Scharlatane, toxische Chefs und Kriegstreiber: Die peinlichsten Nobelpreisträger

Nobelpreis für Chemie: Otto Hahn

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Zugegeben, ich bin voreingenommen, wahrscheinlich sogar unfair. Denn Otto Hahn war ein ziemlich solider Chemiker und Mensch. 1938 entdeckte er bei einem Experiment die Kernspaltung, wofür er 1944 den Nobelpreis erhielt. Aber: Ich war acht Jahre auf dem Lise-Meitner-Gymnasium. Darum weiß ich natürlich, dass Hahn den Nobelpreis nie allein hätte bekommen dürfen.

Denn der Entdeckung der Kernspaltung ging jahrelange Forschung gemeinsam mit der Physikerin Lise Meitner voraus. Dass sie beim finalen Durchbruch 1938 nicht anwesend war, lag daran, dass sie wenige Monate zuvor als Jüdin aus Nazi-Deutschland geflohen war – mit Hahns Hilfe. Im Exil lieferte jedoch sie – nicht Otto Hahn – die erste theoretische Erklärung dessen, was Hahn im Labor gelungen war.

Dass Otto Hahn, der sich nach 1945 lebenslang für Frieden und nukleare Abrüstung engagierte, den Chemienobelpreis erhalten hat, ist also zugegebenermaßen nicht ganz unverdient. Aber er hätte ihn mit Lise Meitner bekommen müssen – als Team.

Zu Otto Hahns Ehrenrettung: Als er gegen die von Franz Josef Strauß geplante nukleare Aufrüstung der Bundeswehr protestierte, bezeichnete Strauß ihn als „alter Trottel, der die Tränen nicht halten und nachts nicht schlafen kann, wenn er an Hiroshima denkt“. Von Franz Josef Strauß „alter Trottel“ genannt werden: zumindest diese Auszeichnung hat Hahn sich ganz allein verdient.

Nobelpreis für Physiologie oder Medizin: Selman Waksman

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Die meisten werden es schon erlebt haben: Der Chef streicht die Lorbeeren ein für Arbeit, die man selbst gemacht hat. Kann ganz schön nerven. Wahrscheinlich besonders, wenn die Lorbeeren ein Nobelpreis sind.

Albert Schatz ist genau das passiert. 1943 entdeckte der US-amerikanische Doktorand das Molekül Streptomycin. Dabei arbeitet er isoliert von seinen Laborkollegen im Keller, denn er forscht am gefürchteten Tuberkulose-Bakterium. Doch das gefährliche Unterfangen gelingt: Streptomycin ist das erste Antibiotikum, das gegen Tuberkulose wirksam ist.

Ein medizinischer Durchbruch – aber keiner für die Karriere von Albert Schatz. Ein anderer profitiert: Selman Waksman, der Laborchef und Doktorvater von Albert Schatz. Waksman hatte sich geweigert, selbst am Tuberkulose-Bakterium zu arbeiten – zu groß war seine Angst vor Ansteckung. Nach der Entdeckung spielte er jedoch die Rolle seines Doktoranden bei der Entdeckung des Antibiotikums systematisch herunter. 1952 der Skandal: Waksman erhält den Medizinnobelpreis, Albert Schatz wird übergangen.

Für die Anerkennung seiner Leistung kämpft Schatz in mehreren Gerichtsverfahren – und bekommt Recht. Nur den Nobelpreis kann man leider nicht einklagen.

Der „Nobelpreis für Wirtschaftswissenschaften“

Statt über irgendwelche neoliberalen Gewinner dieses „Nobelpreises“ zu „ranten“, muss an dieser Stelle etwas klargestellt werden. Allein die Existenz dieses Preises ist eine Peinlichkeit. Ein echter Nobelpreis ist er nämlich nicht.

Erstens gibt es ihn erst seit 1969, also seit deutlich kürzerer Zeit als die echten Nobelpreise. Zweitens wurde er nicht von Alfred Nobel, sondern von der Schwedischen Nationalbank gestiftet. Und drittens ist er überhaupt kein Nobelpreis, sondern genau genommen der „Alfred-Nobel-Gedächtnispreis für Wirtschaftswissenschaften“. Medial wird er aber häufig als Wirtschaftsnobelpreis dargestellt und konnte so im Windschatten der echten Nobelpreise ein riesiges Prestige aufbauen.

Das ist nicht nur problematisch, weil Alfred Nobel selbst in einem Brief schrieb, dass er „das Kaufmännische (…) von Herzen hasse“. Darüber hinaus verleiht der Preis seinen Trägern ein riesiges Ansehen – und damit Legitimität. Gerade bei Wirtschaftswissenschaftlern, die viel stärker als Naturwissenschaftlerinnen Einfluss auf politische Entscheidungen und gesellschaftliche Debatten nehmen, kann das zum Problem werden. Übrigens wird der Preis zumeist an Mainstream-Ökonomen verliehen, beispielsweise an Milton Friedman. Auch dadurch wird eine heterodoxere Ökonomie marginalisiert.

Nobelpreis für Literatur: Hermann Hesse

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In dieser Kategorie mache ich mir keine Freunde. Und zugegebenermaßen: 95 Prozent der Literatur-Nobelpreisträger habe ich nie gelesen. Wahrscheinlich sind schlimmere Autoren darunter als Hermann Hesse. Überbewertet finde ich ihn trotzdem.

Ja, als ich 16 war, habe ich auch Siddhartha verschlungen. Als Teenager auf Selbstsuche hat mich die Geschichte des titelgebenden Hauptcharakters auf der Suche nach der Erleuchtung komplett abgeholt – so wie unzählige Teenager vor mir. Inzwischen finde ich aber die meisten der „Weisheiten“ aus dem Buch vor allem ziemlich platt.

Darüber hinaus kommt es mir vor, als ob Hesse immer wieder dasselbe Buch geschrieben hat. Narziß und Goldmund, Demian, Siddhartha – die Grundidee bleibt stets: junge Leute ziehen auf der Suche nach sich selbst in die Welt.

Ich glaube, Hermann Hesse ist ein Autor für manche Phasen des Lebens. Früher war ich begeistert, und es ist gut möglich, dass ich das in zehn Jahren wieder so sehen werde. Im Moment aber finde ich ihn ziemlich kitschig.

Nobelpreis für Physik: Enrico Fermi

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Jeder macht mal Fehler – auch Nobelpreisträger. Enrico Fermi ist es aber gelungen, mit seinem Fehler einen Nobelpreis zu gewinnen.

Der Reihe nach: Um 1934 bestrahlt Fermi in Rom die Elemente Thorium und Uran mit Neutronen. Dabei gelingt ihm die Entdeckung zweier neuer Elemente – zumindest glaubt er das. Fermi nennt die Elemente Ausenium und Hesperium.

Das Nobelpreiskomitee zeigt sich bald beeindruckt von der Entdeckung – zu bald. 1938 verleiht die Akademie Fermi den Physiknobelpreis, „für seine Nachweise der Existenz neuer radioaktiver Elemente, die durch Neutronenbestrahlung erzeugt werden.“

Hätten sie nur noch etwas gewartet. Wenige Wochen später stellte sich bei Experimenten von Otto Hahn heraus, dass Fermi nie neue Elemente entdeckt hatte. Was er für Ausenium und Hesperium gehalten hatte, war lediglich ein Mix der bereits bekannten Elemente Krypton und Barium. Den Nobelpreis durfte Fermi trotzdem behalten.

Friedensnobelpreis: Europäische Union

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Die Rubrik „Frieden“ strotzt paradoxerweise vor (nicht immer als solche verurteilten) Kriegsverbrechern: Henry Kissinger, der Bomben auf Vietnam und Kambodscha regnen ließ. Lê Đức Thọ, der im selben Krieg das Massaker von Huế verantwortete. Barack Obama, unter dem der Krieg gegen den Terror hunderte zivile Opfer forderte. Kurioserweise waren auch Adolf Hitler und Josef Stalin für den Friedensnobelpreis nominiert.

Aber diese Männer sind entweder tot oder nicht mehr im Amt. Immer noch mächtig ist allerdings die EU, die den Nobelpreis 2012 erhielt. Begründung: Sie habe „seit mehr als sechs Jahrzehnten zur Förderung von Frieden und Versöhnung, Demokratie und Menschenrechten in Europa beigetragen.“ Gut, in Europa stimmt das. Und an den Außengrenzen?

An der EU-Außengrenze zu Belarus erfrieren 2021 mindestens vier Migranten im Wald. An der marokkanisch-spanischen Grenze sterben 2022 mindestens 23 Migranten beim Versuch, die Grenzmauer zu überqueren – aufgehalten von marokkanischen Grenzpolizisten mit Pfefferspray und Schlagstöcken. Und allein 2023 ertrinken 3.041 Migrantinnen und Migranten im Mittelmeer oder werden vermisst.

All das passiert, all das könnte sofort beendet werden, wenn die EU-Staaten das denn wollten. Aber solange es so bleibt, verdient die EU keinen Friedensnobelpreis.

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