Seltene Erden & Co.: „Die Rohstoffpolitik dieser EU ist ein Offenbarungseid“

Herr Müller, Sie stellen Finanzierungen für Rohstoffprojekte mit Beteiligung pri­vater Investoren und der Politik auf die Beine. Gehen die Geschäfte wegen des Handelskonflikts gerade durch die Decke?

In der Theorie ja. Der Bedarf an Investments steigt extrem. Vielen unserer Kunden, etwa aus dem Maschinenbau, der Automobil- oder der Chemieindustrie, wird bewusst, dass es eng wird mit der Rohstoffversorgung. Auch im Mittelstand und dann häufig über die zugehörigen Family Offices, bei denen wirklich viel Geld sitzt, steigt das Interesse am Rohstoffsektor. Viele dieser Unternehmen verändern ihren Fokus hin zu moderneren Industrien wie Rüstung oder alter­nativen Energien. Dort sind Seltene Erden oder Technologiemetalle von elementarer Bedeutung. Aber wir haben in Deutschland und Europa ein großes Pro­blem: Das fehlende beziehungsweise in den letzten Jahrzehnten verloren gegangene Know-how in der Rohstoffindustrie. Diese Branche folgt besonderen Regeln und Mechanismen, Netzwerke und Partnerschaften sind elementar – hier stehen wir leider ziemlich blank da. Im inter­nationalen Wettbewerb drohen wir daher schlicht abgehängt zu werden.

China dominiert als Lieferant die Märkte für viele wichtige Industrierohstoffe. Im Handelskonflikt mit den USA hat das Land diese Position genutzt und die Versorgung des Westens erheblich eingeschränkt. Bei welchen Rohstoffen und Industrien ist die Not am größten?

Besonders kritisch ist die Lage bei den Seltenen Erden, einer Gruppe von 17 chemischen Elementen, die zwar oft nur in kleinen Mengen gebraucht werden, aber zumeist unersetzbar sind. Diese werden etwa in Permanentmagneten verwendet, welche in dem für Deutschland so wich­tigen Anlagen- und Maschinenbau in großen Mengen verbaut werden. Auch bei Antimon und Wolfram, vor allem für Rüstungsunternehmen und die Luft- und Raumfahrtindustrie von kritischer Bedeutung, haben wir besorgniserregende Abgängigkeiten von China. Und auch wenn die Förderung dieser Rohstoffe aus unkritischen Regionen über die Zeit sicher in den Griff zu bekommen ist, werden die Herausforderungen des zweiten Schrittes der Wertschöpfung, nämlich der Weiterverarbeitung, von den meisten un­terschätzt.

Die Kunst besteht genau worin?

Anders als beim Gold, wo es zur Trennung nur einen heißen Ofen braucht, sind die kritischen Rohstoffe nach ihrer För­derung erst einmal kaum zu gebrauchen. Lithium, Seltene Erden, Kobalt und andere müssen in einem extrem komplexen Prozess erst so weiterverarbeitet werden, dass sie in den entsprechenden Anwendungen ihre Funktion übernehmen können. Diese Schritte sind zumeist sehr energieintensiv und unter Beachtung un­serer Nachhaltigkeitsstandards auch sehr teuer. Outsourcing, wieder einmal nach China, war in der Vergangenheit daher eine gern praktizierte Lösung. Leider ging auf diesem Wege auch unser Know-how verloren, und es wird viel Zeit und Geld brauchen, entsprechende Kompetenzen und Kapazitäten in Deutschland und Europa wiederzuerlangen. Auch hier sehe ich uns nicht im Fahrersitz.

Stefan Müller, Chef der Deutschen Gesellschaft für WertpapieranalyseDGWA

Wie groß sind die Sorgen unter den Einkäufern der Unternehmen, irgendwann mit leeren Händen dazustehen?

Die Einkäufer sind in einer bedauernswerten Position. Viele der betreffenden Unternehmen, vor allem in der Auto­mobil-, Chemie- und Maschinenbauindustrie, haben ohnehin große Probleme und stehen unter hohem Kostendruck. Anstatt wie in der Vergangenheit zu­mindest die Rohstoffe recht billig ein­kaufen zu können, bekommen sie diese aktuell, wenn überhaupt, nur zu deutlich gestiegenen Preisen. Investitionen in Lagerhaltung oder eigene Minen- oder Verarbeitungskapazitäten sind in diesem Szenario zum einen schwer finanzierbar, zum anderen aus den verschiedensten Gründen zumindest in der deutschen Industrie bisher wenig opportun, meines Erachtens aber von existenzieller Notwendigkeit.

Was sollte man in dieser Lage tun?

Vor allem unsere großen Unternehmen müssten selbst in die Wertschöpfungs­ketten investieren. Aber beim Thema Minenbeteiligung heißt es oft: „Um Gottes Willen, wenn da etwas schiefgeht mit der Nachhaltigkeit oder den Menschenrechten.“ Hier sind Bildung und Aufklärung notwendig. Eine Aufgabe, die bei uns zum Glück immer häufiger nachgefragt wird. Volkswagen hat begonnen, Investments in der Rohstoffindustrie zu tätigen, von den meisten anderen hört man bisher wenig. Wir wissen jedoch, dass ein Umdenken stattfindet. Im Vergleich zu den Ak­tivitäten der Konzerne etwa in den USA sind die Aktivitäten unserer Unternehmen jedoch kaum erwähnenswert. Eine gefährliche Entwicklung, denn die Anzahl interessanter Projekte ist sehr limitiert.

Nicht nur die amerikanischen Unter­nehmen investieren. Präsident Trump hat schon in seiner ersten Amtszeit die Rohstoffversorgung zur Frage der nationalen Sicherheit erklärt, seitdem fließen Milliarden in Minen und Raffinerien. Geht so ein Plan aus Ihrer Sicht auf, oder führt das nicht zu Fehlallokationen?

Wir reden hier nicht über eine Software, die Sie unendlich skalieren können, sondern über Rohstoffprojekte, die eine Entwicklungszeit von zehn bis 15 Jahren haben und wie gesagt nur in begrenzter Anzahl zur Verfügung stehen. Deshalb muss man sich sichern, was zu sichern ist, denn es ist unbestritten, dass wir bei den kri­tischen Rohstoffen in eine immer größer werdende Angebots-Nachfrage-Schere laufen. Aber die Lösung ist ganz einfach: Investieren! Mit Reden kann man vielleicht in der Außenpolitik irgendwas bewirken, aber im Rohstoffbereich wird hart gerechnet. Wenn man sich keine Projekte sichert, muss man am Ende des Tages den Preis bezahlen. Sowohl die Amerikaner als auch die Chinesen und auch die Japaner haben das längst erkannt und sagen: Okay, wir werden mit Sicherheit eine gewisse Fehlerquote haben, aber in Summe ergibt es Sinn, sich die vermeintlich attraktiven Projekte zu sichern. Selbst mit einer Ausfallquote von 20 bis 30 Prozent lohnt sich das. In Europa haben wir das bisher nicht verstanden und versuchen nun, die eierlegende Wollmilchsau zu finden, anstatt es denen gleichzutun, die in den letzten 50, 60 Jahren nicht komplett ausgesourct haben und sich erfolgreich Rohstoffe sichern.

Werden die freien Kapazitäten auf der Welt gerade ohne uns verteilt?

Zumindest hat Amerika den Schalter umgelegt. Die USA haben eingesehen, dass es falsch war, sich in starke Abhängig­keiten zu begeben, und investieren jetzt in großem Stil. Wenn ich das grob überschlage, haben die USA allein in diesem Jahr bestimmt 50 Milliarden Dollar direkt in Projekte oder weitreichende Abkommen gesteckt. In Europa zögern wir dagegen immer noch. Wir haben immer geglaubt, die Australier wollten nur mit uns Europäern kooperieren. Aber eh wir uns versehen haben, schließt Australien ein Abkommen über Seltene Erden mit den USA über 8,5 Milliarden Dollar ab. Dies allein ist mehr als alles, was in Europa zusammen im Jahr 2025 passiert ist. In Europa, und leider besonders in Deutschland, verschlafen wir diese Entwicklung gerade völlig. Früher oder später gibt es dann einfach nichts mehr Attraktives.

Die EU hat das Thema Rohstoffpolitik doch auf dem Schirm und im Critical Raw Materials Act rund 60 Projekte identifiziert.

Genau, damit ist aber kein Investment verbunden. Und bei einigen dieser Projekte sind es jetzt die Amerikaner oder Japaner, die investieren. Die sagen sich, fein, die Europäer haben die Arbeit gemacht und eine gute Auswahl getroffen, da gehen wir jetzt rein. Die Rohstoffpolitik der EU ist nichts anderes als ein Offenbarungseid. Und auch die von Brüssel kürzlich an­ge­kündigten drei Milliarden für Rohstoff­projekte werden daran nur wenig ändern, wir benötigen ganz andere Summen.

Ist die kürzlich gestartete Einkaufsplattform der EU für Unternehmen aus Ihrer Sicht eine gute Idee?

Das mag für einen Mittelständler, der kleine Mengen braucht, ganz interessant sein. Aber bei den großen Unternehmen habe ich arge Zweifel, ob diese tatsächlich ihre Bedarfe offenlegen. Ich glaube auch nicht an Rohstoffpolitik. Rohstoffe sind dominiert durch Mathematik, Physik, Chemie und ganz besonders Geologie. Das können sie nicht wegdiskutieren, es lassen sich keine Kompromisse finden wie sonst in der Politik. Die einzige Möglichkeit ist, Geld in die Hand zu nehmen, die Projekte zu kaufen, sich die Rohstoffe zu sichern. Und wer da nicht mitmacht, muss am Ende wohl viel mehr Geld ausgeben, um zum Zuge zu kommen.

In Deutschland hat der Rohstofffonds ein Volumen von einer Milliarde Euro und nach einem Jahr nun sein erstes Investment getätigt in eine Lithiumproduktion in Rheinland-Pfalz.

Eigentlich waren es zwei Jahre, und das Geld für Vulcan Energy ist auch nicht direkt geflossen. Das ist an harte Ziele gekoppelt, und wer weiß, ob diese erreicht werden und die Mittel überhaupt in vollem Umfang fließen. Davon abgesehen, ist es fraglich, ob bei einem gesamten Finanzierungsvolumen von in diesem Fall 2,2 Milliarden Euro die 150 Millionen vom Rohstofffonds überhaupt notwendig waren und nicht hätten besser eingesetzt werden können. Denn viel wichtiger wären Investments von 30 bis 50 Millionen Euro, um kleine Projekte so weit zu entwickeln, dass sie das Interesse von klas­sischen Investoren wecken und so an die benötigten Mittel gelangen.

Im Oktober hat JP Morgan einen 1,5-Billionen-Dollar-Plan für Rohstoffinvestments vorgelegt. War das kein Signal für die Kapitalmärkte?

Wir sind tatsächlich mit Frankfurter Banken im Gespräch, um ebenfalls Kons­truktionen aufzusetzen. Dies dauert natürlich, und es ist leider auch nicht so, dass die Investoren einfach so aufspringen wie bei den Trendindustrien Krypto oder AI.

Wie viele Zeit bleibt noch aufzuwachen?

Wir haben eigentlich keine Zeit mehr. Wenn man sich überlegt, was allein in den letzten drei, vier, fünf Monaten passiert ist, welche Projekte vor allem von den Amerikanern weggekauft worden sind und welche Abkommen sie geschlossen haben, dann ist es höchste Eisenbahn. Wir haben sehr gute verantwortliche Leute in Berlin, Staatsse­kretär Rouenhoff und Ministerialdirigent Köhler im Bundeswirtschaftsministerium haben das Thema durchdrungen. Aber auch dort können sie nur das Geld ausgeben, das zur Verfügung steht. Und wenn aus dem Finanzminis­terium und aus anderen Töpfen nichts kommt, dann wird es nicht funktionieren.

Welche Rahmenbedingungen und Sicherheiten wollen denn private Investoren in dem Business haben?

Die Herausforderungen bestehen darin, den Überblick zu behalten und zu entscheiden, welches Projekt jetzt das rich­tige ist. Deswegen ist unsere Idee, ein Vehikel zu kreieren, welches in frühphasige Projekte investiert und bei denen zum Beispiel die KfW oder ein Bankenkon­sortium das Investment mitträgt, eine Möglichkeit, den klassischen Investoren Guidance zu geben und sie so zum Mitmachen zu motivieren. Wir haben auch gute Fachleute in der Deutschen Rohstoffagentur in Berlin-Spandau, deren Geologen die Projekte sehr gut und vor allem neutral beurteilen könnten. Leider verfügen die meisten potentiellen In­vestoren noch nicht über entsprechendes Fachwissen und werden auch immer noch durch viele windige und zumeist von den Rohstoffunternehmen selbst bezahlte Emp­fehlungen fehlgeleitet. Umgekehrt ist es aber auch eine Chance, sie an die Hand zu nehmen.

Welche Rolle spielt die Angst vor ESG-Skandalen, etwa durch Kinderarbeit bei Minenprojekten?

Man muss mal klar sagen, dass die meisten interessanten Projekte damit kein Problem haben. Viele Unternehmen sind börsennotiert, die wissen ganz genau, was die Investoren erwarten, und vor allem, was sie dürfen und was nicht.

Sind Sie für garantierte Abnahmepreise in der Frühphase eines Projektes, falls die Chinesen mal wieder auf die Idee kommen, neue Konkurrenz durch Dumpingpreise wegzuspülen?

Die Chinesen dominieren den Markt durch niedrige Preise. Die einzige Möglichkeit, dem entgegenzuwirken und eine eigene Produktion aufzubauen, sind tatsächlich Preise, die für beide Seiten attraktiv sind. Die Industrie ist im Moment jedoch nicht wirklich dazu bereit, die Produktionspreise der Projekte in Europa zu tragen. Diese Lücke muss daher zumindest für eine Zeit lang wegsubventioniert werden. Beim Lithium etwa rechnen Experten aufgrund der steigenden Nachfrage mit deutlich anziehenden Preisen in den nächsten fünf Jahren. Bis dahin muss man dafür sorgen, dass unsere Projekte abgesichert und so in Betrieb genommen werden können.

Der Staat könnte ja auch als „Market Maker“ auftreten und sich mal mit ein paar Jahresproduktionen zu Dumpingpreisen eindecken. Dann könnte man testen, wer länger durchhält.

Als ehemaliger Börsenhändler würde ich sagen: Das ist ein cooler Plan, das würde ich total gern machen und die Dumpingverkäufer so richtig „short“ setzen. Aber das ist in der Praxis leider absolut unrealistisch, weil die Chinesen das natürlich merken und nicht mitmachen würden. Und Vorratshaltung will China ja sowieso unterbinden.

Experte für Rohstoffe

In Frankfurt wird fast alles gehandelt, auch Rohstoffe. Stefan Müller steht in der Mainmetropole seit rund eineinhalb Jahrzehnten an der Spitze der Deutschen Gesellschaft für Wertpapieranalyse (DGWA), eines der führenden Investmentbanking- und Beratungsunternehmens für den Bergbau- und Explorationssektor. Müller investiert seit mehr als 30 Jahren in Bergbauprojekte. Die DGWA hat in den vergangenen zehn Jahren nach eigenen Angaben mehr als 250 Finanzmarkttransaktionen begleitet. Als Mitglied des BDI-Rohstoffausschusses und Vorstandsmitglied der Fachvereinigung Auslandsbergbau berät der 54 Jahre alte Müller auch das deutsche Bundesministerium für Wirtschaft und Energie. Er begann seine Karriere bei Dresdner Kleinwort Benson, war später für Sal. Oppenheim tätig und Partner der Schweizer Vermögensverwaltungsgesellschaft Proprietary Partners.

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