Goldene Handschläge hat es schon immer gegeben. Vor allem für Top-Manager. Hochbezahlte Leute, die nicht mehr gebraucht wurden, oder die schlechte Arbeit abgeliefert hatten, aber nicht zu kündigen waren, und denen Unternehmen deshalb viel Geld bieten mussten, damit sie gehen.
Heute nutzen viele Unternehmen solche Angebote, und das in großem Stil und für Viele: Vor allem ältere und potentiell teure Beschäftige sollen mit Abfindungen und „Performance-Programmen“ in den Vorruhestand verabschiedet werden. Die Konjunktur ist schwach, die Wirtschaft im Umbruch, die Unsicherheit in der Wirtschaft groß: Inflation, Energiewende, der Umstieg zur Elektromobilität, viele Unternehmen wollen schlanker werden.
Eigentlich ein Widerspruch: Auf der einen Seite werden Fachkräfte händeringend gesucht, viele andere hingegen können ihre Fachkräfte gar nicht schnell genug loswerden. Die Wahrheit ist: Fachwissen von gestern zählt heute immer weniger.
250.000 Euro für jeden, der geht
Welche Blüten das treiben kann, zeigt der Umbau von SAP: der Konzern stellt um auf Künstliche Intelligenz und Cloud-Lösungen, das Management zweifelt, dass die überalterte Belegschaft dafür noch die richtige ist. Software wird heute anders programmiert und anders vertrieben als früher. Der einzige Softwarekonzerns Europas mit Weltruf, das an der Börse am höchsten bewertete Unternehmen Deutschlands, hat deshalb angekündigt, 8000 Stellen zu streichen und dafür 2 Milliarden Euro auszugeben.
Schon der – theoretische – Aufwand von 250.000 Euro für jeden, der geht, zeigt die Dimension. Zumal die Abfindungsangebote von Land zu Land unterschiedlich sind. In Deutschland – wo der Kündigungsschutz besonders hoch ist – muss der Konzern mehr zahlen als anderswo. Zugleich hat der Vorstand angekündigt, in diesem Jahr 8000 neue Stellen zu schaffen. Für Leute, die das können, was der Konzern heute besonders braucht.
Zum Ärger einiger SAPler hatte Betriebsratschef Eberhard Schick die Abfindungsangebote öffentlich als Goldenen Handschlag gelobt und gesagt, man wäre dumm, das Angebot nicht anzunehmen. Die Nachfrage jedenfalls ist groß. In Deutschland, wo 2600 Stellen zur Debatte stehen, sollen sich mehr als 5000 Beschäftigte für das Programm registriert haben. Sie haben „geklickt““, wie es SAP-intern heißt. Ob sie zum Zuge kommen und am Ende auch einwilligen, ist allerdings offen. Es gilt die doppelte Freiwilligkeit: Konzern und Beschäftigte müssen gleichermaßen zustimmen.
Für viele ist das Angebot attraktiv
Das Programm ist zweigeteilt: als Vorruhestandsangebot für Beschäftigte ab 55 Jahren, und als Freiwilligenprogramm für alle anderen. Im Durchschnitt 1,5 Monatsgehälter je Jahr der Betriebszugehörig zahlt der Konzern. Lukrativ wird es für viele vor allem dann, wenn sie sich parallel ihre Arbeitszeitkonten auszahlen lassen können. Dort können sie nicht nur verfallene Urlaubstag ansparen, auch ihre Boni – im Schnitt 15 Prozent der Jahresgehälter – in Form von Arbeitstagen einzahlen.
So kann etwa ein Fünfundfünzigjähriger, der heute aufhört, bis zu seinem Renteneintritt 70 Prozent seines Grundgehaltes bekommen. Plus Sozialleistungen, zudem darf er woanders arbeiten, etwa in Teilzeit. Das ist für viele attraktiv.
Der Konzern äußert sich nicht dazu, ob er das Angebot angesichts der großen Nachfrage nochmals aufstockt. In Unternehmenskreisen heißt es, vermutlich würden alle interessierten Vorruheständler zum Zuge kommen, bei den Freiwilligenprogramme werde es eng. Noch im Juni soll eine paritätisch aus Betriebsrat und Konzernleitung besetzt Kommission entscheiden, wer tatsächlich ein Angebot erhält.
Es sei unstrittig, dass der Wirtschaftsstandort Deutschland „aktuell so tiefgreifend diskutiert und in Frage gestellt wird, wie seit der Jahrtausendwende nicht mehr“, sagt Inga Dransfeld-Haase, Präsidentin des Bundesverbands der Personalmanager, die im Hauptberuf Vorstandsmitglied für Arbeit und Soziales beim Kraftstoffunternehmen BP Europa ist. „Durch diverse politische Faktoren und Rahmenbedingungen besteht die Gefahr einer De-Industrialisierung. Entsprechend werden verstärkt Restrukturierungsprogramme aufgesetzt und auch Abfindungsprogramme gehören dazu.“ Der Umfang von Abfindungspaketen sei dabei stark abhängig von Industrie und Branche sowie der Beschäftigungsdauer. „Üblich ist eine Spanne von einem halben bis eineinhalb Bruttomonatsgehältern pro Jahr der Beschäftigung.“
Die Programme haben ihren Preis
Beispiel Bayer: Der Pharma- und Agrarchemieunternehmen will vor allem Arbeitsplätze im mittleren Management eliminieren und damit effizienter werden. Er hat deshalb gleich zwei Aufhebungsprogramme aufgelegt, eines für Jüngere, ein weiteres für potentielle Vorruheständler. Auch wenn der Dax-Konzern nicht beziffert, wie viele Stellen im Rahmen seiner Neuausrichtung wegfallen, dürften es Tausende werden und davon auch ein gehöriger Teil auf den Heimatmarkt entfallen, sind hier doch vor allem viele Verwaltungspositionen angesiedelt. In Deutschland arbeitet für den Konzern etwa ein Fünftel der insgesamt rund 100.000 Beschäftigten.
Die Programme haben ihren Preis: Für Beschäftigte bis zum Alter von 56 Jahren zahlt der Bayer das 1,2-Fache eines Bruttomonatsgehalts für jedes Dienstjahr. Wer also 15 Jahre für das Unternehmen arbeitet und 6500 Euro verdient, würde auf einen Betrag von 117.000 Euro kommen. Hinzu kommen übliche Sozialzuschläge etwa für Eltern oder verheiratete Arbeitnehmer. Zudem hatte auch Bayer eine „Sprinterprämie“ angeboten, belohnte also diejenigen besonders, die das Abfindungsangebot schnell annehmen. So wurde der Faktor auf 1,5 erhöht für alle, die das Unternehmen innerhalb von sechs Monaten verlassen. Weil bis zu 35 Dienstjahre in dieser Regelung angerechnet werden, können Beschäftigte rechnerisch damit auf 52,5 Monatsgehälter als Abfindung kommen.
Das zweite Programm richtet sich an ältere Beschäftigte, die auf eine frühere Rente spekulieren. Wer 35 Jahre in die gesetzliche Rentenversicherung eingezahlt hat und älter als 57 Jahre ist, kann sich demnach seine Abfindung sechs Jahre lang in monatlichen Beiträgen auszahlen lassen – und damit unter Umständen sogar ohne Abschläge früher in Rente gehen.
Weiteres Beispiel: Volkswagen. Der Konzern will die Verwaltungskosten in seiner Stammmarke VW deutlich senken und hat im zweiten Quartal rund 900 Millionen Euro für Abfindungen zurückgestellt. Die Hälfte des Betrags sei schon durch mehr oder weniger konkrete Vereinbarungen mit Beschäftigten reserviert, die das Angebot annehmen wollten, hieß es in dieser Woche auf einer Betriebsversammlung in Wolfsburg.
Je nach Tarifgruppe und Betriebszugehörigkeit gehen die Summen stark auseinander. In der obersten Tarifgruppe sind mit einer Betriebszugehörigkeit von mehr als 20 Jahren bis zu 404.700 Euro möglich. Um das Tempo zu erhöhen, hatte VW vielen Beschäftigten ebenfalls eine Sonderprämie von 50.000 Euro angeboten, wenn sie sich bis Ende Mai für einen Aufhebungsvertrag melden.
Der Schritt weckt Erinnerungen an das Jahr 2006. Damals hatte der Konzern als Reaktion auf eine Krise ein pauschales Abfindungsprogramm aufgelegt, das unerwünschte Folgen hatte. Viele Hochqualifizierte, die zum Teil mit Abfindung in sechsstelliger Höhe gingen, wurden später wieder eingestellt, weil ihre Fähigkeiten gebraucht wurden. Jetzt gilt auch bei Volkswagen das Prinzip der „doppelten Freiwilligkeit“. In informierten Kreisen heißt es, gerade in Bereichen wie der IT seien viele Mitarbeiter unentbehrlich.