Schmutziges Geld | Kohle, Gas, Karriere: Diese 9 Spitzenpolitiker nach sich ziehen zu enge Verbindungen zur Fossil-Lobby

Bundeswirtschaftsministerin Katherina Reiche (CDU) arbeitet daran, möglichst viele der klimapolitischen Vorhaben, die ihr bündnisgrüner Vorgänger Robert Habeck auf den Weg brachte, zurückzudrehen. Sie lässt sich von einem Aachener Beratungsunternehmen ein Gutachten zum „Stand der Energiewende“ ausarbeiten und beruft sich dann in ihren Entscheidungen darauf. Die Deutsche Umwelthilfe (DUH) wirft der Ministerin vor, auf diesem Wege den Klimaschutz ausbremsen zu wollen. Der Auftrag an die Gutachter sei eindeutig: Sie sollten den Bedarf an erneuerbaren Energien „de facto kleinrechnen“.

Tatsächlich arbeiten Lobbyisten viel mit Gutachten. Eines aus jener Zeit, als Reiche noch Staatssekretärin im Bundesumweltministerium war, kam zu dem Schluss: Ohne eine Verlängerung der Atomlaufzeiten bricht der Wirtschaftsstandort Deutschland zusammen. Die deutsche Regierung verlängerte 2010 also die Laufzeiten bis ins Jahr 2035. Wenige Wochen später passierte der GAU von Fukushima. Jetzt schaltete die Regierung die acht ältesten deutschen AKWs ab – ohne dass der Standort wackelte. Es gibt noch viele weitere Beispiele dieser Art, die zeigen, wie sich die Fossilwirtschaft mit Erfolg Gehör verschafft in der Politik.

Fangen wir an mit der heutigen SPD-Chefin.

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1. Bärbel Bas (SPD)

Im Jahr 2010 erklärte Bärbel Bas: „Moderne Kohlekraftwerke sind auch für die SPD eine Alternative.“ Kein Wunder: Bas war 2010 gleichzeitig Aufsichtsrätin der Stadtwerke Duisburg. Dieses Stadtwerk gehört zu jenem Konsortium, das sich 2010 den Kohlekonzern STEAG kaufte. Der fünftgrößte deutsche Energiekonzern betrieb seinerzeit zwölf Kohle- und Raffineriegaskraftwerke. Mit dem Segen von Aufsichtsrätin Bas baute die STEAG in Duisburg-Walsum ein neues Steinkohlekraftwerk, das nach dem Willen der Anteilseigner länger als 30 Jahre lang Kohle verstromen und so das Klima weiter aufheizen sollte – also bis in die 2040er Jahre.

Der Kraftwerksbau endete im wirtschaftlichen Fiasko. Allein bis 2013 hatte sein Bau 1,1 Milliarden Euro gekostet – Geld, das bis 2040 refinanziert werden sollte. Blöd nur, dass Nordrhein-Westfalen für 2030 den Kohleausstieg beschlossen hat und Steinkohlekraftwerke, die nach 2026 stillgelegt werden, nach dem Kohleausstiegsgesetz keine Entschädigung mehr erhalten. Hatte Bas das nicht kommen sehen? Oder guckte sie absichtlich weg?

Für Letzteres spricht, dass sie nach ihrem Studium zur Krankenkassenbetriebswirtin als stellvertretende Vorständin der Energie-Betriebskrankenkasse arbeitete. Ein Interessenkonflikt? Greenpeace jedenfalls bezeichnete Bas 2013 im Schwarzbuch Kohle als Kohlelobbyistin.

Und andere Fälle sind sogar noch eindeutiger als dieser.

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2. Joachim Pfeiffer (CDU)

Zum Beispiel der von Joachim Pfeiffer (CDU). Wie kaum ein anderer prägte der Betriebswirt aus dem schwäbischen Waiblingen die Klimapolitik der Union, zuletzt bis 2021 als wirtschafts- und energiepolitischer Sprecher im Bundestag. Pfeiffer nannte Klimaschutz „Ersatzreligion“, die Debatte über die Erderhitzung „alarmistisch“, die Photovoltaikbranche bezeichnete er als „Solarmafia“, Klimaschützer wie die Deutsche Umwelthilfe als „semi-kriminelle Vereinigung“. Die Umsetzung der EU-Richtlinie zum Kyoto-Protokoll war für ihn eine „gezielte Deindustrialisierung Deutschlands“, deutsche Technologie zur Kohleverstromung hingegen könne „helfen, das Klima zu schützen“.

Wer sich über solche Sätze wundert, muss wissen, dass Pfeiffer langjähriges Mitglied im Beirat der Hitachi Power Europe GmbH war. Der japanische Kraftwerkskonzern verkaufte unter anderem der STEAG den Kessel und die Dampfturbine für jenes neue Kohlekraftwerk in Duisburg-Walsum, das Bärbel Bas befürwortete. Pfeiffer war bis Ende 2014 auch Mitglied im Aufsichtsrat des Kraftwerk-Dienstleisters Kofler Energies Power AG und verdiente dort bis zu 30.000 Euro jährlich hinzu. Zudem war er bis Ende 2020 Mitglied im Aufsichtsrat eines kanadischen Ölmultis.

Heute arbeitet Pfeiffer bei der Lobby-Agentur Kekst, zu deren Kunden Thyssengas, der Fossilkonzern BP oder der Netzbetreiber Amprion gehören. Neben seinem vorzüglichen Netz in die Politik hat Pfeiffer auch weiterhin Zugang zur Energiepolitik: Er ist stellvertretender Vorsitzender des Beirats der Bundesnetzagentur.

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3. Ulrich Freese (SPD)

Dass auf Klimakonferenzen viele Abgesandte der Brennstofflobby herumlaufen, ist bekannt. 2022 in Ägypten waren mehr Lobbyisten aus der fossilen Industrie unterwegs als Vertreter der zehn Länder, die am stärksten vom Klimawandel betroffen sind – das hat das NGO-Netzwerk Kick Big Polluters Out ermittelt. 636 an der Zahl. Ein Jahr später vervierfachte sich deren Anzahl auf der COP28 in Dubai noch mal. Das ist ein Problem – klar. Aber was ist, wenn Politiker selbst zu Interessenvertretern der Öl-, Gas- und Kohlebranche werden? Wie kann in diesem Fall noch effektiver Klimaschutz durchgesetzt werden?

Ein Ausstieg aus der Braunkohle habe für das Klima dieselbe Wirkung, „wie wenn in China ein Sack Reis umfällt“, erklärte beispielsweise der Bundestagsabgeordnete Ulrich Freese (SPD), der bis 2021 Mitglied im Ausschuss für Wirtschaft und Energie Politik machte. Gleichzeitig war er bezahlter Aufsichtsrat bei der Vattenfall Europe AG, der Vattenfall Europe Mining AG und der Vattenfall Europe Generation AG.

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4. Thomas Bareiß (CDU)

Ohne Erdgas sei die Energieversorgung „nicht denkbar“, erklärte auch CDU-Politiker Thomas Bareiß 2019 in einer Publikation des Lobbyverbands „Zukunft Gas“. In diesem bündeln Energiekonzerne wie Shell, Total oder Wintershall Dea ihre Interessen. Bareiß saß bis zu seiner Berufung als Staatssekretär 2018 dort im Beirat. Zudem war er bis 2021 Vorsitzender des „Beirats Energie“ der Lobbyorganisation „Gesellschaft zum Studium strukturpolitischer Fragen“, in dem die Gas- und Braunkohle-Industrie sitzt.

Heute ist er Mitglied im Haushaltsausschuss sowie stellvertretendes Mitglied im Ausschuss für Wirtschaft und Energie. Greenpeace kommt im Schwarzbuch Klimabremser zu dem Schluss, Bareiß’ politisches Wirken seit 2005 habe „maßgeblich dafür gesorgt, dass die erneuerbaren Energien ausgebremst werden und die Bundesregierung ihre Klimaziele verpasst“.

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5. Lars Rohwer (CDU)

Oder Lars Rohwer: Der sächsische CDU-Abgeordnete sitzt im Aufsichtsrat der Lausitz Energie Bergbau AG und verdient dort jährlich etwa 10.000 Euro. Auch Rohwer sitzt im Bundestagsausschuss für Wirtschaft und Energie. Im Bundestag sagte er: „Die aktuellen Pläne zum massiven Ausbau von Windkraftanlagen und Photovoltaik machen unsere Netze kaputt.“

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6. Hildegard Müller (CDU)

Die fossile Lobby schafft es sogar, Leute von ganz oben auf ihre Seite zu ziehen. Prominentes Beispiel: Hildegard Müller (CDU). 2008, mitten in der Legislatur, wechselte die Staatsministerin im Bundeskanzleramt und Vertraute von Angela Merkel an die Spitze des Lobbyverbands der Energiewirtschaft. Dort kreierte sie unter anderem die Kampagne „Energie ist nicht schwarz-weiß“, um ein gesellschaftliches Klima zur Laufzeitverlängerung der Atomkraftwerke zu schaffen. Seit 2020 ist sie Präsidentin des Verbands der Automobilindustrie (VDA). Dafür erhält sie ein Jahressalär von einer Million Euro – mehr als doppelt so viel wie einst die Kanzlerin.

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7. Katherina Reiche (CDU)

Bundeswirtschaftsministerin Katherina Reiche ging einen ähnlichen Weg: Die Brandenburgerin hat von 2009 bis 2015 als parlamentarische Staatssekretärin die Klimapolitik entscheidend mitgeprägt. Im Bundestag erklärte sie 2009 zu den europäischen Klimaschutzzielen im Verkehr: „Brüssel hat die Hersteller von Kleinwagen ganz klar bevorteilt. Die deutschen Hersteller hätten die Hauptlast getragen. Das war nicht Klimapolitik, das war ganz klar Industriepolitik zulasten Deutschlands.“ Auch Reiche wechselte mitten in der Legislatur 2015 in den Lobbyismus und wurde Chefin des Verbands kommunaler Unternehmen (VKU). Damals gab es heftige Debatten, in deren Folge eine Karenzzeit eingeführt wurde: Bevor Ex-Politiker einen Lobbyposten annehmen dürfen, müssen heute erst zwölf Monate ins Land gehen.

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8. Matthias Wissmann (CDU)

Etwas älter ist das Beispiel Matthias Wissmanns (CDU). Im Jahr 2007 wurde der langjährige deutsche Verkehrsminister plötzlich Präsident des VDA. Obwohl er diese in Brüssel selbst mit ausverhandelt hatte, gelang es ihm in seinem neuen Amt, das Inkrafttreten der Kohlendioxidgrenzwerte für Neuwagen in der EU drei Jahre aufzuschieben. Nicht nur das, er konnte sie auch aufweichen: Ab 2015 galt ein Grenzwert von 130 Gramm Kohlendioxid pro Kilometer. Doch für große Autos galt der Grenzwert nicht mehr, wenn ein Autokonzern auch Modelle baut, die weniger als die 130 Gramm ausstoßen.

2012 schrieb Wissmanns Verband die Verordnung, die die Kennzeichnung des Energieverbrauchs eines Neuwagens regelt, einfach selbst. Ursprünglich sollten Käufer durch das Label erkennen können, wie effizient, also weniger klimaschädlich, ein Fahrzeug ist. Ein Albtraum für Daimler, Porsche und BMW: Kleinwagen wären begünstigt und schwere Modelle belastet worden. Wissmann verhinderte das: Über seine Kontakte ins Wirtschaftsministerium wurde ein Label etabliert, das den Verbrauch eines Autos ins Verhältnis zu seinem Gewicht setzt. Dadurch wurden große Autos auf einen Schlag so klimafreundlich wie Kleinwagen.

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9. Eckart von Klaeden (CDU)

Mit den Personen wechseln nicht nur Politprofis auf die andere Seite, sondern auch deren Adressbücher. Wissmann traf sich zwischen 2010 und 2013 – den entscheidenden Jahren für die EU-Abgaspolitik – neunmal mit Kanzlerin Merkel. Weitere zwölfmal traf er andere Regierungsmitglieder. Seine VDA-Kollegen brachten es in dieser Zeit sogar auf insgesamt 59 Treffen mit Regierungsvertretern. Selbst in politisch für die Autobauer „ruhigeren Zeiten“ traf sich die Bundesregierung wesentlich häufiger mit Autolobbyisten als mit Interessenvertretern aus den Bereichen Gesundheits-, Umwelt- oder Verbraucherschutz: zwischen September 2015 und Mai 2017 fast zweieinhalbmal so oft.

Letztes Beispiel: Eckart von Klaeden (CDU) wurde von Kanzlerin Angela Merkel 2009 zum Staatsminister im Bundeskanzleramt befördert. Noch vor Ende der Legislatur, im Mai 2013, wurde bekannt, dass der Staatsminister als Cheflobbyist zu Daimler wechseln würde. „Der Bürger muss den Eindruck haben, ab sofort sitzt Daimler am Kabinettstisch“, meinte der damalige SPD-Fraktionsgeschäftsführer Thomas Oppermann. Bis zum Wechsel landeten laut Bundeskanzleramt „drei interne Vorlagen des Bundeskanzleramts an die Hausleitung zum Sachstand der Regelung der Kohlendioxidemissionen von Pkw“ auf von Klaedens Schreibtisch. Und damit bei Daimler.

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Wie viel Einfluss haben Business-Interessen auf die Politik? Diese Frage ist seit der Übernahme der Regierungsgeschäfte von Schwarz-Rot noch virulenter. Immerhin war Bundeskanzler Friedrich Merz bis 2020 als Blackrock-Lobbyist tätig – und in den USA sitzt gleich ein Milliardär im Weißen Haus.

In unserer mehrteiligen Serie „Regiert uns die Wirtschaft? schauen wir auf die Situation in Deutschland, den Vereinigten Staaten und anderen Teilen der Welt. Was hilft wirklich gegen die „stille Übermacht“ des Lobbyismus?

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