Sanierung des Parlaments: „Wie viele Bilder von Sebastian Kurz werden gezeigt?“

René Walkenhorst ist Architekt im Stuttgarter Atelier Brückner. Im Gespräch mit der ZEIT erzählt er, worauf es ihm bei der Gestaltung des neuen Besucherzentrums im österreichischen Parlament ankam – und warum es dort nicht um Tagespolitik geht.

DIE ZEIT: War es schwierig für einen Deutschen, am Herzen der österreichischen Demokratie zu arbeiten?

René Walkenhorst: Am Anfang brauchte ich eine Sondergenehmigung zur Einreise. Das lag an Corona – als ich mir um Ostern 2021 die Räume zum ersten Mal anschauen wollte, kam ich nur mit einer Ausnahmegenehmigung über die Grenze.

ZEIT: Sie haben bereits das „Parlamentarium“ im EU-Parlament gestaltet. Was unterschied die Arbeit in Wien von der in Brüssel?

Walkenhorst: In Österreich waren die Politiker näher dran am Gestaltungsprozess. Die Lagerbildung ist stärker ausgeprägt. Alle wollten ihre Sichtweisen gespiegelt sehen: Wie viele Bilder von Sebastian Kurz werden gezeigt? Sind die Skandale gleichmäßig abgedeckt? Unsere Position als Ausländer war hilfreich für den Anspruch, den wir an diese Ausstellung haben: Uns geht es nicht um Skandale, sondern darum, Demokratie als politische Grundlage unseres gemeinsamen Lebens zu vermitteln.

ZEIT: Wer hat Ihre Arbeit kontrolliert?

Walkenhorst: Helmut Wohnout, der Generaldirektor des Österreichischen Staatsarchivs, war mit dem Didaktiker für politische Bildung Dirk Lange und Alexander Kleinig vom EU-Parlament im Beirat. Die Textabstimmung erfolgte direkt mit dem Büro des Nationalratspräsidenten. Wichtig war allen: Das Demokratikum hat einen Bildungsauftrag, bei dem es nicht um die Tagespolitik geht.

ZEIT: Ihr Büro gestaltet weltweit Ausstellungen, wie das Grand Egyptian Museum in Kairo. Dort können Sie die Schätze aus dem Grab des Pharaos Tutanchamun zeigen. Wie machen Sie aber so etwas Abstraktes wie die Demokratie erlebbar?

Walkenhorst: Über interaktive Angebote ermöglichen wir einen einfachen Zugang zum Parlamentarismus. Zum Beispiel haben wir einen runden Quiztisch installiert. Dort können fünf Besuchende gleichzeitig ihr Wissen über Wahlen und Gesetze testen.

ZEIT: Die Besucher können sich an Abstimmungen beteiligen. Wie funktioniert das?

Walkenhorst: Sie können ihre Meinung zu gesellschaftlich relevanten Themen abgeben, über die das Parlament bereits abgestimmt hat. Zum Beispiel: Sollen Parteispenden nicht mehr erlaubt sein? Oder: Sollen Plastiksackerl generell verboten werden? Die Besucher buzzern Rot oder Grün, ihre Voten werden mit den realen Abstimmungsergebnissen der Abgeordneten und der anderen Besuchenden verglichen.

ZEIT: Wie erleben Besucher ihre Politiker?

Walkenhorst: Die Dialogstation gehört für mich zu den Highlights: An einer großen Videowand können Wähler ihre Repräsentanten, die sie aus dem Fernsehen kennen, persönlich erleben. Sie können den Klubobleuten zwei Dutzend Fragen stellen, die wir vorbereitet haben: Gibt es Freundschaften in der Politik? Was sind die größten Erfolge Österreichs?

ZEIT: Nämlich?

Walkenhorst: Ein Abgeordneter von der FPÖ nannte hier Córdoba, den Sieg über Deutschland bei der Fußball-Weltmeisterschaft 1978.

ZEIT: Erfährt man in der Ausstellung auch etwas über die Geschichte des Gebäudes?

Walkenhorst: Am Eingang können sich die Besuchenden mit dem Parlamentsgebäude vertraut machen. An einem medial bespielten Modell erfahren sie von seiner Zerstörung im Krieg und der Nutzung als Lazarett. Und die Öffentlichkeit erhält nun erstmals Zugang zur Bibliothek, einer wichtigen Einrichtung des Parlaments. Hier verströmen alte Holzregale die Aura klassischer Bildung. Nach vorheriger Anmeldung können die Bibliotheksbestände zur eigenen Recherche genutzt werden. Zudem haben wir hier eine kleine Ausstellung eingerichtet, die den Antisemitismus in der Geschichte der österreichischen Demokratie beleuchtet.

ZEIT: Das Besucherzentrum soll auch Kinder für die Demokratie begeistern. Wie kann das funktionieren?

Walkenhorst: Das geht durch Interaktion. Beispielsweise können sie den Tagesablauf von Politikern nachspielen und in einem Wimmelbild die Demokratiegeschichte erkunden. Ein Entdeckerpass führt die ganz Kleinen durch die Stationen. In diesem Booklet können sie Stempel sammeln. Mein Wunsch wäre, dass sie für einen vollständig gestempelten Pass Gummibärchen oder einen Stift als Belohnung erhalten. Noch ist das nicht entschieden.

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