Schauspieler Keanu Reeves und Fantasy-Autor China Mieville toben sich in ihrem gemeinsamen Roman „Das Buch Anderswo“ aus. Und das ist stellenweise Fantastik vom Feinsten
Schauspielstar Keanu Reeves, gerade 60 geworden, ist seit neuestem Romanautor. In welchem Genre könnte sich das Gesicht der Matrix-Filmreihe besser beweisen als in der Science-Fiction. Die Feuilletons von der New York Times bis zur hiesigen Zeit sind aus dem Häuschen und machen einen Riesen-Hype um das Buch. Dabei erfüllt der Roman kaum gängige Anforderungen des bildungsbürgerlichen Publikums.
Das Buch anderswo ist ein 500 Seiten dicker Fantasy-Schmöker über einen 80.000 Jahre alten, muskelbepackten und beinahe unverwundbaren Mann namens Unute. Wenn der erst mal irgendwo draufhaut, bleibt nichts mehr heil. Die Mischung aus Hulk und Conan, der Barbar, hat sich Reeves schon vor ein paar Jahren ausgedacht und als Comic umgesetzt. Mit Erfolg! Zwölf Bände der Saga hat Reeves von 2021 bis 2023 zusammen mit den Comic-Autoren Matt Kindt und Ron Garney veröffentlicht und Kritiker ebenso wie zahlendes Publikum begeistert. Netflix plant das mit einer Verfilmung zu adeln.
Action-Roman mit philosophischen Themen?
Woher kommt der Hype um den Roman? Science-Fiction wird im Feuilleton sonst eher stiefmütterlich behandelt. In der Welt macht man nun in dieser actiongeladenen Geschichte einen „Krieg der Metaphern“ aus, versteht die Figur Unutes gleich als Amalgam verschiedener Charaktere, die Reeves zuletzt spielte. Für die New York Times ist das Buch nicht weniger als ein „experimenteller Roman über die Sterblichkeit, die Vergänglichkeit der Zeit und die Bedeutung des Menschseins“. Während sich Feuilletons sonst schwertun, in der Science-Fiction überhaupt gesellschaftspolitisches Potenzial zu sehen und oft als Popliteratur pickelgesichtiger Nerds abkanzeln, finden sie plötzlich existenzielle, philosophische Themen in diesem Action-Roman. Ähnlich verklärt wurde auch die jüngste Verfilmung von Dune, als die FAZ im April die Science-Fiction zum „Genre der Stunde“ ausrief.
Aber wird Das Buch Anderswo dem gerecht? Immerhin hat sich der schlanke kanadische Schauspieler mit dem zerzausten halblangen, schwarzen Haar, der optisch so gar nichts mit dem muskelbepackten Helden seiner Fantasie zu tun hat, als Co-Autor den britischen Fantasy- und Science-Fiction-Kult-Schriftsteller China Mieville ausgesucht – einen seiner Lieblingsautoren, wie er erklärte. Vielleicht ist auch dessen in Feuilletons bekannte politische Ausrichtung als Kommunist der Grund für das enorme Medienecho.
Auf den ersten Seiten des Romans finden blutigste Gemetzel statt, es türmen sich Leichenberge. Wenn Unute menschliche Körper wie Pappe auseinanderreißt, leuchten seine Augen wie zwei blaue Scheinwerfer und nichts ist mehr sicher. Wie es sich für einen amerikanischen Helden gehört, dient der vor-neolithische Krieger, der immer wieder stirbt und dann als Ei verpuppt zu neuem Leben erwacht, in einer Spezial-Einheit der US-Armee.
Fantastik vom Feinsten
Neben bellizistischem Kampfgetöse und einer die nationale Sicherheit gefährdenden Verschwörung geht es natürlich auch um die Frage, was diese durch die Menschheitsgeschichte mäandernde Figur im Laufe der 80.000 Jahre seines Lebens schon alles gesehen hat. Und da wird es spannend, wenn es zurück in die Geschichte geht. Dann spielt dieses Opus in untergegangenen Königreichen, auf den Atlantik überquerenden Segelschiffen, die von schrecklichen Spukgestalten heimgesucht werden oder es geht um antike Städte und Flugmaschinen, die vom Erdball verschwunden sind. Das ist stellenweise Fantastik vom Feinsten.
Ob dieses eindrucksvolle Panorama fiktiver Geschichte von der Eiszeit bis ins 21. Jahrhundert vor allem der routinierten Fantastik-Schreibe China Mievilles geschuldet ist oder was hier Keanu Reeves beigesteuert hat, ist unklar. Aber können sich auch Leser für dieses Buch begeistern, die dieser Art von Fantastik sonst skeptisch gegenüberstehen? Das ist zu bezweifeln, weil die Geschichte Unutes vor allem männlich-martialische Ästhetik reproduziert.
Viele Leser, denen Gewaltdarstellungen unangenehm sind und die dem Fantastik-Genre skeptisch gegenüberstehen, werden über die ersten 30 Seiten dieses Ziegelstein-dicken Buches kaum hinauskommen. Eigentlich schade, denn Keanu Reeves und China Mieville haben über die Länge des Textes aus dem Stoff dann im Vergleich zum etwas platter gestrickten Comic noch einiges rausgeholt.
Das Buch Anderswo China Miéville/Keanu Reeves Jakob Schmidt (Übers.) Gutkind-Verlag, 512 S., 24 €.