Schon Konstantin Weckers Lieder offenbaren ein misogynes Frauenbild

Es ist doch alles lustig gemeint, man muss das ja nicht so ernst nehmen. Zeilen wie „Mein Mädchen ist ein Model/ ein verkanntes/ Sie wissen schon, so was Extravagantes/ ein Veilchentyp mit blaubelatzten Hosen/ mit einem Basset-Hund und Ich-bin-neckisch-Posen“ sind nichts anderes als ein ironisches Spiel mit der altbekannten Lolita-Trope.

Das Problem ist nur: Kommen über Verfasser solcher Texte neue Informationen ans Licht, beispielsweise über intime Verhältnisse mit minderjährigen Mädchen, liest man diese plötzlich ganz anders. Und so fragt man sich bei diesen Lyrics von „Der Model-Blues“, gerade wenn es heißt, „Nur manchmal wird mir etwas schwummrig/wenn sie bei mir ist, und das Licht ist schummrig/Dann setzt sie sich kokett auf meine Beine“, warum die Zeilen bisher als witzig, intelligent, vor allem aber: als harmlos angesehen wurden.

Es ist nicht der einzige Songtext, der verstört. „Ihr habt sie einfach nicht gesehn/ wenn sie so zum Vergehen schön/ mit diesem leichten hohen Gang/ betörend ihre Tasche schwang/ Noch Kind“, heißt es in „Ich liebe diese Hure“, und im selben Lied: „In ihren Nächten ist sie Leib/ Urhöhle, Schlamm und Lüsternheit/ Zwar elfenhaft, doch ungeniert/ werden die Freier ausgeschmiert.“ Ein anderes Stück trägt den Titel „Ich habe deinen Körper ausgebeutet“. Sie alle sind verfasst vom Feministen Konstantin Wecker.

Manipulation einer Minderjährigen

Am 19. November deckte die Süddeutsche Zeitung auf, dass der heute 78-jährige Münchner Liedmacher vor 15 Jahren eine „Beziehung“ mit einer zu dem Zeitpunkt 15-Jährigen einging. Anderthalb Jahre waren Wecker und Johanna, wie sie in dem Artikel genannt wird, „zusammen“. Sex hatten sie zum ersten Mal, als Johanna 16 war, juristisch kann er also nicht belangt werden.

Das Machtgefälle ist trotzdem eklatant. Nicht nur wegen des Alters – der Unterschied beträgt fast 50 Jahre, Wecker könnte ihr Großvater sein –, sondern auch wegen der großen Diskrepanz ihrer gesellschaftlichen Positionen: sie, die Neunt-, später Zehntklässlerin, er, der prominente, einflussreiche Musiker. Im Artikel der SZ heißt es, Johanna habe bereits als kleines Kind Weckers Musik auf Kassette gehört. Ihr Trauma wegen dieser „Verbindung“ hält bis heute an, rezidivierende depressive Störung lautet die Diagnose. Wecker gesteht gegenüber der SZ via Anwalt und drückt sein „tiefstes Bedauern“ aus.

Diese Geschichte von Wecker, seinem Grooming und seiner Manipulation einer Minderjährigen, ist auch die Geschichte eines gefallenen linken Helden. Das bisher geltende Image des Liedermachers ist das eines selbsterklärten Anarchisten, Pazifisten, eines Freigeists, eines Feministen, Antifaschisten sowieso.

Im Laufe seiner jahrzehntelangen Karriere hat sich Wecker immer wieder politisch positioniert. Zuletzt rief er bei der Bundestagswahl Anfang des Jahres zur Wahl der Linken auf. Seine „Willy“-Balladen, die er seit den 1970er-Jahren in mehreren Versionen neu aufnahm, thematisieren unter anderem die Ermordung von Antonio Amadeu 1990 in Eberswalde und gedachten der Opfer des rechtsterroristischen Anschlags in Hanau. Wecker gehört zu den wenigen altlinken Koryphäen, die im Alter nicht konservativ oder gar rechts geworden, sondern ihrer Linie treu geblieben sind.

Konstantin Wecker galt als Mann mit Makeln

Einem solchen standhaften Mann lässt man so einiges durchgehen. Eskapaden, die langjährige Alkohol- und Drogensucht, die Tatsache, dass er in jungen Jahren wegen eines Einbruchdiebstahls in Haft saß, machen aus ihm einen Lebemann mit Ecken und Kanten. Kein tugendhafter, selbstgerechter Mensch, kein messianischer Linker, der sich selbst für unfehlbar hält, sondern einer mit Makeln. Inwiefern ändern die neuen Erkenntnisse über Wecker rückblickend die Bewertung seines Charakters und somit all seiner Überzeugungen?

Verschiebt man den Fokus von der politischen Persona auf die private, wirkt es aus heutiger Sicht maximal unangenehm, dass Konstantin Wecker Anfang 1996 eine Ehe mit der 27 Jahre jüngeren Annik Berlin einging, die damals 21 war. Dieser große Altersunterschied wird durch die lange Zeit, die das Paar schon zusammen ist, auf gewisse Weise nivelliert. Es klingt nicht mehr so heikel, denn siehe da, es war wirklich Liebe, die Zeit beweist’s. Doch jetzt kristallisiert sich bei Wecker ein Muster heraus. Wie auch Johanna hatte er Berlin auf einem seiner Konzerte kennengelernt.

„Ach, was muß man heute alles wissen müssen/um auch sexuell korrekt zu sein?“, klagt er 1994 in „Sexual Correctness“, „Fühlen Sie sich sexuell belästigt/ wenn Sie jemand so wie ich verehrt?“ und: „Es verschwimmt die klare Überlegung/ wenn man sich wie ich verzehrt/ und bei Ihnen ist mir die Erregung/ schon fast jede Strafe wert.“ Im „Lauscher hinterm Baum“ geht es um genau das: „Wenn die Mädchen kurzberockt sind und zum Blumenpflücken gehen/kann man ihre weißen Schenkelchen beim Niederbücken sehn/ muß man hinter Bäumen, hinter dickem Buschwerk stehn/ ach, ich weiß da Plätze! Sehr verborgen. Sehr bequem.“

Wenige Zeilen später stehen viele alte Männer hinter Bäumen mit ihren Händen „ganz nah an dem Ding“. Letzteres veröffentlichte Wecker erstmals 1973 auf „Die sadopoetischen Gesänge des Konstantin Amadeus Wecker“, in weiteren Liedern auf dieser Platte geht es um Nekrophilie, „Fischgestank“ von „fetten Weibern“ und um Sex mit einer Frau, die „wehrte sich einmal sogar mit Gewalt“.

Nebst seinen politischen Texten waren die frauenverachtenden Zeilen schon immer da. Es handelt sich dabei nicht um eine einzelne ungeschickte Formulierung in einem alten Lied, sondern um zahlreiche Songs, die eindeutige Hinweise auf das Frauenbild Weckers geben. Vielleicht ist die Frage um eine Neubewertung von Wecker auch die falsche, vielleicht muss man das Spotlight umdrehen: Hatte man, hatten Linke diesem Mann einfach zu viel durchgehen lassen, weil er als linkspolitischer Held gilt?

Auch Feministen können Frauenverachter sein

Ein Blick in die Geschichte zeigt, dass feministische, progressive, queere Männer vor derartigen Anschuldigungen oft gefeit sind. Während die Anschuldigung gegen Till Lindemann, er habe in der sogenannten Row Zero und im Backstagebereich seine Macht gegenüber jungen Frauen massiv ausgenutzt (die Staatsanwaltschaft stellte die Ermittlungen gegen den Rammstein-Sänger ein), für viele nicht überraschend kam, tut man sich, geht es um die eigenen Reihen, schwerer. Immerhin ist Wecker doch einer von den Guten, oder nicht?

David Bowie soll in den 1970ern Sex mit 13-, 14-jährigen Groupies gehabt haben, wie viele Pop- und Rockmusiker jener Zeit. Während Roman Polanski wegen des gleichen Vergehens von großen Teilen der Gesellschaft heutzutage zu Recht geächtet wird, ist Bowies Image so gut wie gar nicht angekratzt. Wer sich als Kämpfer gegen das Patriarchat erklärt, kann sich unter diesem Deckmantel erstaunlich misogyn verhalten, viele Linke kennen das auch aus eigenen Gruppen und Initiativen.

Frauenrechte zu verteidigen, macht bis zu einem gewissen Punkt unangreifbar; in dieser patriarchalen Welt sind feministische Männer Hoffnungsträger, eine Hoffnung, die man nicht zerstören will. Aber natürlich sind auch linke Männer Teil der Rape Culture. Das fängt im Kleinen an, wenn beispielsweise rechte Frauen für ihr Aussehen beschämt werden, geht weiter bei „witzigen“ Liedern, wie Wecker sie schreibt, und macht teilweise nicht einmal beim Grooming von Minderjährigen halt.

Gerade deshalb ist es wichtig, jetzt bei Konstantin Wecker genau hinzuschauen. Auch wenn er sich öffentlich als Frauenversteher inszeniert, zeigt er in der Art, wie er mit Johanna umgegangen sein soll – sie betrunken am Telefon anschreien, sie zum Schweigen zu verpflichten, die Wortwahl in seinen SMS – sein wahres Gesicht. Es gibt aus dieser Causa durchaus ein Learning, nämlich dass sich als Feminist gerieren und Frauen zu verachten durchaus Hand in Hand gehen können und man das frühzeitig erkennt, wenn man den Männern genauer zuhört. Wecker hat uns in seinen Liedern zu verstehen gegeben, was er von Frauen hält. Die hier zitierten Texte sind keine eloquenten Scherze eines Lausbubs, sondern offenbaren ein verstörendes Frauenbild. Vielleicht sollten wir Männern Glauben schenken, wenn sie uns in ihrer Kunst erzählen, wer sie sind.

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