Seltene Erden: Chinas langer Marsch an die Weltspitze

Kann der Westen das Seltene-Erden-Monopol Chinas aufbrechen?

Ja. Aber er wird dafür viel Zeit und Geld benötigen. Vor allem braucht er wieder Know-how für jedes Glied der Wertschöpfungskette. Und das scheint derzeit die höchste Hürde zu sein.

Weil der Westen sich in den vergangenen dreißig Jahren ganz auf China verlassen und die eigene Ausbildung, Forschung und Entwicklung vernachlässigt hat. Die großen Fortschritte in Förderung, Auf- und Weiterverarbeitung Seltener-Erden-Metalle (SEM) werden seit den neunziger Jahren in China gemacht. Dort sind die großen Tagebaue und Bergwerke; dort stehen die großen Raffinerien und auch Recycling-Anlagen.

Wie groß ist Chinas Monopol?

68 Prozent der weltweit erkundeten SE-Reserven liegen in China, 75 Prozent der Ausgangsstoffe für die Gewinnung der SE-Metalle werden in China gefördert. Dort stehen auch 92 Prozent der globalen Kapazitäten zur Weiterverarbeitung. 98 Prozent der SE-Magnete für Autos, Roboter oder Windkraftanlagen kommen aus dem Reich der Mitte. Auch steht der weltgrößte SE-Handelsplatz in Shanghai.

Welches Volumen hat der Weltmarkt?

Im Jahr werden rund 380.000 Tonnen sogenannte Seltene-Erden-Oxid-Equivalente produziert. Es ist ein wichtiger, aber mit 15 Milliarden Dollar im Jahr recht kleiner Markt. Der Jahreserlös mit Kupfer etwa ist fünfzehnmal größer.

Wie konnte China seine dominante Position erringen?

Das hat drei Gründe. Erstens: Peking hatte schon in den siebziger Jahren eine Strategie. Zweitens: Für sie bündelte es viele Kräfte. Drittens: Es zog Kapital aus dem Westen an, kanalisierte Geld in die eigene Infrastruktur und baute die Forschung aus. So hält es heute mit 26.000 SEM-bezogenen Patenten die Hälfte aller weltweiten Branchenpatente.

China sprang in eine Lücke?

Ja. Es war sich in den achtziger und neunziger Jahren nicht zu fein, Aufträge anzunehmen, die der Westen aus ökologischen, finanziellen und rechtlichen Gründe nicht mehr abarbeiten wollte.

Weil Förderung und Weiterverarbeitung Seltener Erden teuer und schmutzig sind. Werden dabei doch toxische Substanzen eingesetzt, gefährliche Stoffe ausgeschieden und Radioaktivität freigesetzt.

Seltene Erden sind weder selten, noch sind es Erden.

Sie sind in der Erdkruste häufiger vertreten als viele Edelmetalle. Sie kommen in Form etwa von Chloriden, Halogeniden, Sulfaten, Nitraten oder Oxiden (SEO) vor. Man kennt 200 Minerale, in denen sie in relevanten Mengen enthalten sind. Doch nur wenige werden aufbereitet.

Was sind das für Vorkommen?

Von den 1200 bekannten Lagerstätten ist etwa ein Drittel interessant. An nur rund 60 Standorten aber werden SE im größeren Stil abgebaut: vor allem in China, Indien und Südostasien, Amerika, Afrika, Russland und Australien.

Und Europa?

In Europa gibt es mehrere Vorkommen, vor allem im Norden. Dort liegen mit 28.000 Kilotonnen SE-Oxiden sechs Prozent der globalen Ressourcen. Sie werden aber nicht abgebaut. Ähnlich sieht es bei der Weiterverarbeitung aus. Während China 46 Großanlagen hat, kommt Europa kaum über eine Handvoll kleinerer Betriebe hinaus.

Was ist mit Deutschland?

In Sachen Auf- und Weiterverarbeitung gibt es seit 1990 keine Anstrengungen. Auch gibt es in Deutschland keine wirtschaftlich gewinnbaren Vorkommen. Zwar liegen in Bayern, Sachsen und Norddeutschland größere Mengen. Doch ihr Abbau gilt als nicht wirtschaftlich.

Was sind die Kriterien?

Der Mindestabbaugehalt schwankt je Lagerstätten- und Gesteinstyp. Wirtschaftlich gesehen sollte er mindestens 0,5 Prozent des bewegten Erdreiches betragen. So richtig knifflig ist aber erst die Aufarbeitung. Hier braucht es Prozesse, die zwar bekannt sind, die sich aufgrund der Vielgestaltigkeit der Ausgangsmineralien aber kaum standardisieren lassen.

Um was geht es?

Es geht um vielstufige Prozesse, die Methoden wie Flotation, Gravitations- und magnetische Trennung kombinieren, um das Zielkonzentrat zu erhalten. Seltene Erden müssen aus ihrem Erz aber erst isoliert und dann konzentriert werden, bevor sie getrennt werden können. Es geht um Cracking durch Säureaufschluss, es geht um Laugung mittels Salzsäure, es geht um Fällung, Separation, Evaporation und Schmelzflusselektrolyse.

Und China beherrscht das so gut wie niemand sonst?

Ja. Es hat zwei Jahrzehnte gebraucht, um es an die Weltspitze zu bringen. Der Wendepunkt war 1992. In jenem Jahr förderte China erstmals mehr SE-Oxide als die USA. Bis auf wenige Strategen im Westen störte sich niemand an dem Wachwechsel. Dabei hatte Deng Xiaoping, der starke Mann in Peking, schon 1987 erklärt: „Der Mittlere Osten hat Öl, China hat Seltene Erden.“ China wusste, dass es einen Kommandohügel der modernen Wirtschaft eingenommen hatte.

Bergbaudistrikt Bayan Obo: Arbeiter in der Autonomen Region Innere Mongolei im Norden Chinas setzen Maschinen für den Abbau Seltene Erden ein.dpa

Wie ging es weiter?

Um die weitere Entwicklung zu verstehen, braucht es einen Blick zurück: Um 1900 war zunächst Brasilien und dann Indien der größte Lieferant von SE-Metallen in der Welt. Auf der Nachfrageseite spielten Nischenmärkte eine wichtige Rolle. Vor dem Ersten Weltkrieg färbte Schott in Jena seine Gläser mit SE-Metallen ein. Carl Auer in Wien stellte mit ihnen Hunderte Millionen Gaslampen und Zündsteine für Feuerzeuge her. Dann traten China und die USA auf.

Während die Chinesen Ende der dreißiger Jahre in Bayan Obo ihre ersten SE-Funde erkundeten, machten sich die USA 1942 an den Bau der Atombombe. Dafür sahen sie sich unter Leitung des Chemikers Frank Spedding auch das Potential von SE-Metallen an. Nach dem Krieg gewann die Entwicklung an Fahrt. Amerika sperrte 1953 die SE-Mine im kalifornischen Mountain Pass auf; China zog 1957 in Bayan Obo einen Abbau- und Veredlungsbetrieb hoch. Beide Standorte waren zunächst ausschließlich für das eigene Militär tätig. Beide belieferten dann aber auch zivile Kunden.

An wen lieferten sie?

China exportierte 1973 die erste Tonne SE-Oxide nach Japan. Peking beschloss 1975, ganz groß ins Geschäft einzusteigen. Es bildete eine Arbeitsgruppe um den Chemiker Xu Guangxian, lotete das Potential aus und suchte und fand Partner: die Inoue-Japan Research Inc. Sie half beim Ausbau von Bayan Obo zur größten Mine der Welt, und sie half auch beim Aufbau der Raffinerie im nahen Baotou. 1980 lieferte China tausend Tonnen SE-Metalle nach Japan. 1982 wurde auch Amerika ein Kunde. 1985 beliefen sich Produktionskapazitäten Chinas auf 10.000 Tonnen SE-Metalle im Jahr.

Die Basis für den Aufstieg war gelegt.

Und nicht nur die. Peking hatte seine Ambitionen auf den SE-Märkten in einen breiten Wirtschaftsplan gebettet. Wissenschaftler um den Physiker Wang Daheng mahnten 1985 den Aufbau einer eigenen Hochtechnologieindustrie an. 1986 ging China mit seinem „Programm 863“ an die Umsetzung – und dafür brauchte es massenhaft Seltene Erden.

Wie baute es seine Branche auf?

Mit einer staatlich finanzierten Industriepolitik. Mit harten Beihilfen wie gezielten Steuererleichterungen und Exportsubventionen. Mit weichen Beihilfen wie niedrigen Umwelt- und Arbeitsstandards. Darüber hinaus schöpfte es die Vorteile aus, die eine Kommandowirtschaft mit Staatsbetrieben und umfassenden Durchgriffsmöglichkeiten hat.

Was heißt das?

Es wird geschätzt, dass China jedes Jahr umgerechnet eine Milliarde Dollar in die Branche steckte. In der Aufbauphase bekamen die exportorientierten SE-Firmen neben günstigen Krediten und Beihilfen etwa einen Gutteil ihrer Steuern erlassen, wenn sie die Gewinne in den Ausbau der Anlagen steckten. So erhöhten sich die Produktions- und Verarbeitungskapazitäten im Land bis 1995 auf 30.000 Tonnen.

Marktführer waren da noch die USA?

Nein. Die standen mit 20.000 Jahrestonnen bis 1991 an der Weltspitze. Die Molybdenum Corp. (Molycorp ) hatte seit 1953 die Mountain Pass Mine in Kalifornien samt einer Raffinerie betrieben. Ihr größter Kunde war das Pentagon, das SE-Metalle für die Rüstungsindustrie kaufte.

Weil SE-Metalle in der Elektronik der Waffensysteme stecken. Nach der Rüstung trat um 1960 auch Amerikas Raumfahrtprogramm auf den Plan. 1965 kam die zivile Elektronikindustrie im großen Stil dazu. Sie brauchte SE-Metalle, um Radios gut klingen, TV-Geräte strahlen und Leuchtstoffröhren leuchten zu lassen.

Das können SE-Metalle?

14 der 17 Seltene-Erden-Elemente sind eigentlich sogenannte Lanthanoide, und die haben auf atomarer Ebene besondere Strukturen, die ihnen spezielle Eigenschaften geben. Das nutzte um 1900 etwa Carl Auer in seinen millionenfach verkauften Glühstrümpfen. Das nutzte die TV-Geräte-Industrie seit den fünfziger und die Stahl-, Pharma- und Chemieindustrie seit den sechziger Jahren.

Das entfachte den frühen Boom?

Von 1964 bis 1966 verzehnfachte die Molycorp die Produktion auf 11.500 Jahrestonnen. 1977 wurde sie an die Union Oil Comp. (Unocal) verkauft. Die sah sich kurz darauf der Konkurrenz von Magnequench gegenüber, einer Firma des Autobauers General Motors. Der hatte 1982 mit Japans Sumitomo-Gruppe auf Basis des SE-Metalls Neodym eine Magnetlegierung entwickelt, die für E-Motoren und Festplatten wichtig wurde.

Mit dem Ende des Kalten Krieges wurden die Karten neu gemischt. In den USA wurden viele Firmen mit den ökologischen Folgen ihrer Arbeit konfrontiert. Vor allem beim umstrittenen Betrieb in Mountain Pass. Die Umweltbehörde EPA war auf lecke Wasserspeicher und Leitungen gestoßen, durch die hochtoxische Abwässer versickerten.

Was waren die Folgen?

Edward Nixon, der Bruder des einstigen US-Präsidenten, schlug vor, alle Verarbeitungsprozesse nach China zu verlegen. Unocal ging darauf ein und exportierte von 1993 an bis zu 7000 Tonnen Abbaumaterial nach China. Dort ließ es sie erst aufarbeiten und dann zur Weiterverarbeitung wieder nach Amerika importieren. China aber wollte mehr.

Was heißt das?

Peking ging 1993 daran, wichtige Firmen der Amerikaner an sich zu ziehen. So griff sich etwa 1995 die Investmentgesellschaft Sextant Group, bei der Zhang Hong, der Schwiegersohn von Deng Xiaoping, die Regie führte, Magnequench. Die Chinesen bekamen das GM-Unternehmen – und hatten einen Plan.

Wie sah der aus?

Sie bauten über die folgenden Jahre in Tianjin mehrere Duplikate der US-Betriebe auf, fuhren die Produktion dort dann hoch und die in den US-Betrieben schließlich runter. 2006 machte das letzte US-Werk von Magnequench dicht. Washington war geschockt. Hatte die einstige GM-Tochtergesellschaft doch zu jener Zeit 85 Prozent aller Magnete der smarten Bomben des US-Militärs geliefert. Es sollte nicht der letzte Schock bleiben.

Eine Mine für den Abbau von SE-Oxiden in MyanmarReuters

Was kam dann?

Als Peking den globalen SE-Markt kon­trollierte, trat es 2005 hart auf die Bremse. Es kündigte ersten westlichen Konzernen die Partnerschaften auf, kaufte ihre Anteile zurück und begann, sie aus dem chinesischen SE-Markt zu drängen. Es band heimische Unternehmen fest an den Staat, legte Förder- und Ausfuhrquoten fest und zog Umwelt- und Handelsauflagen ein, strich Beihilfen und erhob Exportsteuern, schloss illegale Minen und fusionierte Hunderte Unternehmen zu zwei riesigen Konglomeraten. Das Ziel war, die Kontrolle über jedes Glied der Wertschöpfungskette zu haben.

Wie äußerte sich das?

Als das Handelsministerium in Peking im August 2010 mitteilte, die jährliche Exportquote für Seltene Erden um 40 Prozent auf 30.000 Tonnen zu kürzen, schossen auf dem Weltmarkt die Preise durch die Decke. Der Preis für Terbium stieg um 650 Prozent, der für Neodym um 930 Prozent. Die für die Katalysatorproduktion wichtigen Oxide von Cer und Lanthan verteuerten sich um rund 2000 Prozent.

Wie ging es weiter?

Japan, Amerika und die EU beschwerten sich bei der WTO. China musste 2015 seine Exportquoten und Ausfuhrsteuern auf Seltene Erden streichen, führte aber 2018 eine Umweltschutzsteuer ein. Mittlerweile setzt Peking seine Vormacht bei den Seltenen Erden gezielt und regelmäßig ein. So kündigte es 2023 ein Ausfuhrverbot von Technologien zur Gewinnung und Trennung von Seltenen Erden an. Im April 2025 führte es als Reaktion auf die Zollpolitik Washingtons eine Teilbeschränkung des Exports ein.

Der Westen versucht nun, seine Abhängigkeit von China zu reduzieren. So werden bereits erkundete Vorkommen in Afrika, Australien und Indien ebenso auf die Agenda gerückt wie der Auf- und Ausbau von Raffinerien und Weiterverarbeitungsanlagen in Europa und Amerika. Man schaut sich Abbauprojekte wie die von Elk Creek in Nebraska, dem Fen-Komplex in Telemark/Norwegen oder Kiruna in Schweden noch einmal genau an.

Was ist kurzfristig in Sicht?

In den USA beteiligte sich das Pentagon mit 400 Millionen Dollar an MP Materials und gab dem Unternehmen für die kommenden Jahre eine Abnahme- und Preisgarantie. MPM war 2017 gegründet worden, hatte die Reste der insolventen Molycorp samt der Mountain Pass Mine für 20 Millionen Dollar gekauft und den Betrieb wieder angefahren. Für die Aufarbeitung der Erze ist sie aber auch auf die chinesische Shenge-Gruppe angewiesen, so wie der zweite nennenswerte US-Abbauort, die Mission Mine in Georgia, auch.

Und Europa?

In Europa werden neue Projekte ausgelotet, vieles ist aber noch in einem frühen Stadium. Polen macht sich gerade mit einem Firmenkonsortium um die Mkango Resources Ltd. daran, ein Separationswerk durchzuplanen. Die französische Caremag SAS baut in Lacq eine Recy­cling- und Separationsanlage. Die belgische Solvay-Gruppe zieht bei La Rochelle eine Separation, Metallproduktion und Magnetherstellung auf.

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