Sigrid Emmenegger soll diese Woche zur Verfassungsrichterin gewählt werden – als Kandidatin der SPD. Anders als bei der zuvor gescheiterten Frauke Brosius-Gersdorf ist ihre bisherige Karriere politisch unstrittig. Die Union ist begeistert
Sigrid Emmenegger
Montage: der Freitag, Foto: Justizministerium RLP/DPA
Sigrid Emmenegger steht unter Beobachtung, seit die schwarz-rote Koalition am 10. September ihre Kandidatur für das Amt der Verfassungsrichterin bekannt gab. Denn Emmenegger tritt auf Vorschlag der SPD an, und folgt auf diesem Posten Frauke Brosius-Gersdorf. Jene Rechtsprofessorin, die über den Sommer einer wohl beispiellosen Hetzkampagne ausgesetzt war.
Rechte Publizisten hatten Plagiatsvorwürfe erhoben, die sich als haltlos herausstellten, und ihre liberale Position zum Schwangerschaftsabbruch angegriffen. Die Union verweigerte ihr entgegen aller Absprachen die Unterstützung und nahm die Wahl in letzter Sekunde von der Tagesordnung. Brosius-Gersdorf sah sich wenige Wochen später gezwungen, ihre Kandidatur zurückzuziehen.
Für die Sozialdemokraten ein Vertrauensbruch und die erste handfeste Krise der Regierungskoalition. Bis heute wirkt diese nach, heißt es, und belastet zwischenmenschlich die Zusammenarbeit der beiden Fraktionen. Nun also ein zweiter Versuch, mit der Münchner Staatsrechtsprofessorin Ann-Kathrin Kaufhold und ihr, Sigrid Emmenegger. Am 25. September sollen sie gemeinsam mit dem Unionskandidaten Günter Spinner, bisher Richter am Bundesarbeitsgericht, gewählt werden.
Union von Verwaltungsrichterin Sigrid Emmenegger begeistert
Die Karriere von Sigrid Emmenegger, 48, verlief bisher politisch unspektakulär: 2005 promovierte die Freiburgerin bei dem späteren Verfassungsrichter Andreas Voßkuhle. Nach Referendariat und zweitem Examen wurde sie Verwaltungsrichterin in Rheinland-Pfalz, war zwischendurch wissenschaftliche Mitarbeiterin im Dezernat ihres Doktorvaters am Bundesverfassungsgericht und stieg anschließend immer weiter in der Verwaltungsgerichtsbarkeit auf. Seit 2021 ist sie Richterin am Bundesverwaltungsgericht in Leipzig.
Die Materie, mit der sie sich dort befasst, gibt wenig Aufschluss über ihre politischen Ansichten. Um Genehmigungen für den Ausbau von Energieleitungen geht es da, ihre Publikationen drehen sich überwiegend um Verfahrensfragen. Wird es inhaltlich, ist die Rede etwa von Höchstspannungsfreileitungen und den Standorten ihrer Masten unter Berücksichtigung des örtlichen Kiesabbaus. Heikle politische Fragen? Stellungnahmen zum Schwangerschaftsabbruch oder zum Asylsystem, zum Kopftuchverbot oder zur Versammlungsfreiheit? Fehlanzeige.
Manche Beobachter interpretieren das als Einknicken der SPD vor der Union. Nach dem Motto: Wenn ihr eine liberale Professorin nicht wollt, nominieren wir eben eine Verwaltungsrichterin, von der niemand weiß, wie sie tickt. Andere halten den Vorschlag für pragmatisch. Schließlich hat die verpatzte Richterwahl längst unangenehme Erinnerungen an die Dauerbaustellen und den Dauerzwist der Ampelkoalition geweckt.
Vorerst ist Sigrid Emmenegger frei von dem Makel, der Frauke Brosius-Gersdorf das Genick brach: Einer sichtbaren und unbequemen Haltung zu Themen, bei denen die Union keinen Spaß versteht. Die wiederum zeigt sich jetzt entsprechend kooperativ. Unionsfraktionsvize Sepp Müller (CDU) etwa, der auf eine Frage zu Frauke Brosius-Gersdorf auf der Plattform Abgeordnetenwatch noch die Plagiatsvorwürfe betonte, schwärmt nun im Handelsblatt von Emmenegger als „eine hochangesehene und integritätsvolle Juristin“, die „Respekt weit über Parteigrenzen hinaus“ genieße. „Meine Stimme wird sie erhalten.“
Kandidatin Ann-Kathrin Kaufhold wird von rechts kritisiert
Es hängt aber nicht nur von Union und SPD ab, ob die Wahl diesmal gelingt. Um am 25. September ohne die AfD die nötige Zweidrittelmehrheit zu schaffen, braucht es die Grünen und die Linken. Mit denen hat aber entgegen der Gepflogenheiten niemand gesprochen, bevor der Name Emmenegger öffentlich wurde. „Dass man nicht auf unsere Rückmeldung wartet, ist reichlich unprofessionell angesichts der Vorgeschichte“, sagte Grünenpolitikerin und Wahlausschussmitglied Britta Haßelmann im Stern.
Clara Bünger, die im Wahlausschuss die Linkspartei vertritt, erklärte gegenüber verschiedenen Medien, es gebe keinen Automatismus für die Zustimmung ihrer Fraktion. Im Gespräch mit dem Freitag betont Bünger die Brisanz der Richterwahl: „Wir brauchen ein plurales Bundesverfassungsgericht“, so die Juristin. „In die konservative Richtung ist das Gericht durchaus plural, in die andere nicht so sehr.“ Es brauche in Karlsruhe aber auch „liberale Stimmen, die die Grundrechte verteidigen und erweitern“.
Emmenegger hat also gute Chancen, dass ihre Wahl zur Bundesverfassungsrichterin reibungslos verläuft. Anders könnte es bei der zweiten Kandidatin, Ann-Kathrin Kaufhold, aussehen. Nach Frauke Brosius-Gersdorf sieht auch sie sich Kritik von rechts ausgesetzt. Kaufhold war Mitglied der Kommission, die sich im Auftrag des Berliner Senats mit dem Volksentscheid zur Vergesellschaftung großer Wohnungskonzerne befasste.
Die AfD leitet daraus ab, dass Kaufhold generell Enteignungen befürworte. Von rechter Seite wird zudem kritisiert, dass sie sich mit Klimaschutzrecht befasst und unterstellt, sie sei Teil einer SPD-Verschwörung, um die AfD zu verbieten. Ihr eine politische Kampagne zu unterstellen, ist deutlich leichter.