Sperrminorität: Was könnte die AfD in Thüringen zeitnah blockieren?

Eines muss man Björn Höcke lassen: Er verschweigt nicht, was er mit Deutschland vorhat. Schon 2018 wähnte er das Land in einer existenziellen Krise und schrieb von einem „bevorstehenden Volkstod durch den Bevölkerungsaustausch“. Um diesen Volkstod zu verhindern, bräuchte es neben einer „zentralen Führungsfigur“ – es dürfte klar sein, an wen Höcke da denkt – ein „großangelegtes Remigrationsprojekt“. Bei einem Bürgerstammtisch in Gera, imaginierte er sich im Dezember 2023 schon in die Rolle des Thüringer Ministerpräsidenten: „Vom Erfurter Flughafen werden Abschiebeflüge in den Himmel steigen.“ Das Publikum klatschte und lachte.

Auch wenn die AfD in Thüringen stärkste Partei geworden ist, gilt es als sehr unwahrscheinlich, dass Höcke es wirklich in die Regierung schafft. Bislang wäre keine andere Partei bereit, mit der AfD zu koalieren. Das Bündnis Sahra Wagenknecht mit seiner Spitzenkandidatin Katja Wolf schließt in Thüringen nicht aus, sich künftig auch mit AfD-Anträgen zu beschäftigen – einer Zusammenarbeit auf Parteienebene erteilte die neue Partei jedoch eine klare Absage.

Doch hat Höckes AfD in Thüringen bei den Wahlen mehr als ein Drittel der Sitze im Landtag erhalten und somit eine sogenannte Sperrminorität. Dadurch wird die AfD wohl zu einem Machtfaktor in Thüringen:

1. Blockade: Neuwahlen, Verfassung

Die AfD könnte alle Entscheidungen blockieren, die mit einer Zweidrittelmehrheit gefällt werden müssen. Dazu zählen neben der Einflussnahme auf die Justiz die Ausrufung von Neuwahlen, Verfassungsänderungen, Landtagsdebatten unter Ausschluss der Öffentlichkeit oder die Wahl des Präsidenten des Landesrechnungshofs.

2. Erpressung: Zustimmung gegen Abschiebung

Die AfD könnte ihre Sperrminorität nutzen, um den anderen Parteien ihre rechtsextreme Agenda zumindest in Teilen aufzuzwingen. Als Voraussetzung ihrer Zustimmung zu einzelnen Projekten der Regierung könnte die Partei Zugeständnisse in ihrem Kampf gegen Geflüchtete und dem Klimaschutz fordern. So würden die Ideen der AfD nach und nach in die Regierungspolitik einsickern, obwohl sie gar nicht an der Macht wäre.

3. Einfluss auf die Justiz

Besonders um die Justiz fürchten viele in Thüringen, da ein Drittel bis die Hälfte der Posten in den kommenden Jahren neu besetzt werden müssen. Hätte die AfD ein Drittel der Sitze, könnte sie die Ernennung von neuen Richterinnen und Richtern blockieren oder gar die künftige Ausrichtung der Justiz mitbestimmen. Tatsächlich hat es die AfD Anfang des Jahres in Bayern geschafft, dass zwei von ihr vorgeschlagene Kandidaten plus zwei Stellvertreter als ehrenamtliche Richter in den Verfassungsgerichtshof gewählt wurden, CSU und Freie Wähler verhalfen ihnen zur Mehrheit.

Was die AfD in Thüringen langfristig plant

Zudem machte die AfD in ihrem Wahlprogramm deutlich, dass sie langfristige Pläne für den Umbau Thüringens pflegt. Auch wenn aktuell eine absolute Mehrheit für die AfD nicht in Aussicht steht – in keinem der Bundesländer –, sagte Höcke am Ende seiner Parteitagsrede in Pfiffelbach siegessicher: „Wir werden einen langen Weg des Aufräumens und des Neuaufbauens gehen.“

Wie genau dieser lange Weg in Thüringen aussehen soll, skizzierte er in seiner Rede. Im Wesentlichen besteht dieser Weg aus fünf Punkten, die Höcke umsetzen möchte, sollte die AfD im Freistaat an die Macht kommen.

Gefahr 1: Den Bund für seine Flüchtlingspolitik verklagen

Höcke will den Bund für seine Flüchtlingspolitik verklagen. Einst hätte schon Horst Seehofer von der CSU ein Organstreitverfahren angekündigt, dann aber zurückgezogen. Tatsächlich hatte Seehofer 2016 eine Verfassungsklage in der Migrationsfrage angedroht, da Angela Merkels Beschluss, die Grenze von Österreich nach Deutschland für Geflüchtete offenzuhalten, nicht rechtens gewesen sei.

Statt der Klage gab es einen Kompromiss: Merkel und Seehofer einigten sich auf eine Obergrenze von maximal 200.000 Flüchtlingen pro Jahr. Höcke kündigte bei dem Parteitag in Pfiffelbach an, dieses Verfahren als Thüringer Ministerpräsident noch einmal aufzurollen, um die Bundesregierung zu einer härteren Asylpolitik zu treiben. Außerdem will er eine Abschiebeoffensive aus Thüringen starten.

Gefahr 2: Den Thüringer Verfassungsschutz umkrempeln

Wenn Höcke an die Macht kommen sollte, will er den Verfassungsschutz „demokratisieren“. Was genau er damit meint, erklärte er auch in Pfiffelbach: „Dieser Verfassungsschutz wird keine Gesinnungsschnüffelei mehr betreiben, der wird vor allem eins machen: Der wird Wirtschaftsspionage aufklären.“ Grund dafür dürfte sein, dass sein Landesverband seit 2021 als „erwiesen rechtsextremistisch“ eingestuft wird – was bedeutet, dass etwa auch V-Leute eingesetzt werden dürfen, um die Thüringer AfD zu beobachten.

Höcke und seinen Gefolgsleuten ist der Verfassungsschutz schon lange ein Dorn im Auge – sie unterstellen ihm, „Regierungsschutz“ zu betreiben. Klar, dass Höcke lieber ungestört seine völkischen Ideen kundtun möchte, ohne ein Verbot seines Landesverbandes befürchten zu müssen.

Gefahr 3: Kein Geld mehr für Demokratie und gegen Rechtsextremismus

„Wir werden den Kampf gegen rechts einstellen“, kündigte Höcke an. Und: „Wir werden keine neuen Landesprogramme aufsetzen, die den Menschen sagen, wie sie zu denken haben.“ Damit meint er, dass er sämtlichen zivilgesellschaftlichen Initiativen und Vereinen, die sich für ein tolerantes Miteinander und gegen Rechtsextremismus einsetzen, die finanziellen Mittel streichen will – bislang werden solche Projekte durch das Landesprogramm „DenkBunt“ gefördert. Würde dieses Programm wegfallen, fänden Opfer rechtsextremer oder antisemitischer Gewalt sowie Aussteiger aus der rechtsextremen Szene kaum noch Hilfsangebote. Zudem bekämen viele demokratiefördernde Projekte etwa an Schulen keine finanzielle Unterstützung mehr.

Gefahr 4: Den Klimaschutz beenden

In Pfiffelbach posaunte Höcke auch hinaus, dass er jedes „Klimagedöns, das auf landesgesetzlichen Regelungen fußt“, abräumen wolle. In Thüringen werde dann unter seinen Fittichen keine „Luftpolitik“ mehr gemacht. Auch wenn Höcke auf diesen Punkt nicht weiter einging, ist davon auszugehen, dass er in Thüringen sämtliche Förderprogramme für Klimaschutz einstellen würde.

Derzeit werden Klimaschutzmaßnahmen von Kommunen, Unternehmen und Privatpersonen mit fünf Landesprogrammen gefördert. Die mit Abstand größten Programme sind der rund 50 Millionen Euro schwere Klimapakt mit den Kommunen. Dazu gehört das „Klima Invest Programm“, von dem auch Vereine und gemeinnützige Einrichtungen profitieren.

Gefahr 5: Die Medienlandschaft umpflügen

Höcke will die Medienstaatsverträge kündigen. Der öffentlich-rechtliche Rundfunk betreibe Regierungspropaganda. „Stattdessen soll es einen Grundfunk geben, vielleicht zehn Prozent von dem, was wir jetzt haben. Es wird eine Grundversorgung geben, aber keinesfalls mehr einen Zwangsbeitrag. Das wird dann durch Steuern finanziert.“ Auch dieser Punkt kam wenig überraschend, diskreditiert die AfD schon lange die öffentlich-rechtlichen Medien. Doch nicht nur denen könnte Höcke die Verträge kündigen – auch private Rundfunksender wie zum Beispiel Antenne Thüringen werden von Rundfunkbeiträgen finanziert.

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