Der geplante Ausbau der Windkraft auf Nord- und Ostsee hat große Hoffnungen auf eine neue Industrialisierung in den Küstenregionen geschürt, weil die Windbranche großen Bedarf hat, in vielerlei Branchen. Zum Beispiel könnten Kabelproduzenten ein gutes Geschäft machen, verdeutlicht Carsten Lehmköster vom Netzbetreiber Amprion, der für die Anbindung der Offshore-Windparks noch großen Bedarf sieht: „Der Markt für Hochseekabel ist bis 2032 leergekauft“, berichtet er.
Auch die ersten Konverterplattformen, milliardenteure Stahlungetüme, die auf Schiffswerften gebaut werden können, habe Amprion in Spanien bestellen müssen, mangels Angebot in Deutschland.
Im Servicebereich schafft die Offshore-Branche neuen Bedarf. „Unser Gesellschafter, die dänische Semco, ist bereit, zu investieren“, bekräftigt Michael Munder-Oschimek, Geschäftsführer der Wind Multiplikator GmbH . Schon jetzt hat er knapp 500 Beschäftigte. Mit Schiffen oder per Helikopter schickt er Techniker zu den Windrädern vor der Küste, um die Windparks am Laufen zu halten.
Hoffnung und Verunsicherung
Für künftiges Wachstum sind die Weichen schon gestellt, im Vertrauen auf die Umsetzung der Energiewende. Allein in Deutschland ist ein Ausbau der Offshore-Energie von 8,5 Gigawatt installierter Leistung (Ende 2023) auf 30 Gigawatt im Jahr 2030 geplant.
Hoffen und Bangen liegen aber nah beieinander, das weiß Munder-Oschimek bestens – denn die Wind Multiplikator GmbH hat ihren Sitz in den Hallen der Bard Holding, die dort anno 2007 mithilfe von Subventionen eine Rotorblatt-Fertigung aufgebaut hatte. Fünf Jahre später hatte Bard einen riesigen Schuldenberg angehäuft und musste aufgeben. Bard war kein Einzelfall.
Milliarden von Windenergie-Investitionen wurden damals in den Sand gesetzt, Zehntausende Menschen verloren ihren Arbeitsplatz, weil die Nachfrage nicht zu den Erwartungen passte. Solche Erfahrungen haben alle im Gepäck, die an diesem sonnigen Oktobertag nach Emden gekommen sind, um am 2. Offshore-Kongress teilzunehmen, zu dem das niedersächsische Wirtschaftsministerium gemeinsam mit der IG Metall, der Stiftung Offshore Windenergie und dem Verband Schiffbau und Meerestechnik eingeladen hatte.
Wie kann die Energiewende Beschäftigung schaffen?
„Wir haben gefühlt immer viel mehr Potential, als wir nutzen können“, warnt Niedersachsens Wirtschaftsminister Olaf Lies (SPD) – nicht nur mit Blick auf die dramatischen Jahre des Niedergangs, sondern auch mit Blick auf den VW-Konzern, an dem das Land beteiligt ist: „Dort mangelt es auch nicht an Zielen, aber an Nachfrage.“ Lies treibt die Frage um, wie die Energiewende auch Beschäftigung schaffen kann, und spricht das aus, was viele in der Branche befürchten: China könnte mit seiner überbordenden staatlichen Unterstützung die deutschen Hoffnungen zunichtemachen.
„Wir stehen an einer Schwelle“, sagt Lies mit Blick auf den ersten deutschen Windpark, der seine Turbinen in China bestellt hat. Bisher wird das Offshore-Geschäft in Europa noch beherrscht von Siemens Gamesa, Vestas und GE. Global gesehen aber hat sich Ming Yang an Siemens Gamesa vorbei auf Platz eins geschoben, insgesamt sind sieben der zehn größten Anbieter von Windkraftanlagen aus China.
Kapern die Chinesen nun hierzulande das Offshore-Windgeschäft, so, wie sie einst mit Dumpingpreisen auch die Photovoltaikbranche aus Deutschland vertrieben haben? Diese Frage beherrscht aktuell die Diskussionen in der Branche. Der Buhmann in dieser Sache ist persönlich zum Kongress nach Emden gekommen, um sich der Kritik zu stellen: Holger Matthiesen vom Hamburger Vermögensverwalter Luxcara, der sich auf Investments in Erneuerbare Energien spezialisiert hat.
„Das Ausschreibungsdesign erhöht den Druck auf die Preise“
Für den Windpark Waterkant vor der Nordseeinsel Borkum hat Luxcara 16 Windkraftanlagen des Typs MySE18.5-260 bei Ming Yang bestellt – also Windräder mit 18 Megawatt Nennleistung und 260 Meter Rotordurchmesser. Zum Vergleich: Die Windturbinen, die bisher in der Nordsee installiert sind, haben im Durchschnitt weniger als zehn Megawatt Leistung. Für den Waterkant-Windpark hat Luxcara nun die größten Turbinen bestellt, die rechtzeitig lieferbar waren. Durch die Regulatorik der Ausschreibung seien starre Zeitpläne vorgegeben: „Das war für uns alternativlos“, erklärt Matthiesen.
Der Preis habe in diesem Fall nicht den Ausschlag gegeben, sagt der Luxcara-Manager. Doch er räumt ein: „Das Ausschreibungsdesign erhöht den Druck auf die Preise.“ Diese Befürchtung war sofort laut geworden, als im vorigen Sommer der Staat in einer Auktion viele Milliarden Euro für potentielle Windpark-Flächen in Nord- und Ostsee erzielt hat.
Die Summe entsprach etwa dem Volumen, das für den Bau der Windparks veranschlagt werden muss – was entsprechende Folgen für die Wertschöpfungskette hat. Die Windpark-Betreiber würden dann gezwungen sein, die Anlagen zu einem extrem günstigen Preis zu errichten, um ihre Renditeziele zu erreichen, warnte damals schon Andreas Mummert von der Stiftung Offshore Windenergie.
Keine Energiewende ohne China
Gerade für jene Unternehmen in der Lieferkette, die durch die Nachfragedelle der letzten Jahre geschwächt seien, könnte es schwierig sein, diesem Preisdruck standzuhalten und gleichzeitig ihre Kapazitäten hochzufahren, war die Befürchtung nach der Auktion. In die so entstehenden Lücken in der Lieferkette könnten chinesische Anbieter vorstoßen, erwartet Jost Backhaus, Geschäftsführer der Steelwind Nordenham GmbH , die Stahlröhren für die Fundamente von Windanlagen produziert: „Wir haben eine neue Realität. Wir werden diese Energiewende nicht ohne China machen können.“
Das Problem sei aber, dass die chinesische Strategie auf Überkapazitäten ausgelegt sei, sodass das Angebot zu entsprechend niedrigen Preisen in den europäischen Markt gedrückt werde. Die Politik sei daher gefordert, ein faires Miteinander („level playing field“) zu erreichen. Ein Mittel, wie den Unternehmen hierzulande geholfen werden könne, sieht Backhaus in der Unterstützung der Finanzierung.
Wie andere in der Branche auch, plädiert er zudem für eine Änderung der Ausschreibungsbedingungen. So sollte der Staat die Vergabe von Offshore-Flächen nicht nur an den größtmöglichen Erlös knüpfen, sondern an qualitative Kriterien, die letztlich dafür sorgen, dass die Wertschöpfung zu großen Teilen in Europa stattfindet – was übrigens auch von der EU-Kommission gefordert wird.
Jenseits rein wirtschaftlicher Sorgen geht es auch um Resilienz, mahnt Reinhard Lüken, Hauptgeschäftsführer des Schiffbau-Verbands VSM, mit Blick auf zunehmende Spannungen zwischen China und Taiwan. Ob Windparks im Fall einer geopolitischen Eskalation womöglich durch Zugriff aus China lahmgelegt werden können? Die Abhängigkeit ist ein schwieriges Thema für den Luxcara-Manager Matthiesen, der fest mit den Ming-Yang-Turbinen für den Waterkant-Windpark kalkuliert.
Doch, so gibt er zu bedenken, sollten die Lieferketten aufgrund einer möglichen Taiwankrise abreißen, stünden indes auch europäische Turbinen nicht zur Verfügung – weil nämlich auch bei diesen Herstellern viele Komponenten aus China stammen. Aus diesem Grund wäre eine Abschottung gefährlich.
Die Lieferketten nicht zuverlässig in Europa aufbauen zu können hält VSM-Chef Lüken unterdessen für ein Risiko, das auch gesellschaftliche Brisanz birgt. „Wir müssen das Versprechen einlösen, dass die Transformation zu wirtschaftlichem Wachstum führt. Dafür muss bei der Umsetzung auf Wertschöpfung in Deutschland gebaut werden“, mahnt er: „Wenn wir das nicht schaffen, verlieren wir die Unterstützung der Menschen für die Transformation. Das belegen die aktuellen Wahlergebnisse sehr deutlich.“