Spielwarenhändler mit Erfolg: „Ich verkaufe Lego nur verbleibend meine Leiche“

Eigentlich hatte Thorsten Drechsler einen sicheren Arbeitsplatz. Doch nach Jahren als Werbeleiter eines Spielwarenherstellers hatte er genug davon, „heiße Luft“ zu verkaufen. „Ich wollte mein eigener Chef sein und die schönen Spielzeuge selbst in der Hand halten, wenn ich sie verkaufe“, sagt der gebürtige Hesse. Also entschloss er sich 1993, das Spielwarengeschäft „Die Murmel“ in Würzburg zu gründen. Der bescheidene Anspruch damals: einer der schönsten Läden für Kinderspielzeug in Deutschland zu sein.

Heute, 32 Jahre später, ist er davon überzeugt, seinem Ziel von damals sehr nahegekommen zu sein. „Ich habe in all den Jahren kein einziges Mal einen Verlust einstecken müssen“, sagt er stolz, während er am Donnerstag vor dem dritten Advent in seinem 70 Quadratmeter großen Laden steht. Es ist noch nicht mal Mittag, aber schon jetzt drängen Eltern und Großeltern in das Geschäft, um sich für das Weihnachtsfest einzudecken. Auch nach dem diesjährigen Weihnachtsgeschäft rechnet Drechsler für das Gesamtjahr mit einem Gewinn. Doch so optimistisch wie er sind längst nicht alle in der Branche.

Mit einem Umsatzminus von fast drei Prozent rechnet der Deutsche Verband der Spielwarenindustrie (DVSI) für das Gesamtjahr 2025. Nur etwas mehr als jedes zehnte Unternehmen sprach im November von einer sehr guten oder guten Geschäftslage, im Vorjahr war es noch jedes fünfte. Jahrelang erfolgreiche Hersteller wie Playmobil und Schleich stecken in einer tiefen Krise. Erfolge hatten zuletzt Lego und der Amigo-Verlag , der die beliebten Pokémon-Sammelkarten vertreibt.

Spielwaren aus Europa

Auch wenn der Spielwarenhändlerverband BVS nach dem Minus von 2024 wieder mit einem Plus in diesem Jahr rechnet, bleibt die Lage vieler kleiner und mittelständischer Händler weiterhin angespannt. Krise? „Davon kann in meinem Laden nicht die Rede sein“, sagt Drechsler. Ganz im Gegenteil: Normalerweise verdient er nach eigenen Angaben während des Jahres bis zu 20 Euro je Kunde. Aktuell seien es bis zu 40 Euro. „Das ist ein gigantischer Wert“, schwärmt er. Was macht er anders als die Konkurrenz?

Thorsten Drechsler ist der Inhaber des Spielwarengeschäfts „Die Murmel“ in Würzburg.Frank Röth

„Wir haben jedes Produkt im Laden nur ein einziges Mal“, sagt er. Er habe nicht viel Platz und müsse sich auf das Wesentliche konzentrieren. „Ein einzelnes Äffchen von Steiff sieht einfach schöner und hochwertiger aus als fünfmal das gleiche Äffchen nebeneinander“, sagt er. „Das ist eine Philosophie von uns.“ Dabei setze er bewusst auf Produkte aus nachhaltigen Materialien und versuche, Plastik zu vermeiden: „Spielzeug sollte Kinder glücklich machen und zugleich den Planeten schonen“, betont er, während er auf Spielzeugtiere aus Bioweizenplastik zeigt.

Womit er sich ebenfalls abgrenzen will: Etwa 30 bis 50 Prozent des Absatzes geht nach seinen Angaben auf Spielzeug zurück, das aus Europa stammt. Früher sei der Anteil noch viel höher gewesen. „Die deutschen Spielzeughersteller waren vor 30 Jahren eine fast unschlagbare Macht“, sagt er. „Doch viele sind von der Billigkonkurrenz aus China überrollt worden.“ So ganz ohne asiatische Ware geht es aber auch in der „Murmel“ nicht. Eine Kundin ruft an und erkundigt sich nach Musikspieluhren. „Sind die aus China?“, fragt sie. Drechsler antwortet: „Ja, das geht nicht anders. Da müssen Sie in den sauren Apfel beißen.“ Trotzdem sei die Ware insgesamt qualitativ hochwertig: „Bei uns gibt es nur wenig Billigschrott.“

Drechsler: „Wir verkaufen nicht nur Spielwaren, sondern schenken Liebe und Zuwendung“

Das Preisniveau in seinem Laden schätzt er selbst als gehoben ein. „Klar, viele meiner Kunden verdienen gutes Geld und sind bereit, für Qualität einen entsprechenden Preis zu zahlen“, sagt er. Ihm sei bewusst, dass Würzburg eine wohlhabende Universitätsstadt mit vielen Bildungsbürgern ist. Das, was seinen Laden auszeichne, könne aber jedes Geschäft leisten, wenn es denn nur bereit dazu sei, ist er überzeugt. „Wir verkaufen nicht nur Spielwaren, sondern schenken Liebe und Zuwendung“, sagt er.

Kundinnen spielen mit einer Handpupe im Spielwarengeschäft „Die Murmel“ in der Würzburger Innenstadt.Frank Röth

Manche Kunden kommen laut Drechsler in den Laden und sagen: „Heute geht es mir nicht so gut, ich will hier einfach mal durchlaufen.“ Nach einem Rundgang „gehen sie dann wieder nach Hause und sind glücklich, ohne etwas gekauft zu haben“, sagt Drechsler. „Andere kaufen dann doch etwas, ohne es geplant zu haben.“ Für viele sei der kleine Laden eine Entdeckungsreise in die eigene Kindheit.

Jeden Kunden und jede Kundin begrüßten Drechsler und sein Personal persönlich. Er versuche, sich so viel Zeit wie möglich für ihre Anliegen zu nehmen. Das feine Gespür, das er seiner Kundschaft entgegenbringen möchte, hätte er sich in der Vergangenheit auch von manchen Herstellern gewünscht. Unternehmen wie Schleich hätten Mindestumsätze als Bedingung für den Verkauf ihrer Waren gestellt. „Aber ich lasse mich nicht knebeln“, entgegnet Drechsler. Die Antwort auf chinesische Billigkonkurrenz dürfe nicht darin liegen, blind bestimmte Geschäftszahlen zu optimieren. „Wer als Hersteller mit Einzelhändlern schlecht umgeht und nicht versteht, dass es in den Läden auf Zuwendung und Empathie ankommt, darf sich nicht wundern, wenn er baden geht“, sagt er.

Verzicht auf Onlineshop

Große Hersteller wie Lego hatte er in 32 Jahren nie in seinem Sortiment. „Wer solche Produkte ins Regal stellt, hat als Händler gleich verloren“, sagt er. „Ich verkaufe Lego nur über meine Leiche.“ Für Waren wie von Lego brauchen Kunden laut Drechsler kaum Beratung und suchen deshalb im Internet nach dem günstigsten Preis. „Dagegen ist man als kleiner Verkäufer machtlos“, sagt er. Er ziele hingegen auf eine Kundschaft, die noch nicht weiß, was sie möchte, wenn sie den Laden betritt. „Individuelle Beratung macht den Unterschied“, betont er. Deswegen verzichtet er auch komplett auf einen Onlineshop oder einen Verkauf über Onlinemarktplätze wie Amazon und Co.

Für kriselnde Konkurrenten hat er vor allem zwei Ratschläge. Der erste Punkt: Nehmen Sie Ihren Kunden wirklich wahr, wenn er ins Geschäft kommt, und begrüßen Sie ihn. Der zweite Punkt: Führen Sie ein echtes Verkaufsgespräch, indem Sie Fragen stellen, auf die der Kunde nur mit „Ja“ oder „Nein“ antworten kann. Ein Tabu seien Fragen wie: „Was suchen Sie denn?“ Oder: „Wie kann ich Ihnen helfen?“ „Da krieg ich die Krise“, sagt Drechsler. „Wenn ich diese Fragen als Kunde selbst beantworten kann, brauche ich keinen Verkäufer mehr.“ Er kritisiert schwächelnde Konkurrenten dafür, nicht ausreichend in geschultes Personal zu investieren. „Ich muss den Menschen, der in meinem Laden ist, lieben. Wenn ich keine Menschen mag, habe ich im Verkauf nichts zu suchen.“

Auch Monster-Plüschtiere liegen im Spielwarengeschäft „Die Murmel“.Frank Röth

Eine wichtige Frage ist außerdem: Wie kann ich mich absetzen von der Masse und vom Onlinehandel? „Wenn ich einen sterilen Laden habe, wo der Kunde das Gefühl hat, er ist in einer Metzgerei oder in einem Wartezimmer eines Zahnarztes, da muss ich mich nicht wundern, dass die Aufenthaltsqualität nicht hoch ist und der Kunde nach zwei Minuten wieder geht“, sagt er. „Ich bringe meine Kunden zum Lachen. Das sind Empfindungen, Emotionen, die der Einzelhandel schaffen kann.“

Drechsler: „Ich habe nur ein Leben und tue das, was ich liebe“

Sein Jahresumsatz mit fünf Beschäftigten beträgt knapp eine halbe Million Euro. Er habe nicht durchgehend Umsatzzuwächse in den vergangenen 32 Jahren erwirtschaften können, aber am Ende habe stets ein Gewinn gestanden. Der Anteil des Gewinns am Umsatz (Marge) beträgt laut Drechsler bei Brettspielen etwa 30 Prozent, bei Kleinstartikeln rund zwei Prozent. „Als kleiner Einzelhändler wird man nicht reich“, sagt er. Aber: „Ich habe nur ein Leben und tue das, was ich liebe.“

Überzeugen will er außerdem mit pädagogisch sinnvollen Spielzeugen. „Ein Kind kann mit Spielzeug nicht einfach nur spielen, sondern den bewussten Umgang mit Gefühlen einüben“, sagt er. Dabei greift er sich „Lotta“, eine Handpuppe der Reihe „Living Puppets“ des Hamburger Herstellers Matthies . Lotta zwischen seinen Händen, fragt er: „Wie geht es dir heute?“ Was ihn dabei beschäftigt: Fördert ein Spielzeug die Neugier eines Kindes? Stärkt es die Konzen­trationsfähigkeit? Fragen wie diese gehen ihm durch den Kopf, wenn er die Spielwaren für seinen Laden auswählt. „Das ist ein Mehrwert, der bei den Kunden ankommt“, sagt er. „Und dafür sind sie auch bereit, ein paar Euro mehr zu bezahlen.“

Doch es gibt immerhin eine Herausforderung, die Drechsler mit Konkurrenten aus seiner Branche teilt: die Nachfolge. „Da sieht es derzeit nicht gut aus“, sagt der 60 Jahre alte Ladenbesitzer. „Aber ich gebe die Hoffnung nicht auf.“ Er würde sich freuen, wenn es mehr junge Menschen gäbe, „die den Mut haben, wieder was Eigenes im Einzelhandel aufzubauen“. Große unternehmerische Ziele habe er ansonsten keine mehr: „Ich hatte im Oktober einen Herzinfarkt. Da denkt man noch mal stärker darüber nach, was wirklich wichtig ist im Leben.“ Sein Fazit: „Ich habe alles, was ich brauche.“

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