Schwerölbetriebenen Ozean-Riesen drohen Hafen-Verbote, Reeder müssen bereits für ihren CO₂-Ausstoß bezahlen: Die Schifffahrt wartet sehnsüchtig auf grüne Lösungen. Eine Firma in Norwegen geht nun voran – und produziert bald Wasserstoff-Brennstoffzellen in Serie. Unterstützung kommt aus Deutschland.
Tor-Erik Hoftun appelliert an die Fantasie. „Man braucht Vorstellungsvermögen“, sagt der Strategiechef des Wasserstoff-Start-ups Teco 2030, während er durch die leere Halle eines Fabrikgebäudes in Narvik im Norden von Norwegen führt. „Hier wird mal die Produktion sein und ein Reinraum“, sagt der 32-Jährige.
Bis zu 400 Mitarbeiter sollen am Ofotfjord ab 2025 die Zukunft der Schifffahrt verändern. Denn Teco 2030 plant in Narvik eine Gigafactory mit Europas erster Serienproduktion für Wasserstoff-Brennstoffzellen für den Schwerlastbereich – und damit für Frachter, Fähren und Kreuzfahrtschiffe.
FCM 100 heißt das erste Modell der Norweger, das über eine Leistung von 100 Megawatt verfügt, aber kompakt und vielfach koppelbar ist und Anwendungen mit einem Strombedarf im Multimegawattbereich versorgen kann. 500.000 Stunden Entwicklungszeit steckten in dem System, sagt Hoftun.
Die maritime Branche wartet sehnsüchtig auf Lösungen für ein großes Problem. Denn der globale Schiffsverkehr steht für rund drei Prozent der weltweiten CO₂-Emissionen. Und in etlichen Häfen drohen absehbar Einlaufverbote für schwerölbetriebene Ozean-Riesen.
In Europas Gewässern müssen Reeder bereits seit Anfang des Jahres für den CO₂-Ausstoß ihrer Flotte bezahlen. Die Kosten pro Gramm Kohlendioxid steigen künftig mit jedem Jahr. Das erhöht den Druck, in Zukunft weitgehend klimaneutral unterwegs zu sein. Spätestens 2050 soll der globale Schiffstransport CO₂-frei sein, so hat es die verantwortliche International Maritime Organization (IMO) festgelegt.
Die neue Brennstoffzelle aus Norwegen könnte eine entscheidende Rolle spielen. Sie funktioniert über Hunderte einzelne Zellen, die zu sogenannten Stacks gestapelt und verpresst werden. In ihnen entsteht mittels elektrochemischer Reaktion von Wasserstoff mit Sauerstoff Energie. Diese Stacks wiederum verbindet Teco 2030 zu rund 50 Kilogramm schweren Modulen, die sich hintereinanderschalten lassen.
Damit die Fertigung künftig im industriellen Maßstab passieren kann, setzt die 2019 gegründete Firma auf Hilfe aus Deutschland. So kommt das Equipment für die geplante Serienfertigung von Thyssenkrupp. Kabel und Stecker liefern die ostwestfälischen Familienunternehmen Beckhoff und Harting.
Aufträge im Wert von 1,4 Milliarden Euro
Dass sich vor allem Skandinavier um das Thema Brennstoffzelle für Schiffe kümmern, liegt wohl auch daran, dass Norwegen hinter Kanada die zweitlängste Küstenlinie der Welt hat. „Wir starten jetzt in dieser Nische, blicken aber auch noch auf andere Bereiche“, sagt Teco-2030-Gründer und Hauptanteilseigner Tore Enger. Weitere mögliche Einsatzgebiete sind nach Ansicht des 60-Jährigen etwa schwere Lastwagen, aber auch Flugzeuge, Militär und Minenfahrzeuge.
Das Kundeninteresse ist riesig. Projekte im Wert von 1,4 Milliarden Euro umfasst Enger zufolge die aktuelle Auftragspipeline von Teco 2030, für weitere 100 Projekte gebe es zudem unverbindliche Anfragen.
Die Ziele der kleinen Firma sind daher hoch: Zum Start der Serienfertigung im kommenden Jahr sollen zunächst Brennstoffzellen mit einer Leistung von 42 Megawatt gebaut und damit ein paar hundert Millionen Euro Umsatz eingespielt werden. Für 2030 liegen die Zielwerte dann schon bei 3200 Megawatt Leistung und 2,2 Milliarden Euro Umsatz.
Von der Kommune gab es Hilfe für die Ansiedlung nördlich des Polarkreises. Und auch die staatliche Organisation Invest in Norway hat eine millionenschwere Starthilfe für Teco 2030 gegeben. Die Jahreszahl im Firmennamen spielt dabei auf die Dringlichkeit an, die Klimaziele zu erreichen.
Teilweise fehlt es hier aber sogar noch an grundlegenden Dingen. „Die größte Herausforderung ist am Ende die Wasserstoffinfrastruktur an Land“, sagt Enger. Der Antriebsstoff muss schließlich zu den Häfen kommen, wo die Schiffe liegen.
Die kommenden Jahre werden entscheidend dafür sein, ob sich die Brennstoffzelle durchsetzen kann. Denn anders als etwa im Autoverkehr, in dem der Elektroantrieb bereits eine große Rolle einnimmt, ist die Zukunft des Schiffsantriebs offen. Übergangsweise wird das Flüssiggas LNG (Liquefied Natural Gas) genutzt, das den CO₂-Ausstoß um etwa ein Viertel reduziert.
Grünes Methanol als Kraftstoff gilt etwa für die Großreederei Maersk als favorisierter Weg. Am Einsatz von Ammoniak wird geforscht. Noch aber fahren weit über 90 Prozent der Frachtschiffe mit umweltschädlichem Schweröl oder mit dem etwas verträglicheren Marinediesel über die Weltmeere.
Tobias Reidl glaubt an die Zukunft der Brennstoffzelle. Der wissenschaftliche Mitarbeiter am Fraunhofer-Center für Maritime Logistik und Dienstleistungen (CML) am Harburger Binnenhafen baut mit seinem Team gerade einen kompletten Antriebsstrang auf, so wie er auf einem Schiff stehen könnte.
Mit den ersten alltagstauglichen Großanlagen in der Schifffahrt in Deutschland rechnet der Wissenschaftler „Ende dieses Jahrzehnts“. Allerdings wird die Brennstoffzellentechnologie bereits genutzt: in der Marine auf U-Booten. Erste Schritte gibt es zudem in der Kreuzfahrt.
Klage über zu viel Regulierung
„Der Einsatz von grünem Wasserstoff in einem Brennstoffzellenantrieb kann einen nennenswerten Beitrag zur Dekarbonisierung der Schifffahrt leisten“, sagt Reidl. Verfügbarkeit und Kosten für diesen Wasserstoff seien aber wichtige Kriterien für Erfolg oder Misserfolg der Technologie. Als „grün“ wird Wasserstoff bezeichnet, wenn er mit Strom aus erneuerbaren Quellen wie Windkraft und Sonnenenergie erzeugt wird.
Laut dem Institut wird in Deutschland derzeit an etwa 70 Projekten mit Brennstoffzellen für den Schiffsantrieb geforscht, 20 Schiffe sind bereits mit dieser Technik ausgestattet. Nur in Norwegen gibt es noch mehr Projektarbeit. Die aktuell größte Hürde ist das platzsparende Speichern von Wasserstoff an Bord der Schiffe.
„In der internationalen Hochseeschifffahrt spielt die Energiedichte von Kraftstoffen eine entscheidende Rolle“, sagt Peter Müller-Baum, Geschäftsführer des Fachverbands Motoren und Systeme im Verband Deutscher Maschinen- und Anlagenbau (VDMA). Dies sei leicht ersichtlich, wenn man sich die großen Motoren von Containerschiffen mit bis zu 100.000 PS und die mehrwöchigen Reisen vergegenwärtige. „Brennstoffzellen werden schon aufgrund der physikalischen Grenzen nur eine untergeordnete Rolle spielen können“, so Müller-Baum.
Um am Ende erfolgreich zu sein, brauche es jedoch auch Veränderung bei der Regulierung. „Wir dürfen uns bei der Forschung und Anwendung der Wasserstoff-Technologie nicht zu Tode regulieren“, sagt Müller-Baum. Die europäischen Regeln seien oft investitionsfeindlich. „Da sind etwa die USA viel besser als Standort.“
Gerd Hoppe, Chef vom Mittelständler Beckhoff, ist von den Norwegern angetan. „Hier werden die Sachen pragmatisch angegangen“, sagt er am Rande eines Besuchs bei Teco 2030, wo sein Unternehmen Projektpartner ist. „Dieser Mut fehlt in Deutschland. Start-ups wie Teco 2030 hätten daher bei uns kaum eine Chance.“ Teco 2030 sei dabei so wichtig für den Standort: „Die Firma füllt eine leere Industriehalle und gibt der Stadt damit eine neue Bedeutung. Und, zack, hat man Wertschöpfung am Rande der Zivilisation.“
Carsten Dierig ist Wirtschaftsredakteur in Düsseldorf. Er berichtet über Handel und Konsumgüter, Maschinenbau und die Stahlindustrie sowie über Recycling und Mittelstandsunternehmen.
Birger Nicolai ist Wirtschaftskorrespondent in Hamburg. Er berichtet über Schifffahrt, Logistik, den Tankstellen- und Kaffeemarkt sowie Mittelstandsunternehmen.
Source: welt.de