In der Reihe „Die Pflichtverteidigung“ ergreifen wir das Wort für Personen, Tiere, Dinge oder Gewohnheiten, die von vielen kritisiert und abgelehnt werden. Dieser Artikel ist Teil von ZEIT am Wochenende, Ausgabe 38/2024.
Was haben das jeweilige literarische
Schaffen von Benjamin von Stuckrad-Barre und Donald Trump gemein? Die
gelegentliche bis ausschließliche Verwendung von GROSSBUCHSTABEN. Wobei das
Wort GROSSBUCHSTABEN – großgeschrieben – empfindsame Leserinnen und Leser
gleich STÖRT, also ÄSTHETISCH, denn das scharfe S aus der NORMALRECHTSCHREIBUNG,
WIE WIR SIE MAL GELERNT HABEN, DEUTSCH, wird in GROSSBUCHSTABEN ja zu einem
Doppel-S. Vor dem inneren Ohr (NICHT DEM INNENOHR!) klingt das vorgelesen gleich
SEHR IRRITIEREND. Das Wort groß muss doch ein langes O haben, sonst denkt man
an GROSSISTEN oder so etwas mit kurzem O. Aber zum Glück kann Donald Trump, obwohl ja MIT DEUTSCHEN VORFAHREN GESEGNET, kein Deutsch. At least as
far as we know.
Trump jedenfalls teilt sich
auf seinem persönlichen sozialen Netzwerk TRUTH SOCIAL fast nur in
GROSSBUCHSTABEN mit. Da schreibt er zum Beispiel, dass er TAYLOR SWIFT HASST,
was eine maximal unfreundliche Sache ist, aber bei Trump halt auch einfach
POLITISCHE TAKTIK, denn die besteht ja im Grunde nur daraus, LEUTE ZU
BELEIDIGEN. Das ist in Großbuchstaben eindeutig verständlicher als
kleingeschrieben.
In Stuckrad-Barres aktuellem
Roman NOCH WACH (auf dem Cover auch GROSSGESCHRIEBEN) wiederum werden
auch SEHR VIELE WÖRTER großgeschrieben. Das ist, so verstehen wir das, keine
Hommage an DIE ZEITUNG MIT DEN GROSSEN BUCHSTABEN, um die es in dem Roman JA
GAR NICHT GEHT, zwinker-zwinker, sondern eine Sache der Betonung: Liest man
sich selbst Großgeschriebenes laut vor, tut man das automatisch auch LAUT. Beziehungsweise:
MAN HEBT DIE STIMME AN. Das ist so gelernt. Im Alltagsleben und also außerhalb
der SCHRIFTSPRACHE kennt man das Phänomen des Stimme-Anhebens von Leuten in Menschenschlangen,
die hinter einem stehen und gerne ZU LAUT MITTEILEN, dass die Wartezeit JETZT SCHON SEHR LANG IST, was
die Wartezeit und die Menschenschlange selbstverständlich nicht verkürzt,
sondern beides nur noch länger wirken lässt. Schlimmstenfalls animiert es DIE
KASSIERERIN oder DEN SACHBEARBEITER oder DIE THEKENKRAFT, die oder der DEN STAU
HIER GERADE VERURSACHEN, leider NOCH LANGSAMER ZU ARBEITEN. Damit wirklich alle in der
Schlange es spüren, dieses KRIBBELN, wenn etwas ECHT NICHT VORANGEHT.
Sollte der persönliche
Eindruck nicht täuschen, UND WARUM SOLLTE ER DAS, benutzen seit dem Erscheinen
und Verkaufserfolg des Buchs NOCH WACH zunehmend Menschen im Deutschen auch
in persönlicher schriftlicher Kommunikation GROSSBUCHSTABEN. Sie tun es
manchmal IRONISCH, aber leider meinen sie es auch manchmal ERNST. Dann weiß
man, dass man sich wirklich langsam beeilen sollte mit dem, WAS DIE ANDERE
PERSON GERADE VON EINEM WILL. Dass die GROSSBUCHSTABEN einen beim Lesen dann aber doch ein bisschen AN DONALD TRUMP ERINNERN, schlimmer noch: AN SEINE
STIMME, das ist allerdings etwas VERSTÖREND. Man sagt es den
GROSSSCHREIBENDEN FREUNDEN ODER KOLLEGINNEN jedoch nicht. Denn man ist im
Gegensatz zu ihnen selbstverständlich HÖFLICH. Und LEISE.
Leise, wie es übrigens auch Lyrik offenbar sein soll, so jedenfalls verstehen wir auch das: Gedichte werden ja seit circa Ende
der klassischen Moderne von vielen Autorinnen und Autoren KOMPLETT
KLEINGESCHRIEBEN, was aber auch wieder SEHR IRRITIEREND ist, denn Gedichte sollen ja
nicht nur GEFLÜSTERT WERDEN. In der GUTEN ALTEN ZEIT jedenfalls wurden sie auch
DEKLAMIERT, von oben HERAB, von Bühnen zum Beispiel, VON RICHTIGEN
SCHAUSPIELERN und nicht bloß so LAIENDARSTELLERN, wie man sie heute aus dem
Netz als sogenannte INFLUENCER kennt.
ABER:
die guten alten zeiten
sind ja immer schon vorbei
sobald man selbst
in die zeit eintritt
und linksradikale terroristen
schrieben in bekennerschreiben
übrigens auch gerne
alles immer klein
Jaja, DAS REIMT SICH JA GAR
NICHT, sagen Sie jetzt und dass das IMMER SCHON DAS PROBLEM DIESER
NEUMODISCHEN LYRIK GEWESEN IST. Aber DAS GROSSSCHREIBEN und das kleinschreiben, DAS
MÜSSEN SIE ZUGEBEN, ist gar kein ORTHOGRAFISCHES BINGO, es ermöglicht auch in
der Schriftsprache das Modulieren des Tons der Sprechenden beziehungsweise da
ja quasi SPRECHEND SCHREIBENDEN. Das Großschreiben würde, würde es denn KONSEQUENT
GENUTZT, nebenbei auch in FAMILIEN-WHATSAPP-GRUPPEN die ständige Verwendung DIESER
SCHLIMMEN EMOJIS REDUZIEREN, von denen es ANDAUERND NEUE GIBT und bei denen man anfänglich meist gar nicht weiß, WAS DIE NUN WIEDER BEDEUTEN SOLLEN. Nicht dass man mit
dem falschen Emoji jemanden BELEIDIGT oder UNGEWOLLT ANMACHT oder MAN EINFACH
NUR DIE FALSCHE BOTSCHAFT AUSSENDET. Das möchte MAN alles nicht, dafür ist man JA auch nicht ERWACHSEN GEWORDEN. Das Versprechen des Erwachsenwerdens, und das
nimmt auch Donald Trump BESTIMMT FÜR SICH IN ANSPRUCH, bestand doch einmal
darin, KEINE NEUEN DINGE MEHR LERNEN ZU MÜSSEN.
So.
In der Zeit, in der Sie
diesen Text gelesen oder eher entziffert haben, hat Donald Trump auf Truth
Social bestimmt schon wieder zehn neue Beleidigungen gegen Menschen,
Minderheiten oder Nationalitäten in Großbuchstaben ausgesprochen
beziehungsweise aufgeschrieben. Aber das Geheimnis des Lebens, das wissen wir
doch alle, besteht im Wesentlichen darin, den Richtigen zuzuhören und sich bei
den anderen Richtigen, nämlich den wahrhaft Falschen, die Ohren zuzuhalten. Und
einfach nichts zu sagen.
DAS WAR JETZT ABER KEINE
WAHLEMPFEHLUNG WIE DIE VON TAYLOR SWIFT, WEGEN DER DONALD TRUMP HERUMSCHREIT, OKAY? JA, GENAU, DAS KANN MAN GAR
NICHT LAUT GENUG SAGEN, NICHT DASS TRUMP DAS MITBEKOMMT UND WAS FALSCHES
VON EINEM DENKT UND EINEN DANN ANSCHREIT, UND DANN IST ALLES VORBEI, DANN BRÜLLT EINEN DER GANZE MAGA-MOB AUS DEM NETZ AN, DAS IST KEIN SPASS. SPASS, DAS HABEN JETZT HOFFENTLICH ALLE GELERNT,
WIR MACHEN DAS JA HIER EBEN NICHT ZUM SPASS: mit falschem doppelten S. Aber in
richtigen Großbuchstaben.