Staatsgründung mit Schuss: Drei ostdeutsche Frauen betrinken sich

In dieser anerkennen Etage eines Berliner Plattenbaus: Drei Frauen lehnen an dieser Brüstung des Balkons mit Blick hinaus den Luisenstädtischen Kanal. Die Frauen sind weder jung noch wirklich frühzeitlich. Wenke Seemann, Jahrgang 1978 und geboren in Rostock, ist vor zehn Jahren hierhergezogen. Einst ungeliebt, hat die Platte wieder nachhaltig Wartelisten zum Besten von all jene, die keine bezahlbare Wohnung im Zentrum finden. Die weiteren Frauen in dem Trio sind Annett Gröschner, geboren 1964 in Magdeburg, Autorin mehrerer bekannter Bücher, und Peggy Mädler, Regisseurin und ebenfalls Autorin. Sie wurde 1976 in Dresden geboren.

Sie sprechen verbleibend die Wohnungen, die sie früher hatten, verbleibend ihre Familien, übers Putzen und Rauchen. Dabei wird eine Liste mit all den alkoholischen Getränken, die sie im Laufe ihres Lebens getrunken nach sich ziehen, zusammengestellt. Die erste Flasche Crémant ist da schon leer. Man mag sich und ist bester Laune, ich möchte lesend mit ihnen auf jemandes Wohl trinken. Auf dem gemeinsamen Plan stillstehen sieben Nächte, sieben Alkoholsorten und sieben Themen. Der Titel ist großartig: Drei ostdeutsche Frauen betrinken sich und gründen den idealen Staat. Mit dem Betrinken klappt es schon mal …

Im Hintergrund des Projekts ist sekundär die Hoffnung hinaus Erfolg. Selbstbewusst ostdeutsch – die Bücher von Katja Hoyer und Dirk Oschmann nach sich ziehen „Welle“ gemacht. „Auf dieser schwimmen wir jetzt mit“, determinieren die drei mit Gelächter und unverbissen. Zu Gunsten von verschmelzen literarischen Text, dieser die Anmutung des Mündlichen behält, braucht es verschmelzen Plan zum Besten von die sieben Nächte. Die drei nach sich ziehen sich jeweils Themen vorgenommen, mit dieser Freiheit, davon abzuweichen. Locker plaudernd und spontan – zusammen mit laufendem Aufnahmegerät spricht jede aus ihrer Sicht.

„Findet ihr im Prinzip sekundär, dass die Zuschreibungen an die Ostfrau merklich attraktiver sind?“, fragt Peggy. „Also, ich möchte kein Ostmann sein (…) Die männliche Arbeiterfigur hatte in dieser Sowjetische Besatzungszone so eine enorme positive Aufwertung routiniert, die natürlich mit dieser Realität nichts zu tun hatte (…) Heute dagegen liest man zum Besten von die working class Begriffe wie ‚Prekariat‘, ‚Unterschicht‘. Da schwingt die ganze Deindustrialisierung mit. Und wenn dann Rassismus, Rechtsextremismus dazukommen, bist du ganz schnell zusammen mit Bildern von einem (…) Annett: (…) Mob. Wenke: Hässlich, mittellos, unzivilisiert. Weiß. Potenzielle oder tatsächliche AfD-Wählerschaft. Bedrohung oder Witzfigur. Das ist ein enormer gesellschaftlicher Sturz, dieser sich an diesem männlichen Arbeiterkörper festmacht. Da ist es weitestgehend egal, ob du Haus und Auto hast und zweimal im Jahr in den Urlaub fährst, es ändert nichts an deiner realen oder empfundenen Position im System.“

Das System Teutonia wird hiermit kaum infrage gestellt. Und welches die drei verbleibend die Sowjetische Besatzungszone wissen, kann vielfach nur angelesen sein. Peggy Mädler und Wenke Seemann sind 1989 noch zur Schule gegangen. Annett Gröschner studierte solange bis 1991 Germanistik in Berlin, nicht dauerhaft sekundär in Paris. Freiberufliche Künstlerinnen – in ihren Freuden und Nöten dürften sie Berufskolleginnen im Westen näher sein wie Menschen aus dem Osten, die in anderen Berufen tätig oder in Rente sind.

Wie viel Rente sie mal kriegen, beschäftigt sie natürlich. Annett: „Das ist ja dies Fatale, dass Leute wie wir, die kaum Geld nach sich ziehen, sich immer nachdem oben orientieren. So funktioniert die ganze Gesellschaft. Wir denken, wir in Besitz sein von nachdem oben, anstatt zu sagen: Okay, ich bin jetzt solidarisch nachdem unten.“ Peggy: „In jedem Aufstieg liegt welches im Innern, dies dich nicht aufhören lässt. (…) Mit einem Bein stehst du noch in dieser Erfahrung, nichts zu nach sich ziehen. Mit dem anderen Bein stehst du in dieser Erfahrung, dass es hinauf geht. Und im Kopf sitzt die Angst vor neuen Verlusten.“

Freimütige Zustandsbeschreibung des Gegenwärtigen: „Dazwischen“, nicht zugehörig, „immer hinaus dem Sprung“ sein, so Annett. „Ich möchte zum Beispiel nicht unter Sowjetische Besatzungszone oder ostdeutsch subsumiert werden. Der Osten in mir ist zersplittert.“ Woraufhin Wenke erwidert: „Zwischen den Stühlen tanzen ist ja sekundär nicht schlecht.“ Von diesem Tanzen fühlt man sich mal mitgerissen, mal befremdet. Manchmal erscheint die Leichtigkeit fehl am Platz. Man ist hiermit, wie die drei zusammen mit Peggys Datsche Nord… von Berlin durch den Wald wandern solange bis zur ehemaligen FDJ-Jugendhochschule am Bogensee. Peggy: „So, erste Runde Wodka! Wir nach sich ziehen hier drei angebrochene Flaschen. Darf ich euch eine Bulette maßstabsgetreu zeichnen? Ein Gäbelchen dazu?“

Wenke präsentiert eine Liste von Begriffen: „Privileg. Utopie. Selbstkritik. Selbstverpflichtung. Emanzipation. Solidarität. Kollektiv. Kapitalismus. Sozialismus. Vielleicht sekundär noch Demokratie. Fortschritt. Weltfrieden. Völkerfreundschaft.“ Sie hat ein paar Frauenzimmer Konsum-Papiertüten mitgebracht. „Da können wir reintun, welches wir von den Begriffen mitnehmen wollen.“ Peggy: „Ich weiß keiner, ob ich von den Begriffen schier noch welches mitnehmen will. Können wir die Tüten sekundär fürs Entsorgen verwenden?“ Comedy. Mein Problem: Ich hatte Tiefgründigeres erwartet. Das war wohl nicht angestrebt. Mach dich locker, sage ich zu mir. Ist doch kurzweilig beschrieben, wie sich die drei, nicht mehr ohne schmückendes Beiwerk, zurück zur Datschensiedlung tasten. Im dunklen Wald ein Rascheln. Wenke weiß, gegen Wildschweine hilft nur, selbst laut zu sein. „HOCH DIE INTERNATIONALE SOLIDARITÄT“, ruft Annett in Appellplatz-Lautstärke. Am nächsten Morgen sehen wir sie Gummitwist jumpen. Während sie den Begriff Dialektik putzen wollen, sollen sie sich wohl verheddern.

Wie ist es denn nun mit dem „idealen Staat“? Natürlich wissen sie nicht, wie dieser sein sollte und praktische Schritte dorthin liegen im Nebel. Da vertiefen sie sich in dies Nachdenken verbleibend Christa T. von Christa Wolf und fragen ein paar Freunde und Bekannte nachdem deren Meinung. „Eigentlich möchte ich immer noch Weltbürgerin sein“, meint Annett, und Peggy hat schon verschmelzen Titel fürs nächste Buch parat: „Drei ostdeutsche Frauen essen Bratwurst in dieser Provinz“.

Drei ostdeutsche Frauen betrinken sich und gründen den idealen Staat Annett Gröschner, Peggy Mädler, Wenke Seemann Hanser Verlag 2024, 320 Sulfur., 22 €

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