So will Siemens mit KI den Klimawandel bekämpfen

Für den deutschen Technologiekonzern Siemens hat der Einsatz Künstlicher Intelligenz (KI) in der Industrie derzeit Priorität. Das gilt nicht nur für die Kernsparte der Indus­trieautomatisierung (Digital Industries), sondern auch für den Geschäftsbereich Smart Infrastructure, der sich auf die gesamte Wertschöpfungskette in den Bereichen Gebäude und Elektrifizierung konzentriert. Hat Digital Industries zuletzt unter der Konjunkturschwäche in China gelitten, konnte Smart Infrastructure – im Vorstand verantwortet Matthias Rebellius den Bereich – mit einer guten Entwicklung überzeugen und im Konzern für einen Ausgleich sorgen. Zwischen Januar und März verzeichnete die Sparte einen Auftragseingang von erstmals mehr als 6 Milliarden Euro, deutlich mehr als die 4,3 Milliarden Euro von Digital Industries. Darüber hinaus lag die Umsatzrendite von 16,6 Prozent knapp über der im Automatisierungsgeschäft.

„Kritische Masse an der amerikanischen Westküste“

Auch in der intelligenten Infrastruktur sorgt die KI derzeit für Dynamik. Die war auch am Anfang dieser Woche auf einer Kundenveranstaltung in München zu spüren, zu der Siemens in das Werksviertel am Ostbahnhof geladen hatte.s kamen mehr als 500 Besucher aus verschiedenen Ländern und Industriebereichen. Die Redebeiträge kamen von IT-Spezialisten wie zum Beispiel des Gesundheitskonzerns Fresenius oder der Autohersteller Audi und BMW. Für Siemens Smart Infrastructure sprach Thomas Kiessling, der für die Sparte als Chief Technology Officer arbeitet und seit Jahren im Herzen des Silicon Valley, in Palo Alto, wohnt. „Das Thema Künstliche Intelligenz hat an der amerikanischen Westküste schon die kritische Masse erreicht. Die Konferenzen dazu gehen dort tiefer und sind spezialisierter als es in Europa der Fall ist“, berichtet er im Gespräch mit der F.A.Z.

Thomas KiesslingSiemens

Seiner Ansicht nach ist der Rückstand Europas erheblich, vor allem mit Blick auf die Skalierung. Das lasse sich an den Börsenbewertungen der großen amerikanischen KI-Werte erkennen. Europäische Unternehmen gehören laut Kiessling, der von 2010 bis 2015 Innovationschef der Deutschen Telekom war, zum Ökosystem, wenn es zum Beispiel um die Automatisierung von Fabriken geht. „Doch wenn es um die Daten geht, liegen Tesla, Nvidia oder Microsoft sehr deutlich vorne.“ Kiessling, der auch viele Erfahrungen im Bereich junger IT-Unternehmen, also Start-ups, gesammelt hat, wohnt nicht weit entfernt vom Tesla-Hauptsitz.

In Europa noch kein Binnenmarkt

Europa hat nach seiner Ansicht noch Chancen im Maschinenbau, in der Chemie, im Automobilbereich und vor allem bei den Erneuerbaren Energien. Doch auch hier gehe es um die kritische Masse. Der europäische Markt sei noch kein Binnenmarkt wie der amerikanische, denn die regulatorischen Vorgaben könnten sich von Landesgrenze zu Landesgrenze schnell ändern. Das bremse Unternehmen auf dem Weg zur kritischen Masse.

„Zudem lassen sich mit Maschinen oder Autos nicht solche Renditen erzielen wie mit Software“, fügt der Siemens-Manager hinzu. Der Megatrend heißt für ihn und den Konzern „Software as a service“, also Software als Dienstleistung, vergleichbar mit einem Abonnement einschließlich regelmäßiger Updates. „Diesen Trend versuchen wir auch in der Sparte Smart Infrastructure über die Xcelerator-Plattform voranzutreiben.“ Als Beispiel nennt Kiessling im Gebäudemanagement die Building-X-Plattform, die vor zwei Jahren eingeführt wurde. Ein Immobilienunternehmen könne so seine Gebäude digitalisieren und Maßnahmen zu mehr Energieeffizienz über die gesamten Objekte ausrollen.

Wichtig für Kiessling ist es, dass es sich um eine für externe Anbieter offene Plattform handelt, auf der sich deren Apps wie zum Beispiel für Energiemanagement, Gebäudewartung oder vor allem auch für erneuerbare und nachhaltige Technologien integrieren lassen. „Siemens Smart Infrastructure stellt sozusagen ein offenes Betriebssystem für Gebäude zur Verfügung“, betont er.

Offene Plattform als Unterschied zu Wettbewerbern

„Von unseren Wettbewerbern differenzieren wir uns durch unsere vollständig offene Plattform. Das hilft uns auch in den USA, dem größten Einzelmarkt von Smart Infrastructure.“ Großkunden, die langfristig investieren, arbeiten nach Kiesslings Beobachtung zwar gerne mit Start-ups zusammen, schätzen aber für größere Investitionsprojekte industrielle Anbieter wie Siemens. „Wenn Anlagen 40 Jahre funktionieren sollen, setzen Kunden vor allem auf langfristig am Markt agierende Unternehmen und weniger auf Start-ups“, sagt er.

Die Sparte Smart Infrastructure bietet Produkte, Software und Dienstleistungen wie zum Beispiel Gebäudemanagement, aber auch Beratung an. Das bei Weitem größte Geschäft sind nach Aussage von Kiessling die Produkte. Diese würden zur Elektrifizierung eingesetzt: Schalter, Inverter, Ladestationen oder Transformatoren, um einige Beispiele zu nennen. „Daneben stellen wir Produkte für die Gebäudetechnik her: Lichtschalter, Controller, Elektromotoren oder Bewegungsmelder gehören dazu.“ Der dritte Bereich seien die Energienetze, für die Controller oder ganze Schaltanlagen produziert, aber auch Software angeboten würden.

Standort von Siemens für den Bereich „Digital Industries“ in ErlangenSebastian Lock

KI-Instrumente für Energieeffizienz

„Wir setzen auf den Megatrend Elektrifizierung“, sagt Kiessling und fügt hinzu: „Wir bieten die Produkte an, die für die nachhaltige Energieversorgung und deren Anbindung an die Stromnetze gebraucht werden.“ Die Energieversorger erhielten von Siemens die Software, mit der sie ihre Netze effizient und gleichzeitig flexibel betreiben könnten. „Gerade hier gibt es ein enormes Einsparpotential, weil die Versorger noch am Anfang der Digitalisierung stehen.“

Durch Datenmanagement und Digitalisierung lässt sich Kiesslings Worten zufolge schon ein Großteil des Klimapro­blems lösen. Wenn das bestehende Netz intelligenter genutzt werde, könnten bis zu 30 Prozent der ansonsten notwendigen Investitionen eingespart werden. „Über Datensteuerung lässt sich beispielsweise die thermische Masse von Gebäuden nutzen und so Energie für die Heizung oder die Klimaanlagen einsparen, ohne dass Komfort verloren geht“, beschreibt er die Möglichkeiten.

Hinzu kämen die KI-In­strumente, die zusätzliche Energieeffizienz ermöglichten. „Digitalisierung und KI können dem Klimawandel deutlich entgegenwirken“ ist Kiessling überzeugt. Mehr als 40 Prozent der CO2-Emissionen stammten aus dem Energiesystem selbst, etwa durch die Nutzung fossiler Ressourcen, mehr als 30 Prozent von den Gebäuden und rund 20 Prozent von der Mobilität. In allen diesen Bereichen könne Smart Infrastructure die Emissionen deutlich verringern, wirbt er.

Um die Dekarbonisierung voranzutreiben, müssten aber deutlich mehr als die aktuellen 5 Prozent der Gebäude über das Internet gesteuert werden. Darüber entscheiden die Immobilienbesitzer. Auf Seiten der großen Immobilienunternehmen sieht Kiessling die Bereitschaft dazu vorhanden.

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