Die Gesprächspartner kommen aus dem Adel
der Black Music, und man merkt, dass sie den Macher dieses Dokumentarfilms ernst nehmen, die
meisten antworten nicht in den üblichen Floskeln. Aber alle stocken, wenn
aus dem Off gefragt wird, was denn „black genius“ bedeute: die
Last, in einem weißen Amerika ein Schwarzes Genie zu sein. Wie Sly Stone, der
Schwarze Pop-Superstar der späten Sechzigerjahre, der ein weißes wie ein Schwarzes Publikum verzauberte und danach tief und tiefer fiel. Nile Rodgers
von Chic sitzt vor der Kamera, die Sängerin Chaka Khan, Andre 3000 von Outkast, Vernon Reid
von Living Color – alles Musiker, die Sly Stone viel verdanken (Prince ist tot,
sonst hätte gerade er auch dort sitzen müssen). George Clinton von
Parliament / Funkadelic grinst gut gelaunt in die Kamera, er hat mit Stone Anfang der Achtzigerjahre noch ein halbes Album gemacht, aber vor allem
Crack konsumiert. D’Angelo, einst Stern
des Neo-Soul und des Slow Funk, steckt sich ganz langsam eine Zigarette an und
sagt: „Black genius?“ Dann lacht er kurz, nur zwei Schläge des Zwerchfells
lang.
Es ist ein leicht verbittertes Lachen,
auch ein belustigtes, ein cooles sowieso. Weil es zu sagen scheint: Ahmir, mein
Freund, warum fragst ausgerechnet du Schwarze danach, ob Rassismus eine Rolle
spiele? Man kann sich nämlich keinen
besseren Regisseur vorstellen für einen Film über Sly Stone als Ahmir „Questlove“ Thompson.
Er ist Drummer der Hip-Hop-Band The Roots, hat für Summer of Soul,
den Dokumentarfilm über das Harlem Cultural Festival 1969, zu Recht einen Oscar
erhalten, schreibt schlaue autobiografische Musikbücher, und in seinem neuen
Verlag sind auch die Memoiren von Sly Stone erschienen, Thank You
(Falettinme Be Mice Elf Agin). Questlove ist so etwas wie die Oprah Winfrey und der
Barack Obama der Black Music in einem. Ihm sagt niemand ab.
Außer einer: Von Sly Stone gibt es in
den knapp zwei Stunden Laufzeit des Dokumentarfilms Sly Lives! aka The Burden of
Black Genius nur alte, halbwegs brauchbare Interviewaufnahmen und
furchtbare Ausschnitte aus Shows, wo er von weißen Moderatoren wie
Dick Cavett oder David Letterman als Freak vorgeführt wurde und dabei doch immer
höflich, gedanklich schnell und zugewandt blieb wie das hochbegabte Kind, das
immer noch unter dem Wrack des eigenen Lebens hervorlugte. Am Ende sagt in der Doku eines seiner erwachsenen Kinder, Phunne Stone, der Vater sei
seit einer Weile tatsächlich clean, ein „gewöhnlicher alter Schwarzer Mann, der
gerne Western im Fernsehen schaut“. Gut zu wissen, denn gewöhnlich war
in seinem Leben nichts, und das war es auch nicht für seine Kinder, die in ihrem Spiel die
Gewohnheiten des Vaters nachahmten (wie Kinder das halt tun). Das bedeutete
auch schon mal, mit herumliegenden Rasierklingen farbige Kreidestücke zu zerkleinern
und Koksnehmen zu spielen.
Aber reden in der Öffentlichkeit? Macht Sly Stone
seit Jahrzehnten nicht mehr, auch weil er lange für die Öffentlichkeit schlicht
nicht auffindbar war.
Wer die Biografien über ihn oder seine Memoiren
kennt, erfährt zwar nicht viel Neues in dieser Doku. Aber das macht nichts, die Geschichte ist dennoch spektakulär,
sinnbildlich für die USA während und nach dem Versprechen auf Veränderung,
insbesondere darauf, dass Weiße eine echte Emanzipation der Schwarzen zulassen würden.
Genies, die wahrhaft Außergewöhnlichen, nun zeigen sich
stets sofort, und Sly Stone war außergewöhnlich, schon als Junge in der Kirche (an
sechs Tagen in der Woche sang und spielte er da). Die Haare waren noch
geglättet, als er in der Highschool im kalifornischen Vallejo der einzige
Schwarze in einer Doo-Wop-Gruppe war. Er war Anfang 20, als er den ersten Hit für
jemand anderen schrieb, C’mon and Swim (1964, für Bobby Freeman), als Radio-DJ leidenschaftlichen Quatsch machte und alle
mögliche Musik spielte, auch weiße. Er holte sich als Produzent das Rüstzeug,
neben Schwarzem R&B auch für weiße Rockbands zu schreiben und für die ersten
psychedelischen Blumenkinder wie Grace Slick, die später mit Jefferson Airplane
in Woodstock Furore macht. Wie Sly Stone auch: Leider verpennten die Kameramänner, die das Festival festhielten,
den Großteil seines Auftrittes nachts um halb vier, aber auch Stone wurde in und durch Woodstock zum Superstar.
In seinen Archivstrecken ist Sly Lives!
enorm schnell geschnitten, man fragt sich bald, wie der Film das Tempo halten soll.
Die Unruhe ist sicherlich der kurzatmigen Dramaturgie von Streamingdiensten
geschuldet, Sly Lives! wurde von Hulu in Auftrag gegeben und läuft in Deutschland bei Disney+. Aber die Geschwindigkeit des Films ist auch dem Gegenstand und seiner Hauptfigur geschuldet, dem
überschäumenden Multiinstrumentalisten, Produzenten, Komponisten und Sänger. Es
muss oder soll das alles erzählt werden, weil jede Treppe bis zum Himmel so
elektrisch geladen ist, bis Sly Stones Karriere endgültig himmelwärts strebt, und zwar mit der Band Sly & The Familiy Stone.