Sandra Hüller mit Miu-Miu-Designerschürze: SBZ-Arbeiterin goes Fashion

War das die ostdeutsche Arbeiterin? Hollywoodstar Sandra Hüller tritt auf dem Pariser Runway mit Kittelschürze auf. Unsere Autorin erinnert sie an eine Dresdner Skulptur und sie fragt sich, wo da die Würde von Arbeiterinnen ist


High Fashion und Klassenkampf: Sandra Hüller auf dem Runway in Paris

Foto: Victor Boyko/Getty Images



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Sie sieht aus, wie die lebendig gewordene Trümmerfrau! Vor Kurzem durfte man sich bei der Fashion Week in Paris die Augen reiben: Da lief nicht nur Sandra Hüller, Deutschlands größter Hollywood-Star seit Langem, über den Laufsteg für das italienische Luxuslabel Miu Miu.

Sie trug dabei auch, nun ja, Work Wear vom Feinsten: Schwere Boots, eine dunkelblaue Arbeitshose, eine grobe Arbeitsjacke samt lederbesetzten Ärmeln und Mantelkragen und nicht zu vergessen: eine Arbeitsschürze in Dunkelblau, die jedem Ostkind Posttraumatisches Stresssyndrom bescheren dürfte, weil es sich umgehend in den Werkunterricht der dritten Klasse zurückversetzt fühlen muss.

Jedenfalls erinnert das Ensemble, das Hüller trägt, auf skurrile Art an die Trümmerfrau, eine Plastik von Walter Reinhold, die seit 1968 vor dem Dresdner Rathaus steht. Die steckt in übergroßen Arbeitsschuhen und einer Schürze, die wie für einen Männerkörper gemacht zu sein scheint. Die Übergröße der Kleidung hebt nicht nur die Zartheit des darunter liegenden Frauenkörpers hervor. Sie wirft ebenso die Frage nach der Angemessenheit der Arbeit für die Frau auf. Die Trümmerfrau opfert sich für die Gesellschaft (dass der Mythos für sich genommen problematisch ist, steht auf einem anderen Blatt).

Der Undone-Look unserer Mütter

Hüller fehlt eigentlich nur noch der Hammer in der Hand. Reinholds hat seine Plastik der Arbeiterin Erika Hohlfeld nachempfunden. Die wurde 1978 als „verdienter Bauarbeiter der Deutschen Demokratischen Republik“ (wir hatten damals ja nichts, nicht einmal das Gendern) ausgezeichnet.

Auch Hüllers Frisur – ihr Haar ist stumpf-braun und scheinbar mit der Gartenschere nur notdürftig zurechtgestutzt – erinnert an den demonstrativen Undone-Look unserer DDR-Mütter: Kurz und pflegeleicht sollte es sein, denn zwischen 40-Stunden-Schicht im Plattenwerk und Krippenschließzeit am Abend wollte man sich um den Sitz der Dauerwelle nun wahrlich keine Gedanken machen müssen.

Unsere Mütter legten in aller Regel keinen großen Wert auf modische Finesse; nicht selten versahen sie die Hausarbeit, um die sich die Männer natürlich nicht scherten, in der legendären Dederon-Kittelschürze. Die wurde besonders im Sommer der Luftigkeit wegen direkt oberhalb des hautfarbenen BHs und des Feinripp-Unterhöschens getragen, wohl aus Gründen der besseren Belüftung. Kunststofffaser atmet ja nicht gut. Die zum Kleidungsstück gewordene Schürze – sie signifiziert seit jeher Einsatzbereitschaft.

Und wann kommt Temu?

Miu Miu verlautbart zur Fashion-Week, es wolle die Unsichtbarkeit der Frauenarbeit würdigen. „Die Schürze als universelles Symbol für Arbeit wird mit Würde und Respekt behandelt“, erklärt das Label. Dass mit Sandra Hüller ausgerechnet eine in der DDR geborene Frau zur Eröffnung der Runway-Show ausgewählt wurde, kann man als Vervollständigung der Signifikantenkette lesen. Die Frauenarbeit in der DDR war sichtbar. Sie war so vorzeigbar, dass sie nachträglich verkitscht wurde. Wie die wackere Bauarbeiterin Hohlfeld.

So, wie sich die DDR die Frauenarbeit aneignete und überhöhte, ohne ihre Mühen zu adressieren, so eignet sich nun ein High-Fashion-Label Begrifflichkeiten des intersektionalen Klassenkampfes an. Irgendwas mit Sozialismus, aber in chic!

Nicht die Arbeiter tragen Designerklamotte; Wohlhabende verkleiden sich als Arbeiterinnen und denken an die Textilarbeiterinnen von Pakistan und Shenzhen. Sobald Temu die Looks kopiert, schließt sich der Fashion-Kreis. Man kann nur hoffen, dass bald auch die chinesische Arbeiterin mit „Würde und Respekt“ behandelt wird!

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