Scholz, Habeck und Lindner strampeln um den nächsten Etat: Das Finale jener Koalition

Sie verhandeln, sie verhandeln nicht, sie verhandeln – das Dreigestirn der Koalition versucht in einem quälenden Sitzungsmarathon, sich auf einen Haushaltsentwurf zu einigen. Was vor zehn Jahren im Wesentlichen auf der Ebene der Staatssekretäre geräuschlos abgeräumt wurde, ist zu einer echten Staatsaktion geworden. Der Bundeskanzler, sein Vize und der Finanzminister müssen permanent Termine freischaufeln, um weiter beraten zu können. Wenn Olaf Scholz (SPD), Robert Habeck (Grüne) und Christian Lindner (FDP) zusammenkommen, geht es längst um mehr als die Einnahmen und Ausgaben des Bundes für das nächste Jahr. Der Anspruch muss vielmehr sein, die kränkelnde Wirtschaft und damit die mehr als angeschlagene Koalition zu stabilisieren.

Wie schon vor einem halben Jahr, als das Bundesverfassungsgericht mit einer Art Blutgrätsche den zweiten Nachtragshaushalt 2021 abräumte und damit die Reserven aus alten Notlagenkrediten, auf die SPD, Grüne und FDP ihre Finanzplanung aufgebaut hatten, geht es somit in Hörweite der Fußball-Fanmeile zwischen Siegessäule und Brandenburger Tor um die Zukunft des Bündnisses. Nicht dass ein plötzliches Ende zu erwarten wäre. Es geht vielmehr um das Arbeitsprogramm für die verbleibenden Monate, um eine Aktualisierung des Koalitionsvertrags. Bei allen inhaltlichen Divergenzen – eines funktioniert wie im Frühling des Bündnisses: Die Partner haben sich zu Verschwiegenheit verpflichtet und halten sich eisern daran.

Bis nächsten Montag verhandelt das Spitzentrio erst einmal nicht – zumindest nicht in physischer Präsenz, da der Wirtschaftsminister am Mittwoch zu seiner fünftägigen Dienstreise nach Fernost aufgebrochen ist. In Südkorea und China kann er zwar zwischen den Terminen mit Berlin telefonieren, aber der Durchbruch ist in dieser Zeit nicht zu erwarten. Anfang der Woche sagte Lindner mit Blick auf die Treffen mit Scholz und Habeck: „Vor dem gestrigen Tag gab es zehn oder mehr Gespräche. Nach dem gestrigen Tag wird es zehn oder mehr Gespräche geben.“ Mit der fünftägigen Unterbrechung dürfte es schwer werden, den 3. Juli für den Kabinettsbeschluss einzuhalten.

„Intensiv bei der Arbeit“

Am Mittwoch sprach Lindner im Deutschlandfunk über das Geschehen und Gefeilsche. „Wir sind intensiv bei der Arbeit“, berichtete er. „Entscheidend ist eine gute Lösung, eine zukunftsweisende und keine schnelle.“ Man habe es mit außergewöhnlichen Beratungen zu tun, da es nicht nur um den Haushalt gehe, sondern auch um eine Wirtschaftswende. „Wir können ja nicht zufrieden sein mit der Wettbewerbsfähigkeit und dem Wachstum unserer Volkswirtschaft“, betonte der FDP-Politiker. Deshalb brauche es Maßnahmen am Arbeitsmarkt, bei der Bürokratie, in der Energiepolitik, in der Infrastruktur und auch im Steuerrecht. „Das erfordert intensive Beratungen.“

Die Haushaltsverhandlungen sind besonders kräftezehrend, weil die Reserven so gut wie aufgezehrt sind, die Zeit der Niedrigzinsen vorbei ist und zusätzliche Steuereinnahmen nicht in Sicht sind. Nach der Überwindung der Pandemie und der Energiekrise infolge des russischen Angriffs auf die Ukraine stehen auch keine Extrakredite zur Verfügung. Anders als SPD und Grüne sieht die FDP keinen Raum für ein abermaliges Aussetzen der Schuldenbremse – auch nicht wegen sicherheitspolitischer Erfordernisse.

Das sei keine neue Notlage, sondern neue Normalität, argumentieren die Liberalen. Lindner widersprach auch der Einschätzung, dass er überzogen bremst. „In Deutschland wird nicht gespart.“ Der Anteil der Staatsausgaben an der Wirtschaftsleistung betrage mehr als 48 Prozent. Die Staatsquote liege damit über dem Vor-Corona-Wert von 45 Prozent. Höhere Verteidigungsausgaben hält er gleichwohl für geboten. „Aber klar ist, wir müssen an die Dynamik der Steigerung im Sozialen heran.“

Nach einer Übersicht aus seinem Haus steigen die eingeplanten Sozialleistungen dieses Jahr um 12,7 Milliarden Euro gegenüber 2022 – und wachsen weiter. Nach dem Finanzplan vom Sommer 2023, auf den Lindner die Kabinettskollegen einschwören wollte, worauf sich aber fünf Minister nicht einließen, beträgt das Plus nächstes Jahr schon 14,6 Milliarden Euro. Da sich die Zahl der Leistungsbezieher höher als gedacht entwickelte, musste Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) im November „eine überplanmäßige Ausgabe“ von bis zu 2,1 Milliarden Euro beantragen.

Wer im Wahljahr unangenehme Überraschungen vermeiden will, tut also gut daran, im Haushalt mit realistischen Prognosen zu arbeiten. Die SPD schließt Abstriche bei den Sozialleistungen aus, nicht aber zwei Sperrmonate für Leistungsbezieher, die ihr Bürgergeld mit Schwarzarbeit aufbessern. Das wäre ein politsches Zeichen. Doch dass damit ein signifikanter Betrag eingespart werden kann, ist schwer zu glauben.

Regierungssprecher Steffen Hebestreit schließt eine Verschiebung des Kabinettsbeschlusses um „ein oder zwei Tage“ nicht mehr aus. Scholz gehe aber fest davon aus, dass er „mit einem verabschiedeten Regierungsentwurf in seiner Aktentasche nach Washington“ zum Nato-Gipfel vom 9. bis zum 11. Juli reisen werde, sagte er zu Beginn dieser Woche. Bis kurz vor dem Kabinettstermin gibt es gewiss noch so einige Verhandlungsrunden im Dreierkreis – und wenn sich diese im Kreis drehen, kann es bis zum Finale auch noch länger dauern.

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