte allerdings keine konkreten Bedrohungen in Bezug auf Nordkorea genannt.
Die beiden Nachbarstaaten befinden sich seit dem Ende des
Koreakrieges 1953 formell nach wie vor im Kriegszustand. Die
Beziehungen beider Länder befinden sich derzeit auf einem Tiefpunkt.
Das Parlament in Seoul war am späten Dienstagabend abgeriegelt worden, Soldaten drangen in das Gebäude ein, Hubschrauber landeten auf dem Dach. Alle politischen Aktivitäten seien untersagt, erklärte der Befehlshaber des Kriegsrechts, Park An Su. Alle Medien und Publikationen würden der Kontrolle des Kriegsrechtskommandos unterliegen.
Vor dem Parlamentsgebäude versammelten sich daraufhin Hunderte Menschen und demonstrierten gegen die Entscheidung. „Verhaftet Yoon Suk Yeol“, skandierten sie. Oppositionsführer Lee verurteilte die Verhängung des Kriegsrechts als „illegal“ und „ungültig“. Er forderte die Bürger auf, sich ihm im Kampf gegen das Kriegsrecht anzuschließen. Nach Aufhebung des Kriegsrechts feierten Demonstranten vor dem Parlamentsgebäude.
USA, UN und Deutschland äußern Besorgnis
International hatte Yoons Entscheidung Besorgnis ausgelöst. Die USA, ein wichtiger Verbündeter Südkoreas, forderten eine Lösung, die der „Rechtsstaatlichkeit“ folgt. „Ich möchte betonen, dass unser Bündnis mit der Republik Korea in Stein gemeißelt ist und wir Korea in dieser Zeit der Unsicherheit zur Seite stehen“, sagte US-Vizeaußenminister Kurt Campbell unter Verwendung des offiziellen Namens Südkoreas.
Ein UN-Sprecher teilte mit, die Vereinten Nationen würden die
Entwicklungen in Südkorea „sehr genau und mit Sorge“ beobachten. Das
Auswärtige Amt schrieb in einer Stellungnahme vor Aufhebung des
Kriegsrechts auf X: „Die Demokratie muss sich durchsetzen.“
Nach der Aufhebung des Kriegsrechts teilte das Weiße Haus mit, die USA seien
„erleichtert“, dass der südkoreanische Präsident seinen Kurs geändert
und das Votum des Parlaments respektiert habe.