schwäbisches Unternehmen: Der Maschinenbauer Voith will 2500 Stellen streichen

Das Ambiente im Vergleich zu Dirk Hokes vorherigem Arbeitgeber könnte wohl kaum unterschiedlicher sein. Der Maschinenbauingenieur, der bis Februar noch das deutsche Lufttaxi-Start-up Volocopter geleitet hat und seit April den Traditionskonzern Voith führt, hat seine Besprechungen am Montag in die Villa Eisenhof gelegt. Das Gästehaus des Maschinenbauers am Stammsitz in Heidenheim ist ein Stück baden-württembergische Industriegeschichte mit Stuck, Holztäfelungen und Marmor; erbaut von Friedrich Voith, der die Schlosserei seines Vaters zu dem heute weltbekannten Industrieunternehmen entwickelt hat. Eine Büste im Foyer erinnert an den Gründer und an die fast 160-jährige Unternehmensgeschichte.

„Ich bin angetreten, um Voith für die nächsten 160 Jahre zukunftsfähig zu machen“, ist dann auch der erste Satz des neuen Geschäftsführers. Und dabei lässt er keine Zweifel daran, dass die Zukunft des 1867 gegründeten Unternehmens nur mit Kurskorrekturen und harten Einschnitten gesichert werden kann. „Wir müssen uns einfach eingestehen, dass wir in den vergangenen 15 Jahren weniger gut abgeschnitten haben als unsere Wettbewerber“, sagt Hoke im Interview mit der F.A.Z. „Wir müssen wieder wachsen und unseren Mitarbeitern vermitteln, dass wir ohne härtere Maßnahmen die Mittel für Investitionen und Wachstum nicht erwirtschaften werden.“

Voith hat zuletzt deutlich an Umsatz und Gewinn verloren

Die Rechnung, die der in Kassel geborene und bei Hamburg aufgewachsene Hoke aufmacht, liest sich so: Voith habe in den vergangenen 15 Jahren deutlich an Umsatz und an Ergebnis verloren. „Das sind die Fakten, wenn wir einfach nur die Zahlenreihen analysieren“, erläutert Hoke. „Mit den getätigten Investitionen müssten wir bei einem Umsatz von acht Milliarden Euro stehen, wir sind bei gut fünf. Und bei der Profitabilität standen wir schon 2010 bei knapp acht Prozent. Die Wettbewerber haben drei bis vier Mal besser abgeschnitten.“ Im Geschäftsjahr 2023/24 – aktuellere Zahlen gibt es nicht – erwirtschaftete Voith mit einem Umsatz von 5,23 Milliarden Euro einen operativen Gewinn (Ebit) von 201 Millionen Euro, was einer operative Umsatzrendite (Ebit) von 3,8 Prozent entspricht – unterm Strich stand dabei ein Nettoverlust von 247 Millionen Euro.

Die Analyse hat Hoke beendet, am Montag hat er den Wirtschaftsausschuss von Voith über die Pläne informiert. Seit Dienstag ist er dabei, die Kurskorrekturen umzusetzen. In einer Mitarbeiterversammlung im Konzerthaus und im Kongresszentrum von Heidenheim hat er der Belegschaft die Ergebnisse seiner Überlegungen vorgestellt.

Neben einem Sparprogramm und einer Neuorganisation der Konzernverwaltung plant das Unternehmen dem Abbau von rund 2500 der weltweit 22.000 Stellen – und zwar überwiegend in Deutschland, wo Voith rund 7000 Mitarbeiter beschäftigt. „Wir werden in jedem Fall versuchen, eine einvernehmliche Regelung zu finden, damit wir das ohne betriebsbedingte Kündigungen hinbekommen“, sagt Hoke.

Voith in HeidenheimAP

Für den Voith -Chef sind die Probleme des Maschinenbauunternehmens in erster Linie ein klassisches Restrukturierungsthema. Es geht um die Anzahl der Abteilungen, zu viele Schnittstelle, unnötige Bürokratie, ineffiziente Teamführung – um das Entschlacken des Unternehmens. „Das Ziel ist, das Verhältnis zwischen direkten und indirekten Mitarbeitern wieder in eine wettbewerbsfähige Position zu bringen“, sagt Hoke. „Seit meinem Antritt habe ich in jeder Betriebsversammlung offen gesagt, dass schwierige Zeiten auf uns zukommen werden. Ohne harte Einschnitte werden wir das Unternehmen nicht zukunftsfähig aufstellen können.“

Für Hoke gibt es noch ein zweites schwerwiegendes Problem: Während Wettbewerber überwiegend in Niedriglohnländern produzieren, hat Voith seine Fabriken zu mehr als 70 Prozent in Ländern mit hohen Kosten, weshalb er die Zukunft von neuen Voith-Werken vor allem jenseits der deutschen und europäischen Grenzen sieht. „Die Wachstumsregionen der Zukunft liegen nicht in Europa und Deutschland, sondern in Nordamerika und Asien, wir werden dort überproportional wachsen und damit unsere Kostenstruktur nachhaltig verbessern“, sagt er. Das sei kein Bekenntnis gegen Deutschland. „Wir werden auch hier in Innovation investieren und Referenzfabriken aufbauen, mit denen wir zeigen, dass Produktionsprozesse und das Zusammenspiel von Maschinenbau und Digitalisierung funktionieren.“ Aber Voith müsse immer auch dort produzieren, wo die Märkte sind.

Drei Wachstumsfelder für die Zukunft

Dass Voith Fehler gemacht hat in einer Zeit, in der man sich schwerwiegende Fehler eigentlich nicht erlauben darf, weiß Dirk Hoke. „Der Wettbewerb in der Welt hat sich verändert, China war einmal die verlängerte Werkbank, jetzt ist das Land die Innovationsschmiede bei KI und bei vielen anderen Themen führend. Wir müssen die Ärmel hochkrempeln und härter arbeiten“, sagt er. Deutschland habe die Warnzeichen lange, viel zu lange ignoriert, jetzt gebe es keine Möglichkeit mehr, sich weg zu ducken. „Die Industrie wandert ab, Traditionskonzerne bauen Werke im Ausland und in den vergangenen Monaten sind Zehntausende Industriearbeitsplätze verloren gegangen, die nicht wiederkehren werden.“

Zu spät sei es noch nicht, das Potential sei immer noch da, dass sich die deutsche Industrie auf vielen Feldern die Marktführerschaft zurückholen kann, wenn endlich gehandelt werde. Und auch die Politik habe sehr genau verstanden, was die Unternehmen brauchten. „Aber die Frage ist, wie schnell kann die Regierung, die nicht überall immer beschlussfähig ist, die Themen umsetzen? Das, was versäumt wird, kann nicht in zwei, drei Jahren geändert werden“, sagt der Voith-Chef mit Blick auf Energiepreise, Bürokratie und Arbeitskosten. Doch es helfe nichts, nur auf die Politik zu verweisen, den großen Teil der Hausaufgabe müssten die Unternehmen schon selbst erledigen.

Dafür hat Dirk Hoke mit seinem Team für Voith drei Wachstumsfelder für neue Investitionen identifiziert: die industrielle Wasseraufbereitung, das Recycling und die Wärme-Rückgewinnung – Bereiche, in denen das Unternehmen die Erfahrungen der drei großen Geschäftsbereiche nutzen kann. Voith baut Papiermaschinen, die große Recycling-Anlagen für Altpapier benötigen. Diese Kenntnisse können für das Plastik-Recycling nützlich sein. Zudem stellt das Unternehmen Komponenten für Wasserkraftwerke und Antriebstechnik her, was dem Unternehmen den Einstieg in die Wasseraufbereitung und in Technologien zur Nutzung von industrieller Abwärme erleichtern soll. Langfristig trennen will sich Voith dagegen von der Sparte für Antriebe für Lastwagen, Busse und Spezialfahrzeuge wie Minen-Kipper, die das Unternehmen im November ausgegliedert hat und die zum Verkauf steht.

„Für einen Betrieb in dieser Größe zu fett“

Die Arbeitnehmerseite teilt die Auffassung des Voith-Chefs, dass sich das Unternehmen in „schwierigen Fahrwassern“ befindet, wie Tobias Bucher, der Erste Bevollmächtigte der IG Metall Heidenheim die Situation im Gespräch mit der F.A.Z. beschreibt. Die Papier-Sparte sei nicht ausgelastet, die Ergebnisse der Antriebssparte so „heterogen“ wie die Geschäftsfelder, während die Sparte Wasserkraft zwar einen historisch hohen Auftragsbestand aufweise, bei der Projektsteuerung aber Probleme habe.

Ohne Frage gebe es ein Kostenproblem. „Voith bleibt mit seinen Ergebnissen unter den Erwartungen und unterm Benchmark“, erläutert Bucher. „Man hat sich geleistet, Führungsstrukturen aufzubauen, die für einen Betrieb in dieser Größe zu fett sind.“ Dass Voith wachsen muss, steht für die IG Metall außer Frage. „Ich habe nichts gegen einen Aufbau im Ausland, solange die angestammten Arbeitsplätze an den deutschen Standorten nicht abgebaut werden.“ Für den Erfolg ist nach Ansicht des Gewerkschaftsfunktionärs allerdings etwas anderes entscheidend. „Für mich ist klar, dass Voith wieder Innovationen vorantreiben und ein Alleinstellungsmerkmal als Technologieführer erlangen muss“, sagt Bucher. „Das ist dem Konzern in den vergangenen Jahren leider nicht gut gelungen. Nur dann akzeptieren Kunden auch den im Vergleich zum Wettbewerber höheren Preis.“

Im Hinblick auf die wirtschaftliche Lage und die Möglichkeit einer Weiterbeschäftigung in der Region hält Bucher den Plan „für sehr ambitioniert“, dass Voith die Stellen ohne betriebsbedingte Kündigungen abbauen will, weil die vor allem für Heidenheim geltende Beschäftigungssicherung betriebsbedingte Kündigungen bis März 2028 ausschließt. „Die Mitarbeiter haben dafür große Einschnitte hingenommen, was dem Unternehmen über mehr als fünf Jahre große Ersparnisse gebracht hat“, sagt Bucher. „Bevor es zu Trennungen von Beschäftigten kommt, erwarten wir, dass alle gesetzlichen und tariflichen Instrumente angewandt werden, um Beschäftigung zu sichern.“

Der Gewerkschafter wendet sich in seinem Plädoyer auch an die Nachfahren des Mannes, an dessen Büste Dirk Hoke am Montag in der Villa Eisenhof vorbeigegangen ist. Noch immer halten die Nachfahren von Friedrich Voith alle Anteile an dem Maschinenbauunternehmen. „Ich bin guter Hoffnung, dass die Inhaberfamilien in diesen Zeiten an den Voith-Werten festhalten werden und dem Unternehmen die Zeit geben, mit allen durch die Krise zu gehen“, sagt Bucher. „Die Sicherung der Beschäftigten und damit die Sicherstellung, langfristig das Wissen im Unternehmen zu halten, sollte Priorität vor einem kurzfristigen Turnaround haben.“ Ein Turnaround, der nach Ansicht von Hoke und Bucher die nächsten 160 Jahren von Voith einleiten soll.

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