Die Ergebnisse der Landtagswahlen in Sachsen und Thüringen sorgen in der Wirtschaft für Ernüchterung. Vor allem in Thüringen, wo die Unternehmen nach fünf Jahren mit einer rot-rot-grünen Minderheitsregierung auf stabile Verhältnisse und Wachstumsimpulse hoffen, ist die Sorge vor Stillstand groß. Doch auch in Sachsen ist die politische Landschaft unübersichtlicher geworden und eine parlamentarische Mehrheit ohne die AfD dürfte wie in Thüringen nur mit dem BSW zu erreichen sein. Der Wirtschaft ist auch in Sachsen vor dem Verlust politisch stabiler Verhältnisse bange, sollten Koalitionsverhandlungen der CDU mit dem BSW scheitern.
„Da die miserable Thüringer Wirtschaftspolitik im Wahlkampf kaum eine Rolle spielte, sitzt im neuen Landtag mit AfD, BSW und Linkspartei eine Riesenmehrheit von wirtschaftsfeindlichen Parteien“, sagte Colette Boos-John, Landesvorsitzende der Familienunternehmer in Thüringen, zum Ergebnis der Landtagswahl. „Voraussichtlich können die alle drei nicht gut miteinander, darin besteht die kleine Chance für unseren Wirtschaftsstandort“, sagte die Unternehmerin und forderte das BSW auf, sich in Koalitionsverhandlungen mit der CDU auf eine Wirtschaftspolitik für mehr Wachstum einzulassen: „Die Koalitionsverhandlungen werden zeigen, ob Thüringen wirtschaftlich weiter zurückfällt oder ob es eine Chance für einen Neuanfang gibt“, sagte Boos-John, die an der Spitze des Bauunternehmens Bauer steht.
Aus Sicht der Wirtschaft gehe es nun um die schnelle Bildung einer Regierung, die im Parlament handlungsfähig ist, sagte Dieter Bauhaus, Präsident der Industrie und Handelskammer in Erfurt. Die Erklärungen der Spitzenkandidaten deuteten bislang allerdings nicht darauf hin, dass Stabilität und Verlässlichkeit in Reichweite liegen. „Das ist für die Wirtschaft mehr als unbefriedigend“, sagte Bauhaus. Der Verband der Wirtschaft Thüringens, die Spitzenorganisation der Arbeitgeber- und Wirtschaftsverbände Thüringens, pocht ebenfalls auf eine schnelle Regierungsbildung. Hauptgeschäftsführer Matthias Kreft forderte die politischen Akteure dazu auf, in Koalitionsverhandlungen Maximalforderungen aufzugeben und „eine stabile Mehrheitsregierung für ein wirtschaftlich modernes Thüringen“ zu ermöglichen.
Sorge vor Folgen einer Minderheitsregierung in Sachsen
In Sachsen dürften sich die Verhandlungen zur Regierungsbildung ebenfalls schwierig gestalten. Denn wie der CDU-Spitzenkandidat in Thüringen, Mario Voigt, wird auch der sächsische CDU-Ministerpräsident Michael Kretschmer für eine parlamentarische Mehrheit ohne AfD auf das BSW angewiesen sein. In der sächsischen Wirtschaft sorgt man sich deshalb schon vor den Folgen einer möglichen Minderheitsregierung für den Wirtschaftsstandort. „Unser Mittelstand braucht Verlässlichkeit und Kontinuität, aber mit Sicherheit keine politischen Experimente“, sagte Christian Haase, Landesvorsitzender der Familienunternehmer in Sachsen und Gründer des Energiebrokers Kilowatthandel.
Für den sächsischen Mittelstand sei es wichtig, dass die nächste Regierung den eingeschlagenen Weg fortsetze und die Standortqualität weiterentwickele, sagte Haase. Die CDU stehe vor der Aufgabe, eine Koalition mit der größten Wirtschaftskompetenz zu bilden. „Eine Zusammenarbeit mit der AfD kommt nicht in Frage, und thematisch passt in der Programmatik des BSW vieles nicht zu einer freien Marktwirtschaft“, erklärte Haase.
Andreas Sperl, Präsident der Industrie- und Handelskammer Dresden, plädierte mit Blick auf die anstehenden Sondierungsgespräche für Pragmatismus. „Keiner der Parteien, die in den neuen sächsischen Landtag einziehen werden, dürfte an politischer Instabilität und daraus resultierenden negativen Folgen für unseren Wirtschaftsstandort gelegen sein“, sagte Sperl und warnte davor, sich in ideologischen Kämpfen aufzureiben.
AfD-Ergebnis beunruhigt Wirtschaft
„Es hätte noch schlimmer kommen können, wenn die AfD auch in Sachsen stärkste Kraft wäre, aber das ist natürlich kein schönes Signal“, sagte Ludwig Koehne, Geschäftsführer des Eisenbahntechnikspezialisten Kirow aus Leipzig. Das Unternehmen ist Weltmarkführer für Eisenbahnkrane und Schlackentransporter. Rund vier Fünftel des Umsatzes entfallen auf das internationale Geschäft.
„Unsere Kunden sitzen im Ausland, unser Potential liegt aber im Inland und besteht aus guten Ingenieuren und Fachkräften“, sagte Koehne der F.A.Z. Die wirtschaftspolitischen Ziele des BSW seien für Unternehmer derzeit noch schwer einzuschätzen. „Aber wenn Frau Wagenknecht macht, was sie immer schon machen wollte, ist das für Unternehmer keine gute Nachricht“, sagte Koehne.
Nils Aldag, Mitgründer und Vorstandsvorsitzender des Elektrolyseur-Herstellers Sunfire aus Dresden, sieht das starke Abschneiden der AfD mit Sorge. „Ihre Positionen stehen im direkten Gegensatz zu unserer Vision und unserem Geschäftsmodell, denn hinter Sunfire stehen Menschen aus mehr als 25 verschiedenen Nationen“, sagte Aldag. Nach der Wahl gelte es, den Fokus auf die Inhalte zu setzen, die den Wirtschaftsstandort Sachsen stärken. „Wir brauchen eine zügige Entscheidungsfähigkeit, keine langen Hängepartien“, forderte Aldag. Sachsen habe enormes Potential, besonders in der Cleantech-Industrie. „Das müssen wir nutzen, denn hier entsteht Zukunft.“