Es stimmt, wir haben schon vor Jahren in den Ausbau der Elektrofähigkeiten von Sixt investiert, da die globalen Marktbewegungen klar in Richtung Elektrotransformation zeigten, und die aktuelle Dynamik in China unterstreicht das. Bei Sixt werden wir unsere Elektroflotte im kommenden Jahr weiter ausbauen.
Sie haben mal vor einiger Zeit einen Anteil von etwa 20 Prozent E-Autos in Ihrer Flotte genannt . . .
. . . das stimmt inklusive Plug-in-Hybriden. Wir betreiben eine der größten Elektroflotten in Europa. Und wir tun das in einem Umfang, der zur tatsächlichen Kundennachfrage und zur Wirtschaftlichkeit passt.
Das Gesetzgebungsverfahren, das die EU nun offensichtlich sehr zügig vorantreibt, kommt in seiner Ausgestaltung und seinem Zeitplan überraschend. Die gesamte Wirtschaft war bislang auf ein Verbrenner-Aus 2035 ausgerichtet. Natürlich befürworten wir die Transformation klar – aber realistisch.
Was genau hat Sie an den Brüsseler Plänen für „saubere Unternehmensflotten“ überrascht?
Konkretes kennen wir noch nicht, aber aus Brüssel heißt es, dass es schon im Jahr 2027 eine verpflichtende Quote von 50 bis zu 75 Prozent geben soll, die bis 2030 auf 100 Prozent steigt. Hiermit zieht die EU das viel diskutierte Verbrenner-Aus bis 2035 für 60 bis 70 Prozent aller Neufahrzeugzulassungen um acht Jahre vor. Es betrifft ja nicht nur die Mietwagenflotten, sondern alle Gewerbebetriebe vom Kleinstunternehmen bis zu großen Logistikern, aber vor allem auch alle Dienstwagen von Unternehmen. Wir sprechen also faktisch von einem Verbrenner-Aus für den größten Teil der Neuzulassungen von Fahrzeugen in gut einem Jahr. Stillschweigend, ohne einen Aufschrei oder gar größere öffentliche Diskussion und ohne die notwendige Infrastruktur.
Eine Studie von Transport & Environment kommt zu dem Ergebnis, dass durch die EU-Gesetzgebung zwei Millionen neue Elektrofahrzeuge auf die Straße kommen und der Markt schnell nachzieht und die nötige Ladeinfrastruktur aufbaut.
Die Wette, dass mehr Elektroautos automatisch zu ausreichender Ladeinfrastruktur führen, halte ich für sehr gewagt. Das kann erhebliche Herausforderungen für eine unserer Schlüsselindustrien mit sich bringen, mit nicht absehbaren Folgen für die Unternehmen und die Arbeitsplätze. Studien beweisen, dass die Nachfrage nach Elektrofahrzeugen dem Ausbau der Schnellladeinfrastruktur folgt und nicht umgekehrt. Stand heute stehen 60 Prozent aller europäischen Ladesäulen in Deutschland, Frankreich und den Niederlanden. Oder anders: 80 Prozent der gesamten EU ist Ladewüste! Versuchen Sie mal, ein Elektroauto in Südeuropa zu laden, wo es faktisch keine Lademöglichkeit gibt. Aber auch in Deutschland ist die Ladeinfrastruktur bei Weitem noch nicht ausreichend – knapp 50 Prozent aller Kommunen haben keine einzige öffentliche Lademöglichkeit.
Und Sie glauben, das lässt sich in fünf Jahren nicht ändern?
Die Bundesregierung setzte bereits 2019 das Ziel von einer Million Ladesäulen. Nach sieben Jahren stehen wir bei rund 180.000. Studien zeigen, dass das aktuelle Tempo den Bedarf bei Eintritt des sogenannten Verbrenner-Verbots im Jahr 2035 bei Weitem verfehlen wird. Quoten schaffen keine Ladesäulen. Wir bei Sixt sind zwar keine Ladesäulenbetreiber, aber wir sehen, wie lange die Genehmigungsverfahren in der öffentlichen Infrastruktur dauern – teilweise Jahre. Mit den Ladesäulen allein ist es nicht getan, es müssen dafür noch sehr viele zusätzliche Kraftwerke genehmigt und gebaut werden. Das ist im wahrsten Sinne ein Windmühlenkampf. Und wir reden bei dem Vorhaben der EU von einer flächendeckenden Versorgung in ganz Europa, davon sind wir, nach aktuellem Stand, noch weit entfernt.
Sie hatten selbst den Plan, 70 bis 90 Prozent der Sixt-Flotte im Jahr 2030 auf Elektroautos umzustellen. Was ist da schiefgelaufen?
Der Markt ist seinerzeit von einem wesentlich schnelleren Fortschritt bei Ladeinfrastruktur und Kundennachfrage ausgegangen. Beides ist deutlich hinter den Erwartungen zurückgeblieben. Daraus haben wir gelernt: Elektrifizierung funktioniert nur mit einem belastbaren Infrastruktur-Fundament und einer echten Kundennachfrage – in dieser Reihenfolge. Wir unterstützen Elektromobilität weiterhin ausdrücklich, aber auf realistischer Basis. Konkret heißt das: Wir elektrifizieren unsere Flotte weiter entlang der Kundennachfrage und investieren parallel über 50 Millionen Euro in unser eigenes Ladenetz.
Und all das ignoriert die EU?
Die Realität spielt in dieser geplanten EU-Gesetzgebung wohl überhaupt keine Rolle. Das grenzt an Planwirtschaft. Und damit gefährdet die EU einen wichtigen Faktor unseres Wohlstands, der an der Automobilindustrie hängt. Ich möchte auf einen weiteren Aspekt hinweisen, bewusst, ohne ihn bewerten zu wollen: Mit einer 100-Prozent-Elektroquote verändern sich auch die geopolitischen Rahmenbedingungen. Derzeit stammen rund 70 bis 80 Prozent der weltweit produzierten Batteriezellen für Elektrofahrzeuge aus China. Damit steigt mit jedem zusätzlichen Elektrofahrzeug die strukturelle Abhängigkeit von einem Schlüsselbauteil, für das Europa bislang keine eigene ausreichende industrielle Basis aufgebaut hat. Ähnliches beobachten wir bereits bei Halbleitern und anderen Schlüsselkomponenten. Hinzu kommt, dass die EU mit ihren Plänen den Havanna-Effekt verstärken wird. Mangels Ladeinfrastruktur werden wohl Verbrenner von den Konsumenten länger gefahren und nicht durch neue Elektrofahrzeuge ersetzt, was sich wiederum negativ auf die Autobranche, Arbeitsplätze und den Wohlstand auswirken kann. Europa muss aufholen – aber mit eigenem Tempo und eigener Industrie. China hat dies getan, mit einer klaren Strategie und massiven Infrastruktur-Investitionen.
Was machen Sie, wenn die rigiden Pläne der EU genau so kommen?
Wir bereiten uns auf jedes Szenario vor – und entscheiden, wenn wir belastbare Fakten haben.
Sie haben keinen Plan B?
Selbstverständlich haben wir Optionen vorbereitet. Erst einmal gilt, dass die Bundesregierung sich aktiv gegen die EU-Pläne ausgesprochen hat. Schauen wir doch mal, was – voraussichtlich am 10. Dezember – aus Brüssel kommt.
Wie groß ist der Wettbewerbsdruck in Ihrer Branche?
Der ist groß, und wir haben ihm uns immer gern gestellt.
Man hat den Eindruck, Mietautos sind seit der Corona-Pandemie viel teurer. Davon profitieren Sie noch immer, oder nicht?
Die Post-Corona-Jahre waren von Marktanomalien geprägt, insbesondere durch fehlende Chips aus China und die daraus resultierende geringere Verfügbarkeit von Fahrzeugen. Das hat sich seit 2023 wieder normalisiert, obwohl die Kosten gestiegen sind.
Welche Rolle spielen die relativ neuen Mobilitätsangebote wie Carsharing oder Abomodelle?
Diese Angebote haben kaum Einfluss auf das klassische Mietwagengeschäft. Gleichzeitig bewegen wir uns in einem sehr wettbewerbsintensiven Markt, der viele Anbieter finanziell nachweislich fordert – verstärkt durch die aktuellen makroökonomischen Bedingungen. Umso dankbarer sind wir, dass unser Team in den ersten neun Monaten ein solides Ergebnis erzielen konnte: Der Umsatz stieg um knapp acht Prozent auf das neue Rekordniveau von rund 3,3 Milliarden Euro. Das Ergebnis erhöhte sich um mehr als 23 Prozent auf 348 Millionen Euro, verbunden mit dem zweitbesten dritten Quartal unserer Unternehmensgeschichte.
Wie ist Ihnen das gelungen?
Sixt versteht sich als Premiumanbieter, bei dem Qualität und Kundenerlebnis im Mittelpunkt stehen. Unser Ziel ist das beste Preis-Leistungs-Verhältnis. Dafür investieren wir seit Jahren massiv in Produkte, unsere Premium-Flotte, Technologie, Marketing, das Stationsnetz und unsere Mitarbeiter.
Ist es für Sixt eine Option, notleidende Konkurrenten zu übernehmen?
Natürlich schauen wir uns den Markt immer ganz genau an – speziell in Zeiten wie diesen. Wir sind da aber, seit jeher, sehr konservativ und eher opportunistisch, was Übernahmen betrifft. Wenn sich eine attraktive Chance ergibt, werden wir natürlich hinsehen – den finanziellen Spielraum dafür haben wir. Das muss aber nicht nur finanziell, sondern insbesondere kulturell passen. Wir konzentrieren uns deshalb auf den organischen Ausbau unseres Geschäfts.
Es könnte für Sie genauso interessant sein, wenn Konkurrenten aus dem Markt ausscheiden.
Das ist in den vergangenen 30 Jahren aber nicht wirklich passiert. In der Regel haben gerade US-Wettbewerber Insolvenz und Gläubigerschutz angemeldet, sich nach Abschluss der Verfahren entschuldet und wieder neu angefangen.
Welchen Einfluss haben die Mitfahrdienste Uber und Lyft auf Ihr Geschäft?
Zuerst einmal haben wir größten Respekt, was Uber und Lyft da in kurzer Zeit aufgebaut haben. Wenn man sich die Wachstumszahlen der beiden anschaut, dann ist das schon eine unglaubliche Leistung. Interessanterweise haben die Fahrdienstvermittlungen auf das Mietwagengeschäft nur einen sehr geringen Einfluss. Ein Großteil unseres Geschäfts spielt sich zwar auch an den Flughäfen ab, aber die Fahrdienste sind eher ein komplementäres Produktangebot: Die Marktgrößen an den Flughäfen für Mietwagen sind in den letzten Jahren, trotz des beeindruckenden Wachstums der Ride-Hailing-Angebote, ebenso stark gewachsen.
Wo sehen Sie das größte Wachstum für Sixt?
Ganz klar in den USA! Hier hat unser Team in den vergangenen Jahren – insbesondere seit den strukturellen Veränderungen, die wir 2021 vorgenommen haben – eine starke Entwicklung gemacht: In den USA erwirtschaften wir in den ersten neun Monaten mehr als eine Milliarde Euro, das ist etwa ein Drittel unseres Konzernumsatzes. Gleichzeitig entspricht selbst dieser Umsatz lediglich einem Marktanteil von knapp drei Prozent. Mit anderen Worten: Der weitaus größere Teil des US-Marktes liegt noch vor uns. Daran sehen Sie, wie viel für uns in diesem Markt in den nächsten Jahren noch zu holen ist.
Wo steht Sixt im Jahr 2030, was ist das dann für ein Unternehmen?
Wir werden dann deutlich stärker sein in den USA. Wir werden unseren Kunden ein noch durchgängigeres Premium-Produkterlebnis bieten, weil wir die digitale Transformation und die daraus entstehenden Möglichkeiten noch besser nutzen. Ich glaube, das ist der entscheidende Punkt: Allein durch die Fortschritte bei der Künstlichen Intelligenz werden wir in der Lage sein, unserem Kunden ein noch besseres Produkterlebnis zu bieten. Hier werden sich die Technologieinvestitionen von mehreren Hundert Millionen Euro auszahlen, die wir in den vergangenen Jahren getätigt haben.
Und werden diese Mietwagen zu 100 Prozent elektrisch sein?
Das kann ich nicht sagen. Es liegt leider nicht nur in unserer Hand. Klar ist: Wir werden unseren Kunden auch 2030 ein Premium-Erlebnis bieten.
Sixt mit und ohne Stecker
„Ich glaube nicht an Elektroautos“, hat Erich Sixt einmal gesagt. Das ist schon einige Jahre her. Sein 46 Jahre alter Sohn Alexander, der 2021 gemeinsam mit seinem drei Jahre jüngeren Bruder Konstantin den Vorstandsvorsitz des börsennotierten Autovermieters übernommen hat, sieht das viel pragmatischer. Gekauft wird, was die Autoindustrie anbietet, bevorzugt Premium-Fahrzeuge der deutschen Hersteller, aber auch elektrifizierte Modelle aus China. Mit den Brüdern an der Spitze ist Sixt bisher gut gefahren. Das Unternehmen aus Pullach bei München, das 9000 Mitarbeiter beschäftigt, wird in diesem Jahr bei einer geplanten Rendite von zehn Prozent den Umsatz auf mehr als vier Milliarden Euro steigern. Die USA sind nach dem späten Einstieg im Jahr 2011 der inzwischen wichtigste Markt.