Spielwarenhersteller Schleich: Empörung nachdem Stammsitz-Verlagerung

Die Gewerkschaft IG Bergbau, Chemie, Energie erhebt massive Vorwürfe gegen das Management des Spielwarenherstellers Schleich. „Es ist einfach kein feiner Stil, so gegen die Sozialpartnerschaft zu verstoßen und die Belegschaft und den Betriebsrat vor vollendete Tatsachen zu stellen“, sagt Julian Liebner, Leiter des Ulmer Bezirks der Gewerkschaft.

Schleich-Vorstandschef Stefan De Loecker hatte am Dienstag die Mitarbeiter in der Zentrale in Schwäbisch Gmünd in einer Belegschaftsversammlung darüber informiert, dass Schleich den Stammsitz in Ostwürttemberg aufgeben und nach Prag und München ziehen werde. Der Betriebsrat ist nach Angaben der Gewerkschaft nicht in diese Pläne einbezogen und nur 90 Minuten vor der Versammlung informiert worden.

„Das ist nicht in Ordnung, dass kein Arbeitnehmervertreter in solche Pläne einbezogen worden ist“, sagt Liebner. Der Betriebsrat will nun zusammen mit der Gewerkschaft prüfen, ob das Vorgehen rechtens sei und ein Gegenkonzept erarbeiten. Geplant ist, dass der Münchner Standort von Schleich neuer Hauptsitz wird, dorthin gehen Marketing, Vertrieb und Beschaffung. Die Bereiche Personal, Kundenservice, Finanzen und Buchhaltung verlagert Schleich als sogenannten Shared-Service-Bereich ins tschechische Prag.

Nur die Logistik könnte möglicherweise bleiben

Die Logistik soll an einen externen Dienstleister in Schwäbisch Gmünd oder an einem anderen Ort in Baden-Württemberg oder Nordrhein-Westfalen vergeben werden. Die Beschäftigten haben nach Angaben von Liebner geschockt reagiert, ihnen seien Jobs in München und Prag in Aussicht gestellt worden.

Die Faszination der Figuren von Schleich entstand bislang aber in den Werkstätten am Stammsitz in Schwäbisch Gmünd. Dort, wo Graveure mit ihren Sticheln einzelne Muskeln von Pferden, Löwen oder Giraffen naturgetreu in Wachsmodell ritzen – vor sich Zoologiebücher und auf dem Bildschirm Bewegungsstudien der Tiere. Nun ist ein globales Netzwerk von sogenannten „Product Creation Centern“ geplant, das sich mit einer Zentrale in München auf Innovation und Entwicklung konzentriert.

„Da arbeiten die Leute nicht für 5000 Euro im Monat“

„Ich habe große Zweifel, ob das Konzept in München, wo die Lebenshaltungskosten so hoch sind, funktioniert, es sei denn man setzt nur auf Kräfte, die direkt von der Uni kommen und nach zwei Jahren wieder weg sind“, sagt Liebner. „München ist ein Standort für Hochtechnologie, da arbeiten die Leute nicht für 5000 Euro im Monat.“ Das Wechselangebot bezeichnet die Gewerkschaft als zynisch, weil viele langjährige Mitarbeiter im Raum Schwäbisch Gmünd mit ihren Familien verwurzelt seien. Die Stadt im Ostwürttemberg ist seit mehr als 90 Jahren der Stammsitz des Unternehmens.

Das Unternehmen hatte schon 2020 begonnen, Stellen nach München zu verlagern. Von den 450 Mitarbeiter des Unternehmens arbeiten bislang noch 250 in Schwäbisch Gmünd. Die übrigen 200 Beschäftigten haben ihren Sitz in München, den USA, Japan sowie an weiteren Standorten in Europa. Die Produktion befindet sich schon seit vielen Jahren im Ausland: Schleich lässt seine Figuren von Auftragsfertigern in Portugal, Rumänien, Moldawien, Vietnam, Tunesien, Mexiko und China produzieren.

Als Gründe für den Umbau nennt Schleich die Stärkung von Kernkompetenzen und das Bündeln von „Support“-Funktionen. „Wir setzen auf ein neues Betriebsmodell inklusive einer neuen, agileren Art der Zusammenarbeit“, lässt sich Schleich-Chef Stefan De Locker in einer Mitteilung zitieren. Zu den Vorwürfen der Gewerkschaft wollte sich De Locker nicht äußern. Das Unternehmen teilte lediglich mit, dass „wir Betriebsrat und Wirtschaftsausschuss ausführlich über die Pläne informiert haben, sobald diese die nötige Reife erreicht hatten, um sie fundiert teilen zu können.“

Gespräche mit Betriebsrat beginnen erst im Juni

Zu der Gewerkschaftskritik am Angebot, dass die Beschäftigten in Schwäbisch Gmünd nach München und Prag wechseln könnten, sagt Schleich: „Wir arbeiten mit Sorgfalt und Verantwortung, diese Veränderungen für die Mitarbeitenden in Zusammenarbeit mit dem Betriebsrat umzusetzen. Mitarbeitenden, die ihre Bereitschaft zu einem Wechsel uns gegenüber kommunizieren, bieten wir an, nach München und Prag zu wechseln.“ Details dazu seien Teil der Gespräche mit dem Betriebsrat. Diese beginnen Mitte Juni.

Hintergrund der Umbaupläne ist der massive Umsatzeinbruch im Jahr 2023, als die Erlöse um 15 Prozent auf 234 Millionen Euro sanken und die Zahl der verkauften Figuren um mehr als ein Zehntel auf rund 35 Millionen Stück zurückging. Den Gewinn nennt das Unternehmen nicht. In den vergangenen acht Jahren ist das Unternehmen unter dem bis August 2023 amtierenden Vorstandschef Dirk Engehausen kontinuierlich gewachsen – von einem Umsatz von 114 Millionen Euro im Jahr 2015 auf einen Umsatz von 275 Millionen Euro im Jahr 2022. In der aktuell letzten veröffentlichen Bilanz 2020 kam das Unternehmen auf einen operativen Gewinn (Ebit) von 12,6 Millionen Euro und einen Nettoverlust von 6,9 Millionen Euro. Während der Corona-Pandemie gehörte das Unternehmen allerdings zu den Gewinnern, Absatz und Umsätze stiegen – bis zu dem aktuellen Einbruch.

Schleich ist im Besitz des Schweizer Finanzinvestors Partners Group. „Die von Schleich diese Woche mitgeteilten Entscheidungen wurden durch die Geschäftsführung und den Beirat von Schleich konzipiert und getroffen. Partners Group unterstützt diese Entscheidungen vollends“, sagte ein Sprecher der Private-Equity-Gesellschaft. Zu den Gründen für den Umbau und den Vorwürfen der Gewerkschaft wollte sich der Investor nicht äußern. Es sind aber wohl die schlecht laufenden Geschäfte im Jahr 2023, die nicht zu den ehrgeizigen Umsatzzielen passen. Schließlich will Partners Group aus „Schleich eine Weltmarke machen“. So beschrieb es jedenfalls Luisa Delgado, die für den Finanzinvestor den Schleich-Beirat führt, im Interview mit dem „Handelsblatt“. Um die Ziele zu erreichen, setzt Delgado seit Januar 2024 auf den früheren Chef des Konsumgüterkonzerns Beiersdorf De Loecker als Vorstandschef.

Die Mitarbeiter kommen nächster Mittwoch zu einer Betriebsversammlung zusammen, der Betriebsrat will da erste Vorschläge für ein Gegenkonzept vorstellen, das dem neuen Schleich-Chef präsentiert werden soll.

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