A
wie Anemone
Im persischen Mythos erwächst aus dem Blut, das ein Kämpfer für sein Land vergießt, eine Tulpe. Eine vergleichbare Vorstellung hat es im griechischen Mythos gegeben: Den schönen Jüngling Adonis, der auch etwa in Syrien verehrt wurde, tötet ein Eber und aus seinem Blut kommen die Anemonen hervor. Die Liebesgöttin Aphrodite war nach dem Tod des Jünglings verzweifelt. Manche sagten denn auch, der eifersüchtige Kriegsgott Ares habe sich in jenen Eber verwandelt. Selbst vom toten Adonis will sich Aphrodite nicht trennen, doch auch die Unterweltgöttin Persephone ist von ihm fasziniert und gibt ihn nicht her. Der Streit kommt vor Zeus, den obersten Gott, und Zeus (→ Zeus-Blume) schlichtet: Im Winter weilt Adonis bei Persephone, im Frühling und Sommer bei Aphrodite. Diese lässt aus seinem Blut die Anemonen entstehen. So erst wurde aus der Blutblume ein politisches Symbol im eigentlichen Sinn – ein Symbol des Interessenausgleichs statt der Vernichtung des Kriegsgegners. Michael Jäger
K
wie Kornblume
Wie ihr roter Bruder, der Klatschmohn, ist die Kornblume in ihrem natürlichen Habitat nur noch selten zu sehen. Als Symbol allerdings scheint sie quicklebendig, auch wenn sie außer der Farbe wenig mit der imaginären blauen Blume der Romantik gemeinsam hat. Aber leider steht sie nicht nur für Sehnsucht und Liebe, sondern diente in den 1930er-Jahren österreichischen Nazis als Erkennungszeichen und erfreut sich bis heute einer gewissen Beliebtheit bei rechtsgewirkten Zeitgenossen (auch deutschen, die sie am Revers im Bundestag tragen). Linken hingegen war die Romantik verdächtig, galt als irrational und reaktionär. „Schlagt die Germanistik tot, macht die blaue Blume rot“, hieß es 1968 an westdeutschen Unis. Das war, bevor man das utopische Potenzial romantischer Dichtung entdeckte. Und Krautrockgruppen Verse von Novalis vertonten. Joachim Feldmann
L
wie Lotus
In Indien sind die Logos der Parteien allgegenwärtig. Seit Längerem dominiert der Lotus, der für die Partei Bharatiya Janata (BJP) und den Aufstieg des Hindunationalismus steht. 2013 tobte ein Richtungswahlkampf zwischen der BJP und der damals regierenden Kongresspartei. Im Wahlkampf forderte Letztere, Parks und Seen abzudecken, auf denen sich Lotusteppiche sammelten. Sie vermuteten Wahlbeeinflussung. Die BJP reagierte trocken: Man müsste dann auch die Hand in den Taschen lassen, denn diese stehe für die Kongresspartei. In vielen Teilen Asiens versinnbildlicht die Lotusblume Reinheit, wird mit Erleuchteten wie Buddha in Verbindung gebracht. In fernöstlichen Religionen gibt es den Lotussitz. 2014 gewann die BJP die meisten Sitze im indischen Parlament. Narendra Modi wurde erstmals Premierminister. Bis heute ist die Partei die stärkste politische Kraft. Das Bild von Modi vor dem Hintergrund der safrangelben Farben und des Lotus-Symbols ist fast schon Popkultur. Tobias Prüwer
M
wie Mimose
„Jetzt hab dich nicht so, sei nicht so eine Mimose“, hören junge Mädchen von ihren (Nicht-Helikopter-)Müttern, wenn sie wegen einer Minischramme sofort zu weinen anfangen oder sich nicht die Haare kämmen wollen. Zu empfindlich! Wie kann diese Blume ein Symbol für den Frauentag sein? Und für la lotta, den Kampf? 1946 wurde in ganz Italien zum ersten Mal Frauentag gefeiert und die Mimose auch wegen ihrer Eigenschaften als Symbol gewählt: Sie ist schön, blüht zwischen Februar und März, ist einfach zu finden und preiswert. Eine Blume, die trotz ihrer scheinbaren Zerbrechlichkeit auch auf schwierigem Gelände wachsen kann. „Behaltet eure Mimosen! Gebt uns das Recht auf Abtreibung, gebt uns Arbeit und kämpft gegen Sexismus“, rief die Abgeordnete Gilda Sportiello von der Fünf-Sterne-Bewegung am 8. März so gar nicht zimperlich. Maxi Leinkauf
N
wie Nelken
Grafisch siegte die rote, politisch die weiße Nelke (→ Zeus-Blume). Auf Streetart-Bildern, Briefmarken, Büchern zur Nelkenrevolution in Portugal 1974 leuchten meist rote Nelken. Zu den ikonischen Fotos der Geschichte des 20. Jahrhunderts gehört jenes mit dem kleinen Kind, das sich hochreckt und eine rote Nelke in den Lauf eines Gewehrs steckt. Es ist inszeniert, aber auf den Straßen Lissabons ist das im April 1974 wirklich geschehen. Progressive Offiziere hatten im Verbund mit linken Kräften das Caetano-Regime weggeputscht. Die jubelnde Bevölkerung verbrüdert und verschwestert sich mit den Soldaten. Auf Fotos posieren der Kommunist Álvaro Cunhal mit einer roten und Mário Soares, der Sozialdemokrat, mit einer weißen Nelke als Verbündete. Arbeiter:innen in Stadt und Land organisieren sich und fordern die Sozialisierung der Gesellschaft. Der Westen ist beunruhigt. Droht ein weiteres Chile? Demokratisierung, okay, Sozialisierung – NEIN! 1976 das Aufatmen. Soares wurde Premier. Michael Suckow
S
wie Sonnenblume
„Immer lebe die Sonne“ – das Friedenslied aus DDR-Zeiten habe ich im Ohr. Die Sonnenblume als Symbol der Grünen: Heute heißt es, sie sei aus Kinderhand auf ein Wahlplakat gelangt, bevor die Partei 1983 in den Bundestag eingezogen ist. Es waren sonnige Aussichten mit Flower Power und Pazifismus. Die Sehnsucht nach Weltfrieden, verbunden mit Hippie-Attitüde. Aber der erste Sündenfall kam, als Außenminister Joschka Fischer 1999 den deutschen Kriegseinsatz im Jugoslawienkrieg rechtfertigte und uns mit dem Auschwitz-Vergleich darauf einstimmen wollte. So sollte es weitergehen bis heute, als Bündnis 90/Die Grünen, mit alter Mehrheit, CDU/CSU/SPD zu enormen Kriegskrediten verhalf. Die „Hidden Disabilities Sunflower“ können seit 2016 übrigens Menschen öffentlich tragen, die mit einer Behinderung leben, die nicht gleich erkennbar ist. Irmtraud Gutschke
T
wie Tudorrose
Im Song The Last Living Rose aus dem Album Let England Shake intoniert PJ Harvey ein Loblied auf das geliebte England, auf die dort heranrollenden Nebel und die toten Seemänner, die goldglänzende Themse und eine letzte noch zitternde Rose an einer Hecke. Ob sie damit die Tudorrose meint, bleibt offen, liegt bei der Ablehnung der „Goddam’ Europeans“ im Song aber durchaus nahe. Die Tudorrose, eine Blüte, in der sich eine rote und eine weiße Rose vereinen, entstand im 15. Jahrhundert am Ende der Rosenkriege und mündete im Zusammenschluss der Häuser Lancaster und York zur Dynastie der Tudors, die bis 1603 regierte. Heute ist sie das Symbol für England beziehungsweise für die britische Monarchie. Bei William Shakespeare, in dessen Werk zahlreiche Rosen blühen, kommt diese Vereinigung in der Historie Heinrich der IV. in Versen zur Sprache: „We will unite the white rose and the red: / Smile Heaven upon the fair conjunction / That long hath frown’d upon their enmity“. Und der Himmel lacht zum Ende des Kriegs und zu der geglückten Versöhnung (→ Anemone). Beate Tröger
V
wie Vergissmeinnicht
Vergissmeinnicht wird weltweit als Zeichen des Gedenkens an Opfer von Gewalt verwendet. Seine Bedeutung leitet sich sowohl aus seinem Namen als auch aus seiner zarten Erscheinung ab, die für liebevolle Erinnerung und schmerzhaften Abschied steht. In Deutschland dient die Blume als Symbol für das Andenken an die Kriegstoten. Sie steht im Kontrast zu den Schrecken des Krieges, wird bei Gedenkveranstaltungen und stillen Zeremonien getragen und versinnbildlicht Hoffnung auf Frieden und Versöhnung (→ Tudorrose). Während des Zweiten Weltkrieges war das Vergissmeinnicht zudem Erkennungszeichen einer Widerstandsgruppe gegen das NS-Regime in Tirol, der „Kampffront Vergissmeinnicht“. Als Symbol für tragisch ums Leben gekommene Menschen wird die Blume auch für den Genozid an den Armeniern von 1915 verwendet. Elke Allenstein
W
wie Weiße Rose
Widerstand kann leise sein. Ein Flugblatt, eine Blume, ein Name. Die Weiße Rose steht für den Kampf gegen Faschismus (→ Vergissmeinnicht), für Hans und Sophie Scholl, ihren Mut, der mit dem Leben bezahlt wurde. Der Name der nach dem Titel der ersten vier Flugblätter benannten Widerstandsgruppe sei willkürlich gewählt, sagte Hans Scholl im Gestapo-Verhör. Er sollte „einen guten Klang haben, hinter dem aber ein Programm steht“. Doch Symbole lassen sich umdeuten – oder vereinnahmen. Im Jahr 2018 demonstrierten in Chemnitz Tausende Rechte mit weißen Rosen und schwarzen Anzügen. Ein „Trauermarsch“ für die Opfer, die von Asylbewerbern getötet wurden. Trauer? Oder der Versuch, Geschichte umzuschreiben? Weniger beachtet sind hingegen die Edelweißpiraten, die sich der Hitlerjugend widersetzten und nach ihrem Erkennungszeichen, einer Edelweiß-Anstecknadel, von den Nationalsozialisten ihren Namen bekamen. Sie wurden verfolgt, gefoltert, ermordet. Edelweiß steht seither für Tapferkeit. In Köln erinnert das jährliche Edelweißpiratenfestival an sie. Jens Siebers
Z
wie Zeus
„Dianthus“ lautet ihr botanischer Name. Das stammt aus dem Griechischen und bedeutet „Blume des Zeus“. Auf Deutsch kennen wir die seit der Antike geschätzte Pflanze als Nelke (→ Nelkenrevolution). Laut dem römischen Dichter Ovid steckt hinter der Pflanze eine grausame Geschichte: Die Jagdgöttin Diana riss aus einer miesen Laune heraus einem Hirten beide Augen aus. Als sie ihre Tat bereute, verwandelte sie die Augen in schöne Nelkenblüten. Daran erinnert ihr französischer Name „oeillet“, Äuglein. In der Französischen Revolution versinnbildlichte die rote Nelke den Widerstand. Auf dem Weg zur Guilloutine trugen sie Adlige als Zeichen der Royalisten. Der widerständige Inhalt hat die Republik überdauert. Die Arbeiterbewegung machte die rote Nelke zum Symbol. Besonders in der DDR trug man ein Papierexemplar am Revers (→ Kornblume). TP